# taz.de -- Ehrung von Margarete und Arthur Eloesser: In den Straßen seiner Ju… | |
> Einst war der Feuilletonist Arthur Eloesser geachtet wie nur Alfred Kerr. | |
> Von den Nazis verfolgt, geriet er in Vergessenheit. Jetzt trägt ein Park | |
> seinen Namen - dank eines umtriebigen Antiquars. | |
Bild: Arthur Eloesser mit Frau Margarete (r.) und einer befreundeten Schauspiel… | |
"Eine Großstadt kann ihre Anziehungskraft nur dadurch vermehren, dass sie | |
nichts dafür tut, daß sie ihre Bedürfnisse aus eigenster Neigung | |
befriedigt, und sie wird es dem Geschmack der Fremden überlassen müssen, ob | |
sie diese Lebensgewohnheiten, diese Verkehrsformen so überzeugend, graziös | |
oder imposant finden, daß sie sich gern anpassen mögen." | |
Was sich fast liest wie eine Einlassung zur aktuellen Debatte über | |
Touristizifierung ist rund 100 Jahre alt und stammt aus der Feder des | |
Feuilletonisten Arthur Eloesser. Der gebürtige Berliner war in der späten | |
Kaiserzeit und der Weimarer Republik so bekannt wie Alfred Kerr und Kurt | |
Tucholsky. Die Kritiken des Theaterredakteurs der Vossischen Zeitung waren | |
gefürchtet, der Autor gewichtiger Bücher über deutsche Literatur zählte | |
Gerhart Hauptmann und Thomas Mann zu seinen Freunden. Trotzdem würde sich | |
heute kaum jemand an Eloesser erinnern - gäbe es nicht Horst Hans Olbrich. | |
Auf Initiative des Antiquars wird am Dienstag ein kleiner Park in der Nähe | |
des S-Bahnhofs Charlottenburg zum Margarete-und-Arthur-Eloesser-Park. | |
Im Eiscafé neben seinem Antiquariat am Adenauerplatz steckt sich Olbrich, | |
Anfang 50, eine Filterzigarette an und erzählt, wie er auf Eloesser | |
gestoßen ist. 1987 war das, als der kleine Arsenal-Verlag gerade "Die | |
Straße meiner Jugend" von 1919 neu herausgegeben hatte - eine | |
Feuilletonsammlung Eloessers mit Texten aus der Zeit vor 1914: "Er war für | |
mich der Einstieg in eine unbekannte Stadt und eine Art Führer durch das | |
Berlin vor 1933." | |
Tatsächlich vermitteln die "in Jahren gesammelten Skizzen", wie Eloesser | |
seine Reportagen nennt, ein lebendiges Bild von Atmosphäre und Lebensgefühl | |
der Metropole, die um die Jahrhundertwende im Zeitraffer expandierte. | |
Detailliert und liebevoll beschreibt Eloesser etwa die Lebensumstände in | |
der heute verschwundenen Prenzlauer Straße unweit des Alexanderplatzes, wo | |
er aufwuchs. Er erinnert sich an die verrauchten Kneipen im | |
Scheunenviertel, wo er als Student mit Gleichgesinnten Skat kloppte und | |
politisierte. Er polemisiert gegen den Polizeipräsidenten Traugott von | |
Jagow, der die Blumenverkäufer auf dem Potsdamer Platz verbieten will - was | |
Eloesser als Gegner der "neuzeitlichen" Großstadthektik und Freund der | |
kleinen Leute gar nicht gefällt. | |
Stilistisch waren diese Reportagen Neuland, erklärt Olbrich: Texte aus der | |
Sicht eines Flaneurs, der seine geliebte Stadt in Spaziergängen | |
durchstreift und aus kleinen Beobachtungen Stoff für Reflexionen über Gott | |
und die Welt gewinnt. Spätere Autoren wie Franz Hessel und Walter Benjamin | |
machten den Flaneur weltberühmt, aber Eloesser, sagt der Antiquar, habe | |
angefangen. "Er war eine eigene Figur." | |
Werk und Leben des 1870 in Berlin geborenen Sohns eines jüdischen Kaufmanns | |
ließen Olbrich nicht mehr los. Der Literaturwissenschaftler sammelte und | |
las alles, was er über Eloesser fand, er wurde zum Eloesser-Experten. Ende | |
