# taz.de -- Hamburger Finanzrochaden: Im Schatten des Haushalts | |
> Um nicht gegen die Schuldenbremse zu verstoßen, hat Hamburg seine | |
> öffentlichen Beteiligungen in eine Holdinggesellschaft ausgelagert. | |
Bild: Paloma-Viertel-Baugrube an der Reeperbahn: Hier wird die Stadt überrasch… | |
HAMBURG taz | Für den Bau des „Paloma-Viertels“ am Hamburger | |
Spielbudenplatz fanden sich nicht genügend Investoren. Acht Mal wurde die | |
Frist verlängert. Jetzt springt die Stadt ein. Sie wird einem Investor nach | |
Fertigstellung ein Gebäude abkaufen und vermieten. Angesichts erlahmter | |
Konjunktur und [1][Schuldenbremse] überrascht ein solcher freihändiger Kauf | |
einer privaten Immobilie. Doch Hamburg hat doppelt vorgesorgt – durch die | |
Schaffung eines Schattenhaushalts und durch die Umwandlung von | |
Behördenteilen in Landesbetriebe. | |
Im Fall des „Paloma-Viertels“ soll der Landesbetrieb Immobilienmanagement | |
und Grundvermögen (LIG) einspringen. Der Senat hatte dieses städtische | |
Unternehmen 2013 gegründet. Bis dahin wurde in einer | |
Liegenschaftsverwaltung lediglich verwaltet, seither wird gestaltet, freut | |
sich LIG-Chef Thomas Schuster in seinem Geschäftsbericht. LIG handelt nun | |
„marktnah, marktkonform und marktorientiert“. Entsprechend wird nach den | |
Regeln bilanziert, wie sie für private Kapitalgesellschaften gelten. 2018 | |
betrug die Bilanzsumme über fünf Milliarden Euro. Allerdings gelten für | |
Landesbetriebe die öffentlichen Haushaltsgrundsätze – und damit die | |
Schuldenbremse. | |
Immerhin ist der Schuldenstand der Stadt trotz der ein Jahrzehnt lang guten | |
Konjunktur – insbesondere im Zusammenhang mit der HSH Nordbank – lange | |
gestiegen. Und der kostspielige „Personalkörper“ der Stadt wächst weiter, | |
sagt der Direktor des Rechnungshofes, Philipp Häfner. | |
Für geplante Großprojekte wie den Schnellbahnausbau, den Klinikneubau in | |
Altona oder den Hochschulausbau werden in den kommenden Jahren viele | |
Milliarden Euro aufzubringen sein. „Finanzieller Spielraum für Neues | |
besteht darüber hinaus nicht“, warf Häfner kürzlich einen skeptischen Blick | |
in die Zukunft. | |
## Schattenhaushalt von Scholz | |
Die im Jahr 2009 vom Bund beschlossene Schuldenbremse verbietet ab 2020 den | |
Bundesländern im Normalfall, öffentliche Investitionen über die Aufnahme | |
von Krediten zu finanzieren. Eigentlich. | |
Um auch in schlechteren Zeiten handlungsfähig zu bleiben, hatte der | |
rot-grüne Senat unter Olaf Scholz (SPD) vorgesorgt und sich eine Art | |
Schattenhaushalt geschaffen. Ein großer Teil des öffentlichen Engagements – | |
vom Hafen bis zum Wohnbau – wurde in einer Holdinggesellschaft gebündelt. | |
Sie hat wie jede private Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) | |
grundsätzlich Zugang zum Kapitalmarkt – und kann daher weitgehend | |
unabhängig vom öffentlichen Haushalt wirtschaften. | |
Die „HGV Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement | |
mbH“ ist so zur Konzernholding der Hansestadt aufgestiegen, in der fast | |
alle Beteiligungen (Airbus, Hapag-Lloyd), Immobilien und öffentliche | |
Unternehmen gebündelt sind: Hochbahn, Hafenbetreiber HHLA, Investitionsbank | |
IFB, Immobiliengesellschaften SAGA und Sprinkenhof, Vattenfall Wärme und | |
weitere. 22.000 Beschäftigte der HGV erwirtschaften eine jährliche | |
Bilanzsumme von über 15 Milliarden Euro (2018). Eine Summe, die in etwa dem | |
Umfang des regulären Hamburger Haushaltes 2020 entspricht. | |
Selbst aus Sicht des Bundes der Steuerzahler ist dies unproblematisch. | |
„Durch die kaufmännische Haushaltsführung der Stadt wird den Bürgerinnen | |
und Bürgern die größtmögliche Transparenz geboten“, lobt deren | |
haushaltspolitische Sprecherin Sabine Glawe. Die Zeiten, in denen sich der | |
Blick der Öffentlichkeit ausschließlich auf den Kernhaushalt richtete und | |
die HGV somit oft außen vor war, seien durch die „Doppik“ vorbei. Das | |
Kürzel steht für doppelte Buchführung in Konten. Vor drei Jahren hatte der | |
Senat erstmals einen 250-seitigen Konzernabschluss vorgelegt, der sich an | |
kaufmännischen Regeln ausrichtet – und nicht mehr an der klassischen | |
Kameralistik einer Behörde. | |
Es blieb dabei weitgehend unbeachtet, dass die HGV 2016 auch die Geschäfte | |
des „Sondervermögens Schulbau“ übernommen hat – dieses ist Eigentümer … | |
Grundstücke und Gebäude und vermietet die Schulen an die Schulbehörde. | |
Dieses Mieter-Vermieter-Modell verschafft dem Senat weitere finanzielle | |
Spielräume. 1.200 Beschäftigte kümmern sich um Neubau, Sanierung, | |
Instandhaltung und Bewirtschaftung von rund drei Millionen Quadratmetern. | |
„Wir haben damit die Planung und Bewirtschaftung von Schulgebäuden völlig | |
neu organisiert“, freut sich Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Schulbau | |
Hamburg sei mittlerweile bundesweit die Blaupause dafür, wie gute Lernorte | |
„effizient“ geschaffen werden könnten. Gerade wurde der Bau von 130 | |
Sporthallen beschlossen. | |
## Hamburg ein Vorbild | |
Der Bremer Professor Rudolf Hickel hat sich mit den Schuldenbremsen, die | |
fast alle Länder in ihren Verfassungen verankert haben, beschäftigt. Das | |
Hamburger Konzern-Modell sieht der Gründer der „Arbeitsgruppe Alternative | |
Wirtschaftspolitik“ als Vorbild für eine Politik, die sich dennoch | |
wirtschaftspolitische Spielräume erhalten will. | |
Statt sich in umstrittene Öffentlich-Private-Partnerschaften zu flüchten, | |
schafften „Staatlich-Öffentliche-Partnerschaften“ Spielraum für | |
Investitionen. Damit werde der öffentliche Kapitalstock gestärkt und die | |
ökonomische Wertschöpfungsbasis, „von der künftige Generationen profitieren | |
werden“, sagt Hickel. | |
Im Unterschied zu Bremen stehe in Hamburg mit der HGV eine | |
Beteiligungsgesellschaft zur Verfügung, um die Schuldenbremse zu | |
umschiffen. Politik sollte in der Lage sein, mahnt Hickel, das zu tun, was | |
selbst unter dem Regime der Schuldenbremse in der Landesverfassung möglich | |
ist, beispielsweise den Bau des „Paloma-Viertels“. | |
29 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
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