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# taz.de -- Zum Tod von Barbara Reimann: Eine ganz normale Arbeitertochter
> Sie war Kommunistin, überlebte das KZ Ravensbrück und hielt auch in der
> DDR mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Mit 93 Jahren ist Barbara
> Reimann gestorben.
Bild: Bis ins hohe Alter ohne Berührungsängste: Barbara Reimann.
„Vorbereitung zum Hochverrat, Abhören ausländischer Sender und
Wehrkraftzersetzung“ lauteten die Anklagepunkte auf dem Haftbefehl, mit dem
meine Mutter, mein Stiefvater, meine Patentante und ich am 16. Juni 1943 in
Hamburg festgenommen wurden.“ Mit diesem Satz aus ihren Lebenserinnerungen
eroberte Barbara Reimann, geborene Dollwetzel, schnell die volle
Aufmerksamkeit der zumeist um einige Jahrzehnte jüngeren Zuhörerinnen und
Zuhöreren ihrer zahlreichen Veranstaltungen und Lesungen.
1943 war Barbara – die sich selbst immer als „Kind einer ganz normalen
Hamburger Arbeiterfamilie bezeichnete – gerade einmal 23 Jahre alt. Ihr
Vater, Max Dollwetzel, Schlosser, Gewerkschaftsaktivist, enger Weggefährte
von Ernst Thälmann und Mitbegründer der KPD – war zu diesem Zeitpunkt schon
knapp zehn Jahre tot: erschlagen am 28. September 1933 nach dreitägiger
Folter von Gestapo-Vernehmern in den gefürchteten Kellern des B-Flügels der
Haftanstalt Fuhlsbüttel im Hamburger Norden.
Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Barbara Reimann genau an den Tag, als
ein Polizeibeamter die Nachricht vom Tod des Vaters überbrachte. Sie war
damals gerade 13 Jahre alt und ging mit Fäusten auf den Uniformierten los,
der ihrer Mutter gegenüber behauptete, Max Dollwetzel habe Selbstmord in
der Gestapo-Haft begangen.
## Versteckt in Kleingartenkolonien
Den Alltag der Familie im Nationalsozialismus begleiteten von da ab Armut
und Verfolgung. Aber auch zahlreiche Versuche, gemeinsam mit anderen –
Kommunistinnen ebenso wie Sozialdemokraten und parteilosen Frauen und
Männern, gegen das NS-Regime aktiv Widerstand zu leisten: sei es durch die
Unterstützung von inhaftierten Freundinnen und Freunden oder die Begleitung
der jüdischen Arbeitgeber von Klara Dollwetzel ins Exil nach Amsterdam.
Mehr noch als auf ihren Vater konzentrierte sich die Verfolgung der Gestapo
auf ihre beiden älteren Brüder Heinrich und Erich Dollwetzel, erinnerte
sich Barbara. Denn beide waren bekannte Aktivisten der Roten Jugendfront.
Sie mussten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933
direkt ein Leben in der Illegalität beginnen. Gegen sie und andere
kommunistische Jugendaktivisten wurde ermittelt, weil im Februar 1932 bei
einer Auseinandersetzung mit der Hitlerjugend und der SA ein HJ-Angehöriger
gestorben war.
Über Umwege – Verstecke in Kleingartenkolonien und tageweise Unterkünfte
bei befreundeten Familien und auch vielen Nächten im Freien - gelang
Heinrich und Erich Dollwetzel der Weg ins Exil: über Spanien als Kämpfer
der Internationalen Brigaden und dann in die Sowjetunion.
Kurz vor seiner endgültigen Flucht in die erste Station des Exils in
Dänemark traf Heinrich „Heini“ Dollwetzel, Jahrgang 1912, noch zufällig a…
Henry Helms, einen der berüchtigtsten „Kommunistenjäger“ der Hamburger
Polizei, der die ganze Familie schon in der Weimarer Republik verfolgt
hatte. Heinrich Dollwetzel gelang zu entkommen, weil er – trotz entgegen
anderslautender Parteibefehle der KPD-Führung – mit einer Pistole bewaffnet
war und seine Waffe schneller zog als sein Verfolger. Aber er verzichtete
darauf, Henry Helms zu erschießen.
Zehn Jahre später leitete jener Henry Helms persönlich die Verhaftungen und
Verhöre der Familie Dollwetzel und ihrer Freunde, die in einer der vielen,
heute kaum noch bekannten kommunistisch-sozialdemokratischen Hamburger
Gruppen illegale Widerstandskämpfer unterstützt hatten und durch einen
Gestapo-Spitzel verraten wurden, den sie als alten Genossen kannten.
## „Rückkehr unerwünscht“
Henry Helms ist es auch, der dafür sorgte, dass Barbara und ihre damals
54-jährige Mutter Clara Dollwetzel nach fast einjähriger Untersuchungshaft
in der Haftanstalt Fuhlsbüttel am 20. April 1944 ohne Anklage und ohne
Prozess mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ auf Transport geschickt
wurden: ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. „Der Vermerk bedeutete
eigentlich ein sicheres Todesurteil,“ sagte Barbara Reimann. Das Staunen
über das eigene Überleben war der alten Dame an diesem Punkt ihrer
Erzählungen auch nach Jahrzehnten noch anzuhören.
