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# taz.de -- Recherche für Stolpersteine: "Das hat uns sehr berührt"
> Heute werden vier Stolpersteine in Zehlendorf verlegt. Zwei Schülerinnen
> erzählen, warum und mit welchem Aufwand sie die Geschichte der Opfer
> erforschten.
Bild: Diese Stolpersteine werden heute in Zehlendorf verlegt
taz: Frau Appel, Frau Stasik, im Rahmen des Projekts Stolpersteine haben
Sie sich intensiv mit der NS-Geschichte befasst und das Schicksal von vier
jüdischen Bürgern recherchiert. Eigentlich heißt es immer, Ihre Generation
habe wenig für die Vergangenheit übrig.
Ruth Appel: Es ist Schwachsinn zu sagen, dass uns Jugendliche die
NS-Geschichte nicht interessiert. Sie ist wichtig: Die Schüler müssen sie
genau verstehen. Aber das geht nicht, wenn alles in ein paar Monaten nur
durch Bücher gepaukt wird. Das ist öde.
Frederice Stasik: Es sind auch Ereignisse, die unsere Familien betreffen.
Jeder hat seinen Teil zu verarbeiten. Es ist eine allgegenwärtige
Geschichte, in Berlin gibt es überall Spuren.
In diesem Fall haben die Spuren nach Zehlendorf geführt. Im Fischtal 28
wohnten Max und Susanne Gottschalk mit ihrem Sohn Gerhard sowie Manfred
Prager. Wie kamen Sie auf die Idee, für die vier NS-Opfer Gedenksteine zu
verlegen?
Stasik: Mit der Jugendarbeit unserer Kirche haben wir das ehemalige
Frauen-KZ Ravensbrück besucht. Dort entstand die Idee, die Gedenkaktion zu
starten.
Und wie wurde entschieden, für wen die Steine sind?
Stasik: Wir hatten Listen von verschollenen und verschleppten Leuten, die
in unserem Kirchenkreis wohnten. Dabei fiel uns der Name eines Mannes auf,
der in unserem Alter war, als er deportiert wurde: Gerhard Gottschalk. Er
wohnte bei seinen Eltern, die auch als Deportierte auf der Liste standen.
So begannen wir vor einem Jahr mit der Recherche.
Appel: Wir haben in der Onlinedatenbank der israelischen
Holocaustgedenkstätte Jad Vashem nach diesen Namen gesucht. Dort sind
jüdische Gedenkbücher zusammengefasst, man kann Geburts- und
Deportationsdaten herausfinden. Dann haben wir Schulen und Synagogen in
Berlin angeschrieben, um mehr über die Gottschalks zu erfahren. Oft haben
die Schulen aber keine Archive mehr. So sind wir zum Brandenburgischen
Landeshauptarchiv in Potsdam gefahren, wo wir die Vermögensauflistungen der
Gottschalks gefunden haben.
Mehr nicht?
Appel: Leider. Keine Verwandten, keine Fotografien. Wir wissen nichts über
ihre Persönlichkeit. Es ist uns klar geworden, dass die Nazis geplant
hatten, ihr Leben auszulöschen.
Stasik: Das war das Grausamste. Zu den Unterlagen gehörten Zettel, auf
denen stand, wann sie deportiert wurden, aber auch, wie viele Socken und
Kleider sie hatten.
Das hat Sie berührt?
Stasik: Ja, sehr. Wenn man versucht, ein Leben wiederaufleben zu lassen,
kommt man diesen Menschen näher. Dann sieht man in diesen Dokumenten, wie
abwertend die Sprache gegenüber ihnen war. In einem Dokument fordert ein
Vermieter, dass "die Wohnung von Ungeziefer gereinigt werden soll". Das
berührt schon. Nach dem Besuch im Archiv war die Stimmung sehr gedrückt.
Appel: Wir wussten nicht, was wir im Archiv finden würden. Und dann liest
man Dokumenten, in denen so nüchtern über Menschen entschieden wird, als ob
sie, ja, wie Insekten zu beseitigen wären. Nachher versteht man ein
bisschen besser, in welcher Stimmung die Opfer gelebt haben. Über den
anderen Hausbewohner, Manfred Prager, haben wir gar nichts gefunden. Wir
wissen nur, dass er deportiert wurde.
War die Recherche eine sinnvolle Art, junge Menschen für die Geschichte des
Nationalsozialismus zu interessieren?
Appel: In den Schulbüchern stehen Daten und Zahlen wie die sechs Millionen
Opfer. Aber mit Einzelschicksalen vor Augen, wie der Geschichte von
jemandem, der hier um die Ecke wohnte, kriegt man einen anderen Eindruck.
Ich glaube, viele Schüler hätten Lust, etwas aktiv zu machen.
Stasik: Da wird aus einem Geschehen ein Mensch, der gelebt und gelitten
hat. Man sieht sein Geburtsdatum, seine Unterschriften in den Akten, und
vor allem sieht man, was danach kam. Zum Beispiel, wie die Wohnungen
weitergegeben worden sind.
Das Haus Im Fischtal 28 steht noch?
Appel: Ja. Wir haben mit den heutigen Mietern gesprochen. Sie waren
erschrocken, weil man gar nichts von der Geschichte dieser Menschen
mitbekommt. Hoffentlich kommen sie zur Verlegung der Steine. Das ist ja das
Ziel des Projekts, dass Leute nicht vergessen werden.
Bekommen denn Stolpersteine genug Aufmerksamkeit?
Appel: Ehrlich gesagt wusste ich vorher selber nicht so richtig, wofür sie
da sind. So geht es, glaube ich, vielen. Ich habe manchmal Leute gesehen,
die auf dem Stolperstein mit dem Fuß rieben, und habe mich gefragt, was die
da machen. Jetzt weiß ich, dass so der Stein geputzt wird.
Stasik: Wenn ein Stein dreckig ist, zeigt das, dass nicht so viele Leute
darauf achten. Mir ist aufgefallen, dass in den Hackeschen Höfen trotz der
vielen Menschen die Stolpersteine schmutzig sind. Also gehe ich davon aus,
dass viele gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.
Appel: Schlimmer ist, was uns ein Koordinator des Projekts erzählt hat:
dass manche Leute keine Stolpersteine vor ihren Häusern wollen. Sie wollen
nicht daran erinnert werden, dass da jemand deportiert und ermordet wurde.
Das zeigt, dass die Erinnerung nicht so selbstverständlich ist. Aber wir
arbeiten daran.
9 Dec 2011
## AUTOREN
Barbara Cunietti
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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