der 90er Jahre beantragte er für den 1938 namenlos auf dem Wilmersdorfer | |
Waldfriedhof in Stahnsdorf beigesetzten Schriftsteller ein Ehrengrab - mit | |
Erfolg. Der Antrag auf eine Straßenumbenennung scheiterte: "Ich hatte nicht | |
gewusst, dass nur noch Frauennamen genommen werden." | |
Dieses Mal, beim Parkbenennungsantrag, hat Olbrich darum Eloessers Frau | |
Margarete mit in den Namensvorschlag aufgenommen. Sie schrieb Gedichte, | |
aber auch Märchenstücke für Kinder, die auf Berliner Bühnen gespielt | |
wurden, weiß der Antiquar. Auch am Lessing-Theater am Lehrter Bahnhof, wo | |
ihr Mann sechs Jahre lang Dramaturg war. "Sonst weiß ich leider wenig über | |
sie", bedauert Olbrich: "Es gibt nichts mehr, alles wurde von den Nazis | |
vernichtet." | |
Für die jüdische Familie Eloesser brach mit dem Antritt der | |
Nationalsozialisten eine Welt zusammen. Publizistisch kämpfte Arthur | |
Eloesser bis zur Einstellung der Vossischen Zeitung Ende März 1934 gegen | |
die Nazis. Danach engagierte er sich im von ihm mitgegründeten Jüdischen | |
Kulturbund - einer Selbsthilfeorganisation für vom Berufsverbot betroffene | |
jüdische Künstler. Seine Verbitterung wird zwischen den Zeilen seines | |
letzten, 1936 erschienenen Buches "Vom Ghetto nach Europa" spürbar: Anhand | |
biografischer Essays über deutschjüdische Literaten wie Moses Mendelssohn | |
und Heinrich Heine stellt er die jüdischen Verdienste für die europäische | |
und deutsche Kultur heraus, im Bewusstsein, dass der Lebensentwurf | |
assimilierter und säkularer Juden - sein Lebensentwurf - gescheitert war. | |
Trost und Zuflucht suchte der promovierte Germanist, der sich 1898 nicht | |
habilitieren konnte, weil er sich nicht taufen lassen wollte, in der | |
Rückbesinnung auf sein Judentum. "Wir Juden und gerade wir, die wir uns für | |
sehr assimiliert halten durften, haben trotz allen Schicksalsschlägen die | |
eine Entschädigung gewonnen, […] dass wir uns als Juden entdecken durften", | |
schrieb Eloesser in den "Erinnerungen eines Berliner Juden", die 1934 in | |
der Jüdischen Rundschau erschienen. | |
Deutschland verlassen konnte er da nicht mehr - obwohl seine Tochter | |
Elisabeth 1937 nach Uruguay, sein Sohn Max 1934 nach Palästina gegangen | |
waren. "Er war schwer krank, hatte Lungenprobleme, die er sich im Ersten | |
Weltkrieg zugezogen hatte", erzählt Enkelin Irene Freudenheim, Tochter von | |
Elisabeth. Zwar besuchte er zweimal seinen Sohn und bewunderte in einem | |
Bericht den Aufbauwillen der Juden in Palästina. Aber, stellte er bedauernd | |
fest: "Man hätte dreißig oder vierzig Jahre später geboren sein müssen." | |
Außerdem, vermutet Michael Eloesser, Max Sohn, konnten sich seine | |
Großeltern ein Leben außerhalb Deutschlands gar nicht vorstellen. "Darin | |
liegt ja die Tragik meiner Familie, wie überhaupt der assimilierten | |
deutschen Juden: Diese Menschen waren der deutschen Sprache und Kultur so | |
verbunden und wurden doch von Deutschland ausgestoßen." | |
Eloesser starb 1938 nach einer Operation "als gebrochener Mann", wie | |
Olbrich sagt. Wenigstens blieb ihm so das Schicksal seiner Frau Margarete | |
erspart: Vergeblich bemühte sich Tochter Elisabeth für sie um ein Visum für | |
Uruguay, "aber wir hatten nicht das Geld für die 2.000 Dollar Kaution", | |
erzählt Enkelin Irene. So musste Margarete Eloesser 1939 in ein "Judenhaus" | |
ziehen, wurde 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. "Sie wurde wohl | |
