| # taz.de -- Gruppe Betar Deutschland: Jung, jüdisch, rechts | |
| > Bei Betar Deutschland sammeln sich rechte Juden. Selbst mit der AfD haben | |
| > sie keinerlei Berührungsängste. Was will die Organisation? | |
| Bild: Schon im 20. Jahrhundert gab es einen Ableger in Deutschland: Betar-Treff… | |
| Die scheidende Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) klang | |
| beunruhigt. In einem [1][Interview in der Jüdischen Allgemeinen] im Februar | |
| sprach Hanna Veiler über eine Radikalisierung unter jungen Jüdinnen und | |
| Juden in Deutschland, die ihr Sorge bereite. „Rechte Ideologien verfangen | |
| vor allem dort, wo Menschen verunsichert sind“, sagte Veiler. „Für die | |
| jüdische Gemeinschaft gilt das in besonderem Maße.“ | |
| Dass ihr Abgang von solchen Sorgen überschattet war, liegt an der rechten | |
| jüdischen Gruppe Betar Germany, gegründet im Sommer 2024. Ihre | |
| Führungspersonen zeichneten sich durch ein Weltbild aus, das mit dem | |
| Grundgesetz nicht vereinbar sei, sagte Veiler. Betar-Mitglieder | |
| kommentierten Beiträge der JSUD „mit rassistischen und | |
| geschichtsrevisionistischen Inhalten“, meldeten sich für Veranstaltungen an | |
| und versuchten, „in unsere Strukturen hereinzukommen“. An ihre Nachfolger | |
| gerichtet, appellierte Veiler: „Es wird Aufgabe des nächsten | |
| JSUD-Vorstands, diese Brandmauer aufrechtzuerhalten“. | |
| Betar Deutschland ist der neue Ableger einer Organisation, die 1923 im | |
| lettischen Riga von Ze’ev Jabotinsky gegründet wurde, dem wohl bekanntesten | |
| Vordenker der rechten revisionistischen Strömung des Zionismus. Angesichts | |
| antisemitischer Übergriffe in Europa bildeten die „Betarim“ damals in | |
| verschiedenen Ländern jüdische Gruppen zur Selbstverteidigung, lernten | |
| Hebräisch und riefen zur Auswanderung nach Palästina auf. Heute existiert | |
| Betar in mehreren Ländern. In Israel, aber auch in Großbritannien und den | |
| USA. | |
| Doch wer und was steckt hinter Betar Deutschland? Was will die Gruppe? Die | |
| taz hat für diesen Text mit einem ihrer Gründer gesprochen, Amir Makatov. | |
| Er wehrt sich gegen den Vorwurf des Extremismus. Makatov ist der Sohn | |
| osteuropäischer Einwanderer, sein Vater ist Muslim aus Dagestan, die Mutter | |
| Jüdin aus Aserbaidschan – er selbst wurde in Potsdam geboren und bezeichnet | |
| sich als Zionist. Makatov singt als Musiker auch auf seiner Muttersprache | |
| Russisch und arbeitet als Redakteur beim rechten Portal Nius, das der | |
| ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt leitet. | |
| ## „Erinnerungsindustrie“ und „Schuldkult“ | |
| Auf der Plattform X postet Makatov unter dem Namen „Morgenthau“ – dort | |
| kommentiert er etwa den Vorschlag des Antisemitismusbeauftragten, in | |
| Deutschland solle ein Ableger des israelischen Holocaust-Museums Yad Vashem | |
| entstehen, mit den Worten: „(Felix) Klein fordert noch mehr | |
| Erinnerungsindustrie“, und verwendet auch den Begriff „Schuldkult“. | |
| In einem Beitrag auf der Instagram-Seite von Betar schreibt er über | |
| Palästina-Demos: „Kommunisten, Islamisten und Pazifisten marschieren durch | |
| die Straßen der Bundesrepublik und fordern Blut.“ Makatov bekräftigt diese | |
| Haltung im Gespräch am Telefon. „Wir sind dafür, dass Islamisten | |
| abgeschoben werden und Grenzen gesichert werden. Vielleicht ist das aus | |
