| # taz.de -- Berliner über den Krieg in Iran: Machtwechsel durch Bomben? | |
| > Berliner Iraner blicken mit Angst auf den neuen Krieg Israels. Die | |
| > Meinungen über Gründe und mögliche Folgen gehen weit auseinander. Zwei | |
| > Protokolle. | |
| Bild: Demo gegen Krieg am vergangenen Wochenende in Berlin | |
| „Es ist merkwürdig, aber es hat doch Freude überwogen, als ich vom Angriff | |
| Israels auf Iran erfahren habe. Denn für uns herrscht seit 46 Jahren | |
| faktisch Krieg: Hunderttausende Iraner wurden gefoltert, ermordet und | |
| Frauen vergewaltigt. Der erste Gedanke war deshalb: Dann ist es jetzt ein | |
| Ende mit Schrecken – aber mit der Perspektive, dass wir wieder ein freies | |
| Iran erleben können. | |
| Natürlich kamen dann auch schnell die Sorgen und Ängste um Freunde, Familie | |
| und die Zivilbevölkerung. Doch laut der offiziellen Angaben der Regierung | |
| wurden bislang vor allem die Islamisten getroffen: Von rund 1.600 | |
| Verletzten und Toten sollen „nur“ 200 Zivilisten sein, der Rest Militärs, | |
| Funktionäre und Wissenschaftler mit Verbindungen zum Atomprogramm. Ich | |
| halte diese Zahlen für glaubwürdig, denn das Regime hätte eher ein | |
| Interesse, die Zahl ziviler Opfer nach oben hin zu beschönigen. | |
| Natürlich verstehe ich auch, dass sich Iraner gegen den Krieg aussprechen. | |
| Über die Notwendigkeit von Krieg kann man sich in einem philosophischen | |
| Salon gut austauschen, aber wir stehen nun mal vor dieser realen Situation: | |
| Israel greift führende Köpfe der Islamischen Republik an. Diese Gelegenheit | |
| muss das iranische Volk jetzt nutzen. Denn im Alleingang kommen sie gegen | |
| diese bewaffneten Mörder nicht an. Israel hingegen hat in wenigen Tagen | |
| bereits das System zum Erliegen gebracht: Chamenei ist seit Tagen in einem | |
| Erdloch versteckt, von den obersten Vertretern des Regimes fehlt jede Spur. | |
| Die sind weg, weil sie Angst haben. | |
| Meine Hoffnung ist, dass in den nächsten Tagen der komplette Sturz der | |
| iranischen Republik besiegelt wird, es eine Übergangsregierung gibt, die | |
| Islamische Republik Geschichte ist und wir ein freies Iran erleben werden. | |
| Wenn dieses Regime die Militärschläge überlebt, wird es nur noch schlimmer | |
| für Andersdenkende. Niemand, der das Verhalten dieses Regimes in den | |
| letzten Jahrzehnten erlebt hat, kann ernsthaft glauben, dass Verhandlungen | |
| eine Option sind. Die Mullahs haben in den letzten 46 Jahren bewiesen, dass | |
| ihnen nicht zu trauen ist und sie sich mit Gewalt an der Macht halten | |
| werden. | |
| Israel zu unterstellen, dass es Iran aus wirtschaftlichen oder | |
| anderweitigen Interessen angegriffen hat, halte ich für zutiefst | |
| antisemitisch. Die Leute müssen begreifen, dass Israel sich zu diesem sehr | |
| mutigen Schritt entschlossen hat, weil sie Sicherheit wollen in ihrem | |
| eigenen Land. Iran hat diesen Krieg seit 46 Jahren herbeigeführt, indem sie | |
| offen Vernichtungswünsche Israels äußern und die Hamas und die Hisbollah | |
| aufrüsten. | |
| Ohne die Unterstützung Irans wäre der 7. Oktober nie denkbar gewesen. Ich | |
| bin kein Fan der ultrarechten Netanjahu-Regierung und sie haben Iran auch | |
| sicher nicht aus Mitleid mit dem armen iranischen Volk angegriffen. Aber | |
| ihre Sicherheitsinteressen decken sich gerade zufällig mit den | |
| Freiheitsinteressen der Iraner. | |
| Es ist schwer auszuhalten, dass [1][jetzt in Berlin Menschen gegen den | |
| Krieg demonstrieren], die noch vor einem Jahr unter dem Banner von „Jin, | |
| Jiyan, Azadi“ gegen das frauenverachtende System in Iran protestiert haben. | |
| In vielen dieser Bewegungen herrscht ein sehr vorgefertigtes Weltbild, in | |
| dem immer Israel und die USA schuld sind. | |
| Wenn mir jemand sagen kann, wie die Islamische Republik ohne Gewalt | |
| gestürzt werden kann, höre ich zu. Aber aktuell sehe ich keine | |
| Alternative.“ | |
| Resa Memarnia, 49 Jahre, Politikwissenschaftler | |
| „Ich klebe von morgens bis abends am Handy: Checke die Nachrichten, | |
| telefoniere mit meiner Familie in Deutschland, meiner Familie in Iran und | |
| iranischen Freund*innen in der Diaspora. Ich habe Angst, bin wütend und | |
| mache mir Sorgen – vor allem um die Leute, die der Situation schutzlos | |
| ausgeliefert sind: marginalisierte Menschen, Arme, Alte, Kranke und die | |
| unzähligen Gefangenen. | |
| Ich war nach der Meldung am vergangenen Freitag geschockt und hatte Angst. | |
| In der Diaspora wie auch in Iran habe ich aber verzeichnet, dass sich viele | |
| über die Angriffe freuen, weil die Monster, die auch die iranische | |