gleich nach der Ankunft im Wald erschossen", sagt Irene. "Menschen ihres | |
Alters kamen gar nicht mehr ins Ghetto hinein." Ihre letzten Habseligkeiten | |
listeten die Nazis penibel auf: 90 Bücher, ein Regal, fünf Taschentücher, | |
zwei Handtücher. | |
Dass vom Nationalsozialismus eine Gefahr für "sein" Berlin, die Republik | |
und ihre Freiheiten ausging, hat Eloesser recht früh erkannt. 1921 schrieb | |
er in der Frankfurter Zeitung eine bissige Abrechnung mit antisemitischen | |
Deutschtümlern und Hakenkreuzträgern. Anlass: der Stinkbombenüberfall eines | |
deutschnationalen Sturmtrupps auf die Uraufführung von Arthur Schnitzlers | |
"Reigen". Nachzulesen ist das in dem neu erschienenen Eloesser-Buch | |
"Wiedereröffnung - Berliner Feuilletons, 1920 bis 1922". Herausgeber: der | |
unermüdliche Horst Hans Olbrich. | |
Damit aber nicht genug des Gedenkens: Erst vor knapp zwei Wochen wurde für | |
Margarete Eloesser am Lietzenseeufer 1, ihrem letzten freiwilligen Wohnort, | |
ein "Stolperstein" verlegt. "Auf Anregung von Olbrich", erzählt Helmut | |
Lölhöffel von der Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Der | |
hagere Graukopf ist auf dem Fahrrad zum Antiquariat gekommen. "Wir haben | |
das kurzfristig organisiert, damit die Angehörigen, die zur Parkbenennung | |
kommen, das sehen können. Wäre doch scheußlich, wenn da nichts wäre", sagt | |
Lölhöffel, der einmal - unter Rot-Grün - Senatssprecher war. Eigentlich | |
sollte auch Eloessers ältere Schwester, Fanny Levi, einen Stolperstein | |
bekommen - die Azubis des Lehrbauhofs hatten schon alles für die Verlegung | |
in der Weddinger Flotowstraße organisiert. Wegen eines Unwetters musste die | |
Zeremonie allerdings ausfallen. | |
Für die Nachkommen Eloessers sind Stolpersteine und Parkbenennung wichtige | |
Symbole, sagt Enkel Michael. Er kommt dafür eigens aus Frankfurt, wo er die | |
halbe Zeit lebt, wenn er nicht in Israel ist. "Dass meine Großeltern nach | |
rund 70 Jahren nicht vergessen sind, ist eine beachtliche Geste." Sein | |
Großvater werde so als "rundum mit Deutschland verbundener Schriftsteller | |
anerkannt. Das ist eine große Genugtuung für ihn." Auch Enkelin Irene ist | |
mit Töchtern und Enkeln angereist, weil ihr diese Feier "sehr wichtig ist, | |
besser als irgendeine Wiedergutmachung". Zumal, sagt sie, "der Park auch | |
noch in der Nähe ist von der Straße, wo sie so viele Jahre gewohnt haben | |
und so glücklich waren". | |
In der Tat ist der Ort gut gewählt: Wo vor einem Jahr mit Geld der | |
Deutschen Bahn eine neue Grünanlage entstand, spielten schon die Kinder des | |
Ehepaars. "Der Magistrat oder der Fiskus oder die Eisenbahnverwaltung hat | |
den Kindern einen Bezirk von der Böschung der Stadtbahn abgetreten, breit | |
genug, dass man ihn wieder ,Wiese' nennen kann", schreibt Eloesser in "Die | |
Straße meiner Jugend". | |
Die gepflegte Anlage mit Bolzplatz und rosenumrankten Sitzbänken hätte dem | |
Flaneur wohl gefallen. Auch wenn es eines nicht mehr gibt, was er | |
seinerzeit sehr lobte: "[…] ein krummer Invalide der Straßenreinigung, der | |
wahrscheinlich zum ersten Male in seinem Leben etwas verbieten oder | |
erlauben darf, sorgt mit einer knurrenden Autorität für die Sauberkeit des | |
Spielplatzes". | |
2 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Susanne Gannott | |
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