| # taz.de -- Grünen-Politiker über Abschiebungen: „Wir befeuern eine Scheind… | |
| > Seine Partei sollte Abschiebungen nach Afghanistan ausschließen, fordert | |
| > Erik Marquardt. Es gebe dort keine sicheren Gebiete. | |
| Bild: Ein Flugzeug der Meridiana steht Mitte Dezember auf dem Flughafen Frankfu… | |
| taz: Herr Marquardt, Sie sind Mitglied im Grünen-Parteirat und gerade von | |
| einer zweiwöchigen Afghanistan-Reise zurückgekehrt. Wie sah es dort aus? | |
| Erik Marquardt: Ich war in Kabul und in der Gegend von Masar-i-Scharif. | |
| Quer durchs Land reisen kann man leider nicht, das lässt die | |
| Sicherheitslage nicht zu. Ganze Gebiete werden von den Taliban | |
| kontrolliert. Selbst in den Städten, in denen ich war, ist alles hoch | |
| militarisiert. Wer es sich leisten kann, versteckt sein Haus hinter hohen | |
| Mauern. Überall sind Straßensperren. Ich hatte das Gefühl, in einem | |
| Kriegsgebiet zu sein. | |
| Gibt es in Afghanistan sichere Orte? | |
| Nein. Der UNHCR, die Flüchtlingsbehörde der Vereinten Nationen, hat vor | |
| Kurzem wieder betont, dass das Land nicht sicher ist. Das Einsatzkommando | |
| der Bundeswehr hat nach den jüngsten Anschlägen vor den Taliban gewarnt. | |
| Ich habe in den Botschaften dort Mitarbeiter getroffen, die mich gefragt | |
| haben, wie es draußen eigentlich aussieht. Die haben sich seit Monaten | |
| nicht vom Botschaftsgelände auf die Straße getraut. Das Auswärtige Amt rät | |
| dringend von Reisen nach Afghanistan ab. Aber gleichzeitig bewertet das | |
| deutsche Bundesinnenministerium Orte wie Kabul als sicher genug, dass man | |
| dorthin abschieben kann. | |
| Nicht nur das Innenministerium. Auch [1][grüne Regierungsvertreter aus zehn | |
| Bundesländern haben ein Papier verfasst], in dem sie Abschiebungen nach | |
| Afghanistan für grundsätzlich möglich erklären – obwohl Parteivorstand und | |
| Bundesfraktion dagegen sind. | |
| Ich habe das Papier mit großem Erstaunen gelesen. Es ist ein sehr | |
| technokratisches Dokument, das die Rechtslage darstellt. Zwar ist die | |
| Hauptaussage, dass die Beurteilung der Sicherheitslage Aufgabe des Bundes | |
| ist. Die grünen Ministerpräsidenten und Landesminister heben hervor, dass | |
| sie Abschiebungen nicht verhindern können. Trotzdem ärgere ich mich sehr | |
| über dieses Papier. | |
| Warum? | |
| Weil die Grünen damit eine innenpolitische Scheindebatte befeuern. Es gibt | |
| in Afghanistan keine sicheren Gebiete. Ich habe mich persönlich davon | |
| überzeugt. Was da diskutiert wird, hat mit der Realität nichts zu tun. Wir | |
| sollten die Bundesregierung klar angreifen – statt sie freundlich zu | |
| bitten, sich noch mal mit der Sicherheitslage auseinanderzusetzen. | |
| Die Grünen in Nordrhein-Westfalen beschlossen nun einen Abschiebestopp nach | |
| Afghanistan und appellieren an andere Länder, Ausweisungen dorthin ebenso | |
| zu verweigern. Eine Gegenoffensive? | |
| Ich bin froh, dass unter anderem die Landesverbände in Nordrhein-Westfalen | |
| und Berlin ihre Position deutlich klargestellt haben. Es muss jetzt noch | |
| mehr Initiativen für einen Winter-Abschiebestopp in Afghanistan geben. Das | |
| ist nicht unbedingt eine Gegenoffensive. Ich glaube, einigen war gar nicht | |
| bewusst, wie das Papier intendiert war. | |
| Wie war es denn intendiert? | |
| Die Initiative kam aus Baden-Württemberg. Ich glaube, dass Teile der Partei | |
| gerade, innenpolitisch motiviert, außenpolitisch schlechte Positionen | |
| vertreten. Im Dezember haben gab es seit Jahren die erste Sammelabschiebung | |
| dorthin. Die haben grüne Landespolitiker deutlich kritisiert. Jetzt wirkt | |
| das wie eine Kehrtwende. Aus Wahlkampfsicht ist das alles äußerst | |
| ungeschickt. | |
| Wollen die Grünen der AfD die Wähler abwerben? | |
| Nein, das wollen wir bestimmt nicht. Trotzdem sieht die Berichterstattung | |
| nun nach einer AfD-Annäherung auf dem Rücken der Leute aus Afghanistan aus. | |
| Wir sollten nicht auf den Rechtsruck reagieren, indem wir ihm | |
| entgegenkommen. Und wir sind als Partei nicht angetreten, um die größte | |
| Fahne im Wind zu sein. Die Berichterstattung trägt dazu bei, dass wir zu | |
| Anfang des Wahljahrs gespalten dastehen. Ich weiß nicht, was der Wähler | |
| daraus ziehen soll, wenn die Grünen sich streiten. | |
| Wird sich jetzt konkret etwas ändern für Asylbewerber aus Afghanistan? | |
| Das muss sich noch zeigen. Mir haben einige afghanische Asylbewerber | |
| geschrieben und gefragt, was da bei den Grünen los ist. Die haben Angst. | |
| Die aktuelle Abschreckungsmasche hat mit grüner Asylpolitik nichts zu tun. | |
| Wünschen Sie sich, Ihre Parteikollegen wären mit Ihnen in Afghanistan | |
| gewesen? | |
| Ja. Ich glaube, man kann die Situation nur unzureichend bewerten, wenn man | |
| hier am Schreibtisch im Warmen sitzt und Papiere schreibt. | |
| Sie kritisieren Ihre Partei sehr deutlich. | |
| Mir ist es egal, ob mir jetzt Leute in den Rücken fallen oder ob ich mit | |
| meiner Meinung in der Partei gut dastehe. Wichtig ist, dass wir jetzt | |
| wieder für eine menschenwürdige Asylpolitik streiten. | |
| 23 Jan 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jana Anzlinger | |
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