| Bevölkerung hasst, ermordet wurden. Die Stimmung ist jedoch in Angst | |
| umgeschlagen, als mit jedem Tag klarer wurde, dass auch die | |
| Zivilbevölkerung bombardiert und ermordet wird. Jeder versucht jetzt die | |
| eigene Familie vor Ort rauszukriegen. Die Autobahnen sind voll, es gibt | |
| kein Benzin mehr, die Flughäfen wurden evakuiert und die Grenzen dicht | |
| gemacht. | |
| Man kann in dieser hoffnungslosen Situation nichts machen, außer zu | |
| probieren, sich gegenseitig Trost zu spenden. Meine Verwandten vor Ort | |
| sagen, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, aber das ist schwer, wenn | |
| ihre Stadt bombardiert wird. | |
| Viele erhoffen sich durch den Angriff von Israel einen Regimewechsel. Ich | |
| glaube vor allem, dass das auch eine Bewältigungsstrategie ist: sich | |
| einzureden, dass das Bombardieren und Morden irgendeinen Sinn hat. Aber ich | |
| glaube, es ist zu gutgläubig zu denken, dass Netanjahu Frieden und Freude | |
| nach Iran bringen möchte. Der Krieg dient nur Netanjahus eigenen | |
| machtpolitischen Zwecken, nicht der iranischen Bevölkerung. Am Ende wird es | |
| die Diktatur nur verstärken, unzählige Tote und Hinrichtungen geben. Es ist | |
| immer so: Wenn Iran außenpolitisch unter Druck gerät, rächt es sich auch | |
| innenpolitisch. | |
| Jetzt in Berlin zu sein, fühlt sich an, wie in einem Paralleluniversum zu | |
| leben. Bei aller Solidarität von Freund*innen nehme ich besonders aus | |
| Teilen der linken Szene oft nur zögerliche Solidarität wahr. Vor allem, | |
| wenn es um Kritik an Israel geht, begegnet man in Deutschland oft einer | |
| besonderen Skepsis. Ich glaube aber auch, dass verinnerlichter Rassismus | |
| eine große Rolle spielt: Bilder von Krieg, Zerstörung und Leid aus dem | |
| Nahen Osten sind für viele so alltäglich geworden, dass sie kaum noch ernst | |
| genommen werden. | |
| Der Angriff auf die Ukraine zum Beispiel wurde in Deutschland völlig anders | |
| bewertet. Ich habe nicht den Eindruck, dass Syrien, Gaza oder Iran | |
| denselben Stellenwert haben – weder gesellschaftlich noch politisch. Dieses | |
| unsägliche Lied von Deutschland und anderen Staaten, dass Israel sich | |
| verteidigen darf, kann ich wirklich nicht mehr hören. Das hat nichts mit | |
| Selbstverteidigung zu tun! Diese unhinterfragte Loyalität und einseitige | |
| Berichterstattung ist für mich kaum auszuhalten. Alles, was diese Loyalität | |
| in Frage stellt, wird mundtot gemacht. Das haben wir schon bei den | |
| Protesten zu Gaza erlebt. | |
| Ich wünsche mir von der deutschen Gesellschaft mehr Solidarität – auch von | |
| Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Geht auf die Straße, zeigt | |
| Haltung, helft mit, dass nicht noch mehr Unschuldige sterben müssen. Und | |
| wenn ihr Menschen kennt, deren Familien in Iran leben: Fragt nach. Denn | |
| viele von uns befinden sich gerade in einem Strudel aus Angst, Sorge und | |
| Hilflosigkeit.“ | |
| Tooka Tajali-Awal, 33 Jahre, Sängerin | |
| 19 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Demo-gegen-Krieg-in-Gaza-und-Iran/!6095054 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
| ## TAGS | |
| Iran-Israel-Krieg | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Berlin | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran | |
| Iran-Israel-Krieg | |
| Iran-Israel-Krieg | |
| Jüdisches Leben | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Iran-Israel-Krieg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Klinik in Israel bei iranischem Angriff ge… | |
| Bei einem Angriff auf eine Klinik in Israel wurden 25 Menschen verletzt. | |
| Israels Botschafter nimmt Merz für seine „Drecksarbeit“-Aussage in Schutz. | |
| Demo gegen Krieg in Gaza und Iran: Faschismus befreit nicht vom Faschismus | |
| Hunderte haben in Berlin gegen den israelischen Völkermord in Gaza und den | |
| Angriff auf den Iran protestiert – mit scharfer Kritik am iranischen | |
| Regime. | |
| Gruppe Betar Deutschland: Jung, jüdisch, rechts | |
| Bei Betar Deutschland sammeln sich rechte Juden. Selbst mit der AfD haben | |
| sie keinerlei Berührungsängste. Was will die Organisation? | |
| Reaktion auf Krieg in Nahost: Grüne fordern Abschiebestopp in den Iran | |
| Israel bombardiert den Iran, doch formal sind deutsche Abschiebungen | |
| dorthin nicht gestoppt. Grünen-Abgeordnete machen nun Druck auf Bund und | |
| Länder. | |
| Repressionswelle in Iran: Neue Festnahmen und Exekutionen | |
| Irans Regime geht im Zuge der neuen israelischen Luftangriffe vermehrt | |
| gegen Kritiker:innen vor. Die NGO Iran Human Rights warnt vor | |
| Hinrichtungen. |