# taz.de -- Der Historiker Reimer Möller über die Täter von Neuengamme: "Die… | |
> Im Januar 1946 begann das britische Militär in Hamburg mit den | |
> Curiohaus-Prozessen gegen die Täter des KZ Neuengamme. Reue zeigte keiner | |
> von ihnen. | |
Bild: Auf der Anklagebank: SS-Offiziere und Aufseher des KZ Neuengamme. | |
taz: Herr Möller, was wurde während der Hamburger Curiohaus-Prozesse | |
verhandelt? | |
Reimer Möller: Das britische Militärgericht hat insgesamt 190 Prozesse | |
geführt. Die wichtigsten sind der 39 Tage währende Hauptprozess im März | |
1946 gegen 14 leitende SS-Offiziere und Aufseher des KZ Neuengamme, die | |
Ravensbrück-Prozesse sowie der Prozess gegen die Firma Tesch & Stabenow, | |
die KZ mit Zyklon B belieferte. | |
Was war die Rechtsgrundlage der Prozesse? | |
Im Juni 1945 haben die Engländer einen besonderen Zweig der | |
Militärgerichtsbarkeit geschaffen, die Royal Warrant Courts. Sie sollten | |
Naziverbrechen und Verbrechen an Alliierten verhandeln. Zu diesem Zweck | |
haben die Briten die Beweisführung erleichtert: Jetzt mussten die Zeugen | |
nicht mehr unabdingbar im Prozess anwesend sein, wie im angelsächsischen | |
Strafrecht bis dato üblich. Stattdessen konnten auch Verhör-Protokolle | |
verlesen werden, die die Alliierten im Gespräch mit KZ-Überlebenden | |
erstellt hatten. | |
Weitere eigens für die Curiohaus-Prozesse erstellte Regeln? | |
Ja. Eine davon sieht vor, dass ein Soldat automatisch schuldig ist, wenn er | |
zu einer Truppe gehört, die ein Verbrechen begeht - wenn man ihm nachweisen | |
kann, dass er das "Common Design" des Verbrechens gekannt hat. Im deutschen | |
Strafrecht war das nicht möglich. Aber die Engländer waren strafwillig und | |
haben deshalb die strafprozessualen Vorschriften gelockert. | |
Wessen genau wurden die Neuengamme-Täter angeklagt? | |
Des Vergehens an alliierten Staatsbürgern. | |
Und die deutschen Opfer? | |
Für sie fühlten sich die englischen Militärgerichte nicht zuständig. | |
Warum nicht? | |
Sie haben in diesem Punkt wohl noch die Souveränität des Deutschen Reichs | |
respektiert. Hierzu muss man wissen, dass die Alliierten die Ahndung der | |
deutschen Kriegsverbrechen schon für die Moskauer Deklaration von 1943 | |
ausgehandelt hatten. | |
Wie wurden die Curiohaus-Prozesse konkret vorbereitet? | |
Mit Hilfe akribischer Recherche. Man muss bedenken, dass die Alliierten auf | |
das, was sie bei der Befreiung etwa von Bergen-Belsen vorfanden, in keiner | |
Weise vorbereitet waren. Zudem hatten sie keinerlei Information darüber, | |
wie das System funktionierte. Wichtigste Quelle waren die Überlebenden der | |
Cap Arcona, die nach 1945 in Ostholstein untergebracht wurden. Hier haben | |
die Amerikaner und, für die Briten, Chefankläger Major Malcolm Stewart | |
minutiös Überlebende befragt. Stewarts Verdienst ist es übrigens, das | |
KZ-System und dessen Systematik der Vernichtung dargestellt zu haben: dass | |
etwa die unzureichende Ernährung der Häftlinge keine Schlamperei, sondern | |
gezielte Fehlernährung war und dass das Ziel der KZ die "Vernichtung durch | |
Arbeit" war. | |
Welche Dokumente gibt es vom Hauptprozess? | |
Wortprotokolle und Fotos. Vom Ravensbrück-Prozess existieren auch | |
Filmaufnahmen. | |
Lässt sich aus den Wortprotokollen ein Eindruck des Hauptprozesses | |
ableiten? | |
Ja - Nüchternheit. Das hat auch einer der Angeklagten bestätigt: Alfred | |
Trzebinski, Standortarzt des KZ Neuengamme, hat in der Todeszelle seine | |
Eindrücke des Prozesses aufgeschrieben - als Feedback für das Gericht | |
sozusagen. Das ist ein sehr eigenartiges Schriftstück. Trzebinski schreibt | |