Als Barbara und Clara Dollwetzel in dem Frauenkonzentrationslager im
brandenburgischen Fürstenberg ankamen, herrschte in den 31 Baracken
peinigende Enge. Das Lager war im Winter 1938/39 ursprünglich für 3.000
gefangene Frauen errichtet worden. In den folgenden fünf Jahren waren hier
insgesamt rund 132.000 Frauen und Mädchen aus mehr als zwanzig Ländern
interniert. 92.000 Frauen, Mädchen und Kinder starben in Ravensbrück.
Das ganze „Ausmaß des Terrors“ sei für sie zunächst kaum fassbar gewesen,
schildert Barbara Reimann ihre Ankunft später. Sie kam zunächst in den
Block 3, in dem einige der bekanntesten Kommunistinnen schon seit Jahren
interniert waren und traf dort auch Käthe Niederkirchner, die gemeinsam mit
ihrem Bruder Heinrich Dollwetzel iin einem Kommando von Fallschirmspringern
in der Sowjetunion ausgebildet und kurz nach ihrem Absprung über dem
besetzten Polen im Zug nach Deutschland verhaftet worden war.
Käthe Niederkirchner wurde am 28. September 1944 im so genannten Todesgang
erschossen. Versuche des Widerstandsnetzwerks, sie in einem Außenkommando
in Sicherheit zu bringen, hatte sie abgelehnt. Barbara war ebenfalls Teil
des verzweigten Netzwerks; sie wurde Stubenälteste der so genannten
„slawischen Stube“ mit rund 200 Frauen in Block 5: polnische Nonnen,
jugoslawische Partisaninnen und tschechische Sozialdemokratinnen. Dadurch,
dass Block 5 im Industriehof des Lagers und eher abgelegen liegt, gelang es
ihr und ihren Freundinnen manchmal auch, vom Erschießungstod oder
Weitertransport in die Vernichtungslager bedrohte Frauen für einige Tage zu
verstecken.
## Im Chaos entkommen
Am 27. April 1945 begann die SS mit der Evakuierung des „Lagers“ vor der
näher rückenden Roten Armee. Mehr als 10.000 Häftlinge wurden in
verschiedenen Gruppen auf Todesmärsche in Richtung Norden getrieben. „Wir,
die wir bis dahin überlebt hatten, sollten alle vernichtet werden,“ fasste
Barbara Reimann die Situation zusammen. Dennoch konnte sie im allgemeinen
Chaos gemeinsam mit ihrer völlig entkräfteten Mutter und ihrer Patentante
Emmy Wilde flüchten.
Den Tag der Befreiung erlebten die drei Frauen in Neustrelitz. Die Frauen
erfuhren, dass auch Clara Dollwetzels zweiter Ehemann, der Arbeiter und
Sozialdemokrat Wilhelm „Willi“ Claßen umgekommen war: Wilhelm Claßen war
nach der Verhaftung im September 1943 im Konzentrationslager Neuengamme
inhaftiert worden.
Als die SS die überlebenden Häftlinge aus Neuengamme auf den Todesmarsch
trieben, wurde er gemeinsam mit Tausenden auf dem ehemaligen Luxusdampfer
Cap Arcona in der Lübecker Bucht festgehalten, der am 3. Mai 1945 von den
Alliierten irrtümlich versenkt wurde. Wilhelm Clasen und viele andere
Häftlinge ertranken dabei wenige Tage vor Kriegsende. An ihn erinnert seit
zwei Jahren ein Stolperstein im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.
Zurück in Hamburg mussten Clara und Barbara Dollwetzel erst einmal einen
Gestapo-Zuträger aus ihrer Wohnung entfernen lassen. Die inzwischen
25-jährige Barbara trat der KPD bei und engagierte sich im „Komitee
ehemaliger politischer Gefangener“, einer zunächst parteiübergreifenden
Selbstorganisation.
Sie gehörte zu denjenigen aus dem Komitee, die die Überführung der Asche
von neunundzwanzig in der Haftanstalt Brandenburg-Goerden ermordeten
Hamburger Widerstandskämpfer organisierten – indem sie die Urnen in
Rucksäcken per LKW und Zug durch drei Besatzungszonen und diverse
Kontrollen schmuggelten. Am 8. September 1946 gaben über 10.000
Hamburgerinnen und Hamburger den Toten das letzte Geleit auf ihrem Weg zum
Ehrenhain auf dem Zentralen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf.
## Hoffnung auf einen humanen Staat
1946 zog Barbara aus privaten Gründen nach Ost-Berlin, besuchte aber
regelmäßig ihre Mutter in Hamburg. Die enge Beziehung zu ihrer Mutter zog
sich wie ein roter Faden durch Barbaras Leben und ihre späteren
Erzählungen: ihre Bewunderung für Clara Dollwetzel, die die fünfköpfige
Familie unter den Nazis als Hausbedienstete ernähren musste, weil Max
Dollwetzel aufgrund seines politischen Engagements sehr häufig gekündigt
wurde und dennoch weiterhin politisch aktiv war – zum Beispiel in der
Internationalen Arbeiterhilfe und der Roten Hilfe.