| einer taz-Perspektive schon extremistisch. Finden wir nicht.“ | |
| Auf der anderen Seite des Atlantiks [2][will Betar USA sogar aktiv bei | |
| Abschiebungen mithelfen] – der dortige Ableger brüstet sich stolz, man habe | |
| der Trump-Regierung Listen mit den Namen propalästinensischer Studierender | |
| übermittelt. Betar USA wurde im Juni 2023 neu gegründet, selbst der | |
| israelfreundliche Watchdog Anti-Defamation-League führt ihn dort wegen | |
| „Islamophobie“ und Angriffen gegen Muslime auf einer schwarzen Liste. | |
| Makatov gründete Betar Deutschland gemeinsam mit einem Mitstreiter im | |
| Sommer 2024. In den bestehenden jüdischen Organisationen hätten | |
| „linksliberale talking points“ vorgeherrscht, rechte Juden seien | |
| ausgegrenzt worden, sagt Makatov. „Es gab aber kaum welche, die konservativ | |
| oder libertär oder gar rechts waren.“ Mittlerweile hat er den Vorstand | |
| verlassen und spricht deshalb nicht im Namen von Betar, sondern als | |
| Privatperson. Auf eine taz-Anfrage, wer die Gruppe heute leitet, antwortet | |
| Betar nicht. | |
| ## Vernetzung rechter Juden | |
| Zwei Monate nach der Gründung existierten Makatov zufolge „eine Handvoll | |
| Ortsgruppen in ganz Deutschland“. Heute gebe es ein Kernnetzwerk aus etwa | |
| 30 Aktiven und einen Dunstkreis aus etwa 100 Leuten. Es gehe Betar darum, | |
| die jüdische Community zu vernetzen. Man fördere den Umzug nach Israel, | |
| biete Sprachkurse an oder treibe Sport, „zum Beispiel jüdischen | |
| Selbstschutz im legalen Maße durch Krav-Maga-Kurse“. | |
| Die Ortsgruppen veranstalteten Bowling-Abende, historische Spaziergänge, | |
| Barabende. „Betar hat schon das Ziel, die Leute historisch und politisch zu | |
| bilden. Aber es ist auch sehr viel einfach nur Beisammensein“, sagt | |
| Makatov. | |
| Um Interessierte zu finden, warben die Gründer laut Makatov in bestehenden | |
| Netzwerken, jüdischen Organisationen oder Whatsapp-Gruppen. Eine dieser | |
| Gruppen ist Gegenstand eines Artikels, der im [3][Eda Magazin der JSUD | |
| erschien]. Der anonyme Text benennt die „Jewish debate group (uncensored)“, | |
| aus der Betar hervorgegangen sei. Dort seien Nachrichten geschrieben worden | |
| wie: „Alice Weidel und Krah sehen die Juden als hochwertige Menschen. Für | |
| mich reicht es, um die AfD zu wählen“, oder: „Ich kann diese Beärbock | |
| (sic!) nicht mehr ertragen, eine furchtbare weißfotzige Weibe, die | |
| muslimische Schwänzen (sic!) lutscht.“ | |
| Makatov zufolge ist die „debate group“ lediglich eine von vielen | |
| Whatsapp-Gruppen, aus denen man „rekrutiert“ habe. Das Zitat über die | |
| frühere Außenministerin Annalena Baerbock sei von einer Person getätigt | |
| worden, die mit Betar nichts zu tun habe. | |
| ## Juden in der AfD – und bei Betar | |
| Laut Makatov hätten „extremistische Anschauungen“ keinen Platz bei Betar. | |
| Was extremistisch ist, wolle man aber selbst bewerten. So sei etwa Artur | |
| Abramovych bei Betar aktiv, der Vorsitzende der „Juden in der AfD“ – ein | |
| Verein, der von Kritikern als Feigenblatt bewertet wird, um Antisemitismus | |
| in der Partei zu verdecken. Makatov nennt Abramovych einen „alten | |
| Liberal-Konservativen“, der in die AfD eingetreten sei, als sie noch eine | |
| eurokritische Partei gewesen sei. | |
| Die AfD wiederum sieht Makatov einer übertriebenen „Hexenjagd“ ausgesetzt. | |
