# taz.de -- Opfer des Nationalsozialismus: Nicht länger „asozial“ | |
> Der Bundestag will die Anerkennung der „Asozialen“ und „Berufsverbreche… | |
> als NS-Opfer beschließen. 75 Jahre nach der Befreiung. | |
Bild: US-Soldaten verteilen Zigaretten an Gefangene des KZ Dachau bei der Befre… | |
BERLIN taz | Der Bundestag wird am Donnerstag, 75 Jahre nach der Befreiung | |
von Auschwitz, endlich auch jene als Opfer anerkennen, die im | |
Nationalsozialismus als sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in… | |
Konzentrationslagern zu Arbeit gezwungen, gequält, gedemütigt und | |
vernichtet wurden. | |
„Vor zwei Jahren, als ich den Appell dem Bundestagspräsidenten übergab, | |
hätte ich das nicht für möglich gehalten“, sagt Frank Nonnenmacher, der | |
sich seit Jahren für die Anerkennung dieses kaum beachteten | |
nationalsozialistischen Unrechts einsetzt. In einer Petition forderten über | |
21.000 Menschen die Anerkennung der beiden Opfergruppen, Frank Nonnenmacher | |
initiierte sie Anfang 2018 mit vier weiteren Wissenschaftler*innen. | |
Unterstützung erfuhr der Aufruf zu einer „gemeinsamen Entschließung“ auch | |
aus der Politik, Bundestagsabgeordnete von Linkspartei bis CDU | |
unterzeichneten. Dementsprechend liegen dem Bundestag am Donnerstag vier | |
ähnlich lautende Anträge der Großen Koalition, sowie der Grünen, der Linken | |
und der FDP vor. | |
Mit einem grünen Stoffwinkel – Homosexuelle etwa trugen einen rosafarbenen, | |
politische Gefangene einen roten und jüdische Häftlinge zumeist zwei gelbe | |
– markierten die Nazis jene Häftlinge, die sie als „Berufs-“ oder | |
„Gelegenheitsverbrecher“ internierten. Ihnen wurde ein kriminelles Gen | |
unterstellt, von dem das deutsche Volk „gesäubert“ werden sollte. Sie | |
wurden als nicht resozialisierbar behauptet und verfolgt. | |
Unter ihnen waren auch Kinder | |
Als „Asoziale“ und damit als „Ballastexistenzen“ kategorisierten die Na… | |
Wohnsitzlose, Bettelnde oder Alkoholkranke, aber auch Swing tanzende | |
Jugendliche oder andere unangepasst Lebende. Unter ihnen waren auch Kinder, | |
etwa, wenn sie alkoholkranke Eltern hatten. Sie mussten den schwarzen | |
Winkel tragen. Bis heute herrschen solch sozialdarwinistische Abwertungen | |
in der Gesellschaft vor, auch deshalb schwiegen viele der Opfer bis zu | |
ihrem Tod über die erfahrene Entmenschlichung. | |
Autobiografische Literatur der Betroffenen existiert kaum. Ernst | |
Nonnenmacher etwa versuchte, seinen „elenden sozialen Bedingungen“, wie | |
sein Neffe Frank Nonnenmacher sie beschreibt, durch Diebstahl oder Betteln | |
zu entkommen. Er überlebte das [1][Konzentrationslager] und starb 1989. | |
Über sein Schicksal schwieg er jahrzehntelang. „Die Häftlinge mit grünem | |
und schwarzem Winkel hatten nie eine Lobby, und haben sie auch heute | |
nicht“. | |
Nach aktuellem Forschungsstand wurden zwischen 63.000 und 82.000 Menschen | |
mit grünem oder schwarzen Winkel in die Konzentrationslager gesteckt. Sie | |
sollen jetzt endlich als Opfer des Nationalsozialismus benannt werden. | |
„Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält | |
oder ermordet“, heißt es in einem Antrag der Großen Koalition. | |
Es gelte, das Schicksal jener Opfergruppen „zukünftig stärker in das | |
öffentliche Bewusstsein“ zu rücken und den fast Vergessenen „einen | |
angemessenen Platz im staatlichen Erinnern“ zu verschaffen. Dies soll etwa | |
durch die Förderung von Forschungszentren und KZ-Gedenkstätten ermöglicht | |
werden. | |
Kritik an Anerkennung „Berufsverbrecher“ | |
Zudem soll den Überlebenden die Möglichkeit der Entschädigung erleichtert | |
werden und die entsprechenden Haftgründe in die Liste der | |
nationalsozialistischen Verbrechen im „Allgemeinen Kriegsfolgengesetz“ | |
(AKG-Härterichtlinien) aufgenommen werden. Bisher haben erst 288 als | |
„Asoziale“ und 46 als „Kriminelle, Berufsverbrecher“ finanzielle | |
Entschädigung erhalten. Viele andere, wie auch [2][Ernst Nonnenmacher], | |
beantragten diese nach 1945 ohne Erfolg. | |
Aus Parlamentskreisen war immer wieder zu hören, dass es in der | |
Unionsfraktion auch kritische Stimmen gegenüber der Anerkennung von | |
„Berufsverbrechern“ als Opfer, ohne Hinweis auf möglicherweise gravierende | |
Straftaten der dann zu Unrecht in den KZ Inhaftierten, gegeben haben soll. | |
Von einer „Generalamnestie“ sprach sogar der AfD-Abgeordnete Thomas Ehrhorn | |
bei einer Bundestagsdebatte. So könne bei Kriminellen oder als sogenannte | |
Funktionshäftlinge Eingesetzten nicht pauschal von Opfern die Rede sein, so | |
Ehrhorn, „weil ein Teil von ihnen durchaus auch Täter“ gewesen sein. Damit | |
sprach Ehrhorn auf das Vorurteil an, dass „Berufsverbrecher“ als | |
vermeintlich willige Helfer in der Funktion der Kapos der SS geholfen | |
hätten. | |
Nonnenmacher empören diese Einwände, schließlich handelte es sich bei den | |
Kapos um Häftlinge, die Teil eines „perfiden Systems“ der SS waren, indem | |
sie gezwungen wurden, zum eigenen Überleben Mithäftlinge zu schikanieren. | |
Der Abstimmung schaut Nonnenmacher dennoch positiv entgegen. Konkrete Pläne | |
zu Gedenkstätten für die beiden Opfergruppen sind allerdings noch nicht | |
besprochen worden. „In den ehemaligen Konzentrationslagern schlummern | |
Dokumente und Namen, die ausgewertet werden müssen“, so Nonnenmacher. „Es | |
gibt noch viel zu tun.“ | |
12 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Kevin Culina | |
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