darin zum Beispiel, er habe sich mit dem Ankläger intellektuell gut | |
verstanden, obwohl der ja seine Todesstrafe beantragt habe. Darüber hinaus | |
lobt Trzebinski die Sachlichkeit, mit der die Engländer den Prozess | |
führten. Die hatte er nicht erwartet. | |
Wie groß war das Unrechtsbewusstsein de Angeklagten? | |
Sie waren überrascht, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Sie | |
selbst hatten ihre Taten wohl so gut verinnerlicht, dass sie damit gut | |
leben konnten. Der ehemalige Neuengammer Lagerkommandant Max Pauly war zum | |
Beispiel der Meinung, er sei als SS-Mann Angestellter einer staatlichen | |
Exekutiv-Einrichtung gewesen, und daran sei ja wohl nichts auszusetzen. Mit | |
diesem Bewusstsein sind alle Täter in diese Prozesse gegangen. | |
Haben sie im Lauf des Prozesses Reue gezeigt? | |
Nein. Max Pauly hat zum Beispiel auf Gott geschworen und gesagt, mit der SS | |
habe er jetzt nichts mehr zu tun. Das war alles. Auch von den anderen hat | |
niemand bereut. | |
Hätte Reue straflindernd gewirkt? | |
Nein. | |
Gab es "verminderte Schuldfähigkeit"? | |
Nein. Der Verteidiger des Sanitäters Wilhelm Bahr etwa hat versucht, seinen | |
Mandanten als geistig minderbemittelt darzustellen, der psychiatrisch | |
begutachtet werden müsse. Das wurde er auch, aber auf das Strafmaß wirkte | |
sich das nicht aus. Die Engländer vertraten die Haltung, dass ein | |
Erwachsener für seine Handlungen verantwortlich sei. | |
Wie haben die Alliierten die SS-Täter, die sich nach 1945 oft als | |
Wehrmachtssoldaten verkleideten, überhaupt gefunden? | |
Vor allem mit Hilfe befreiter Häftlinge. Überlebende aus Neuengamme haben | |
sehr schnell Kontakt zum britischen Militär aufgenommen und sich - wie auch | |
zurück gekehrte jüdische Emigranten - als "ehrenamtliche SS-Fahnder" | |
erboten. Sie haben die Spuren der Täter bis in deren Heimatdörfer | |
zurückverfolgt und sie dort oft gestellt. | |
Wie viele Täter haben die Alliierten gefasst? | |
Ein Drittel. Für das niedersächsische Kriegsgefangenenlager Sandbostel etwa | |
hatten die Briten unvollständige Namenslisten. Da sind etliche entkommen. | |
Wie kamen die Curiohaus-Prozesse in der Öffentlichkeit an? | |
Je weiter vom Tatort entfernt, desto intensiver berichtete die Presse. Den | |
Curiohaus-Prozess haben etliche ausländische Korrespondenten verfolgt und | |
darüber regelmäßig ausführlich berichtet. Aber auch in Westfalen wurde mehr | |
berichtet als in Hamburg. Da gab es allenfalls Meldungen oder kleine | |
Zweispalter, als von 14 Neuengamme-Tätern 12 zum Tode verurteilt wurden. | |
Warum war die Reaktion so karg? | |
Man wollte das nicht hören. Die Deutschen waren eine durchnazifizierte | |
Gesellschaft - und jetzt wurde ihnen plötzlich vorgehalten, dass sie | |
moralisch verwerflich seien. Das konnten sie nicht mit ihrem Selbstbild | |
vereinbaren. Sie empfanden es als Erniedrigung, dass Ausländer über | |
Deutsche zu Gericht saßen. | |
Erhielt der Hamburger Zyklon-B-Prozess mehr Resonanz? | |
In Hamburgs Medien nicht. Die Firma Tesch & Stabenow stellte schon länger | |
regulär Zyklon B her, mit dem man die Ware von Handelsschiffen begaste, | |
damit sie keimfrei wurde. Die Briten haben Tesch & Stabenow allerdings | |
nachgewiesen, dass sie auch SS-Personal in der Handhabung des Gases | |
unterwiesen haben. Und dem Firmeninhaber Tesch hat man nachgewiesen, dass | |
er wusste, dass das Zyklon B auch benutzt wurde, um Menschen umzubringen. | |
Deshalb ist er zum Tode verurteilt worden. | |
Hat Tesch Reue gezeigt? | |
Nein. | |
17 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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