| Es gebe in Deutschland keine nicht-antisemitische Partei, und die AfD sei | |
| nicht vorne dabei. „Der linke Antisemitismus und der aus linker Ideologie | |
| resultierende migrantische Antisemitismus ist derzeit die größere Gefahr | |
| für Juden in Deutschland“, sagt er. | |
| ## Der rechte Flügel des Zionismus | |
| Der [4][Text im Eda Magazin] benennt auch einen gewissen „Yehonatan“ als | |
| Aktiven aus dem Betar-Umfeld, der auf X unter dem Namen @ashkenaszi poste. | |
| Einmal veröffentlicht er ein Schwarz-Weiß-Bild von einer Gruppe deutscher | |
| Betar-Aktivisten. Es zeigt sie, posierend mit Israelflaggen, auf einem | |
| Platz in Amsterdam. Dazu teilt @ashkenaszi ein martialisches Zitat des | |
| Autors und Paramilitärs Avraham Stern. | |
| Stern gründete 1940 die Lechi, eine militante Organisation in Palästina, | |
| die im 2. Weltkrieg einen Burgfrieden mit den Briten ablehnte. Bevor die | |
| industrielle Judenvernichtung bekannt wurde, bemühten sich Mitglieder der | |
| Lechi gar um eine Allianz mit Hitler-Deutschland, stritten für die | |
| Errichtung eines jüdischen Staates auf der Grundlage nationalistischer und | |
| totalitärer Prinzipien. | |
| Makatov nennt Stern eine „sehr spannende Persönlichkeit“, er sei aber keine | |
| ideologische Inspiration für Betar. „Man muss auch verstehen: Juden haben | |
| nicht so viel moderne Geschichte. Es gibt nicht so eine große Auswahl von | |
| coolen jüdischen Organisationen, deren Ästhetik man sich bedienen kann.“ | |
| Eine wichtige Rolle spielt auch Betar-Gründer Jabotinsky, jener Vater des | |
| revisionistischen Zionismus, der von einem Großisrael träumte. Seine Betar | |
| arbeitete in den 1930ern und 1940ern in Palästina eng mit der | |
| paramilitärischen Irgun zusammen, die notorisch für Terroranschläge auf | |
| palästinensische Zivilisten war. Zusammen mit Sterns Lechi beging die Irgun | |
| im Dorf Deir Yassin das größte Massaker an Palästinensern im Krieg von | |
| 1948. | |
| Anführer der Irgun und von Betar wurde Menachem Begin, der später zum | |
| ersten Premierminister der Likud-Partei aufsteigen sollte. Betar ist in | |
| Israel nach wie vor mit der Likud verbandelt; so veröffentlichte der | |
| deutsche Ableger nach der Gründung ein kurzes Glückwunschschreiben von Iddo | |
| Netanjahu, dem kleinen Bruder des aktuellen Premierministers Benjamin | |
| Netanjahu. | |
| ## Kahanismus als Ideologie | |
| Nimrod Flaschenberg weist auf einen noch extremeren ideologischen Einfluss | |
| hin. Flaschenberg ist Israeli, engagiert sich in seiner Heimat in der | |
| linken Chadasch-Partei und lebt in Berlin, wo er Proteste gegen den Krieg | |
| in Gaza organisiert. Er sieht bei Betar Gemeinsamkeiten mit dem Rabbi Meir | |
| Kahane, einem jüdisch-amerikanischen Rassisten, der 1968 in den USA die | |
| Jewish Defense League gründete. | |
| „Der Kahanismus wollte Juden auch gegen andere Minderheiten verteidigen“, | |
| sagt Flaschenberg der taz. Bei Betar gebe es eine Mischung aus | |
| zionistischem Nationalismus, aggressiver Männlichkeit, Alt-Right-Motiven | |
| aus den USA und sogar „einigen sehr düsteren völkisch-deutschen Elementen�… | |
| So teilt der Account @ashkenaszi auch Bilder von Kahane, befürwortet in | |
| dessen Sinne die Vertreibung von Palästinensern aus Israel, dem | |
| Gazastreifen und dem Westjordanland und sorgt sich um die „ethnische | |
| Reinheit“ Europas. Mittlerweile lässt sich der Account auf X nicht mehr | |