1949 – da lebte Barbara schon einige Jahre in Ost-Berlin - trat die junge
Frau im Prozess gegen zwölf Beamte der Gestapo-Leitstelle Hamburg –
darunter auch ihren Verfolger Henry Helms - als Zeugin auf. Die ernüchternd
niedrigen Haftstrafen für die Mörder vieler ihrer Freundinnen und Freunde –
Henry Helms beispielsweise wurde gerade einmal zu neun Jahre Haft
verurteilt, von denen er lediglich sieben Jahre absitzen musste -
motivierten Barbara, Juristin zu werden.
„Wir haben wirklich gedacht, dass uns der Aufbau einer menschlicheren
Gesellschaft und eines humanen Staates gelingen könnte,“ erzählte sie mit
deutlich hörbaren Zweifeln und Enttäuschungen in den 1990er Jahren über
ihre Motivation, in die damalige sowjetische Besatzungszone umzuziehen und
dann in der DDR zu bleiben.
## „Ich konnte meinen Mund nie halten“
Doch die Verfolgungswellen der Stalin-Ära trafen auch ihre Familie: Während
ihr Bruder Heinrich nach lediglich kurzer Inhaftierung 1948 aus der
Sowjetunion zurückkam und einer der ersten Generalmajore der Nationalen
Volksarmee wurde, konnte der zweite Bruder Erich erst nach Stalins Tod 1958
als einer der letzten aus langjähriger sowjetischer Internierungshaft
ausreisen – und ging ebenfalls in die DDR.
Auch Barbara geriet in Konflikte: Als Bezirksstaatsanwältin von Pankow warf
man ihr vor, dass sie sich den Prozessen nach den Arbeiteraufständen im
Juni 1953 durch Krankheit entzogen habe. Sie reagierte, in dem sie ein
Parteiverfahren gegen sich selbst beantragte.
1957 wurde ihre Tochter Petra geboren. Eine schwere Krebserkrankung –
Spätfolge der Haftzeit – und die Belastungen als alleinerziehende Mutter
führten dazu, dass sie sich mit 55 Jahren vorzeitig in Rente begab. „Dann
konnte ich endlich wieder mehr Zeit mit meinen ‚Ravensbrückerinnen‘
verbringen – und reisen.“ Gemeinsam mit anderen „Ravensbrückerinnen“ s…
sie sich für in Polen und in der DDR diskriminierte ehemalige jüdische
Häftlinge ein.
Ein verschmitztes, aber auch resolutes Lächeln leuchtete in ihrem von
grauen Locken umrahmten Gesicht, wenn sie den jungen Zuhörerinnen und
Zuhörern bei Lesungen aus ihrer Biografie oder bei Veranstaltungen sagte:
„Ich konnte eben meinen Mund nie halten und hab mich nicht einschüchtern
lassen“. Das galt auch, als Barbara und andere ehemalige Häftlinge mit der
Lagergemeinschaft Ravensbrück 1992 erfolgreich den Bau eines Supermarkts
auf dem Gelände des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers verhinderten und
in zähen Auseinandersetzungen mit der Stiftung Brandenburgische
Gedenkstätten und den politisch Verantwortlichen dafür sorgten, dass die
Gedenkstätte Ravensbrück nicht völlig in Vergessenheit geriet.
## Renaissance des Interesses
1995 – zum 50 Jahrestag der Befreiung – erlebten die „Ravensbrückerinnen…
eine Renaissance des Interesses an ihren Lebensgeschichten: Viele junge
Linke aus Ost- und West-Berlin sowie anderen Städten beteiligen sich an den
Befreiungsfeierlichkeiten, führen Interviews und begleiteten Überlebende
anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten. Barbara Reimann gehörte zu denjenigen
ohne Berührungsängste. Mit viel Neugier, klaren Standpunkten, vorzüglichem
selbstgekochten Essen und einer Energie, die sie auf Lese- und
Veranstaltungsreisen quer durch die Bundesrepublik führte, ermutigte sie
insbesondere zahlreiche jüngere Frauen, sich in der Lagergemeinschaft
Ravensbrück/Freundeskreis e.V. zu engagieren.
Am 21. April 2013 – zum 68. Jahrestag der Befreiung von Ravensbrück - ist
Barbara Reimann mit 93 Jahren in Berlin gestorben. Ihre Urne wird an der
Seite ihrer Familienangehörigen in Hamburg beigesetzt - im Ehrenhain der
Hamburger Widerstandskämpfer_innen auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Denn das
war Barbara Reinmann auch immer: mit ganzem Herzen Hamburgerin.
Die Autorinnen sind Herausgeberinnen der Biografie von Barbara Reimann: Die
Erinnerung darf nicht sterben. Barbara Reimann – Eine Biografie aus acht
Jahrzehnten Deutschland, Hamburg/Münster 2000.
1 May 2013
## AUTOREN
Franziska Bruder
Heike Kleffner
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Kommunismus
Konzentrationslager
Konzentrationslager
Kriegsende
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