| finden – Screenshots bei Eda aber belegen die Posts. Makatov bestätigt im | |
| Gespräch, dass Account-Inhaber Yehonatan Teil des „Netzwerks“ ist, seine | |
| Ansichten seien aber nicht repräsentativ für die meisten Leute bei Betar. | |
| Flaschenberg jedoch merkt an, dass in Israel die Grenzen zwischen der | |
| traditionellen rechten Likud und den Faschisten verschwimmen. So hat | |
| Netanjahu die [5][Vertreibung der Palästinenser] aus Gaza zum Ziel erklärt | |
| – eine Forderung der Kahanisten. Und mit Itamar Ben-Gvir sitzt mindestens | |
| [6][ein kahanistischer Minister im Kabinett], sagt Flaschenberg. | |
| „Kahanismus ist jetzt mehr oder weniger die herrschende Ideologie der | |
| Likud-Partei“. | |
| ## Israel und Volksverständnis | |
| Das Verhältnis zu Israel ist für Betar wichtig. Makatov sagt: „Ich hatte | |
| das Gefühl, dass es Zeit ist für eine jüdische Organisation, die der | |
| ideologischen Ausrichtung des Staates Israel und des Zionismus gerecht | |
| wird“. In Israel sei eine „rechte, rechtsradikale, manche sagen | |
| rechtsextreme Regierung“ an der Macht. „Ein Großteil der Juden weltweit und | |
| vor allen Dingen in Israel hat eher konservative Ansichten, die | |
| traditionsbewusst und bis zu einem gewissen Punkt auch militaristisch | |
| sind.“ Wenn man diese Punkte aber in Deutschland vertrete, werde man doof | |
| angeguckt. | |
| Ähnliches gilt für die Frage, wer Teil eines Volkes ist. „Das ist kein | |
| Konsens bei Betar, aber viele Leute meinen: Ja, ich habe den deutschen | |
| Pass, aber ich bin ethnisch kein Deutscher“, sagt Makatov. „Das ist der | |
| ethno-kulturelle Volksbegriff“. | |
| Diese Idee von Volkszugehörigkeit wird aktuell mit Bezug auf die AfD | |
| diskutiert. So begründet der Verfassungsschutz seine Einstufung der AfD als | |
| „gesichert rechtsextremistisch“ zentral damit, dass die Partei ein | |
| „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ vertrete, das mit der | |
| Verfassung nicht vereinbar sei. Makatov aber meint, Israel mache es ja | |
| genauso. „Die sagen: Auch wenn du den deutschen Pass hast, bist du Jude und | |
| kannst zu uns auswandern und Israeli werden. Die benutzen ja auch den | |
| ethno-kulturellen Volksbegriff.“ | |
| Gerade in Israel aber hat Betar als säkulare Orgaisation in letzter Zeit an | |
| Bedeutung verloren, dort wächst stattdessen die religiöse Rechte. Attraktiv | |
| scheint Betar vor allem für eine weltliche Diaspora zu sein, die sich | |
| besonders [7][seit dem 7. Oktober] radikalisiert. Beobachter in den USA | |
| meinen aber, dass Betars Außendarstellung dort viel auf Online-Trolling | |
| beruht, weniger auf Straßenpräsenz. Eine Einschätzung, die auch mit Blick | |
| auf Betar Deutschland bislang nicht abwegig ist. | |
| 17 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ich-werde-deutschland-verlassen/ | |
| [2] https://www.aljazeera.com/news/2025/3/25/what-is-betar-us-the-group-pushing… | |
| [3] https://edamagazin.de/betar-germany-die-gefaehrlichen-ansichten-ihrer-akteu… | |
| [4] https://edamagazin.de/betar-germany-die-gefaehrlichen-ansichten-ihrer-akteu… | |
| [5] /Krieg-im-Gazastreifen/!6086163 | |
| [6] /USA-Besuch-von-Itamar-Ben-Gvir/!6080823 | |
| [7] /Nach-Verabschiedung-im-Bundestag/!6049065 | |
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| Leon Holly | |
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