| # taz.de -- Gorki Theater in Berlin ausgezeichnet: Der Utopie schon ziemlich na… | |
| > Der Ruf der Theaterstadt Berlin ist mal wieder gerettet. Das Maxim Gorki | |
| > Theater ist zum Theater des Jahres gewählt worden. | |
| Bild: Ausgezeichnet als bestes deutschsprachiges Stück: „Es sagt mir nichts,… | |
| Den 29. August 2014 kann das Maxim Gorki Theater feiern. Es ist zum Theater | |
| des Jahres gewählt worden, mit 15 von 44 Stimmen, in einer Kritikerumfrage | |
| der Zeitschrift Theater heute. Der Titel gilt viel in der Theaterwelt. Am | |
| Freitag beginnt am Gorki auch wieder der Betrieb – ein früher Start nach | |
| der Sommerpause. In dem Stück „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, | |
| inszeniert von Yael Ronen, spielt Dimitrij Schad mit, der in der gleichen | |
| Umfrage zum besten Nachwuchsschauspieler gekürt wurde. | |
| Das ist schon ziemlich viel Ehre und Anerkennung für ein Haus, das erst | |
| eine Spielzeit lang mit neuem Ensemble und unter neuer Leitung, der | |
| Ko-Intendanten Shermin Langhoff und Jens Hillje, agiert. Aber aller guten | |
| Dinge sind drei: So hat in der Kategorie „Stück des Jahres“ ein Text von | |
| Sibylle Berg gewonnen, „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. | |
| Vier junge Frauen, die sich in sackartigen Klamotten eher verstecken, | |
| teilen sich in der Inszenierung von Sebastian Nübling am Gorki einen Text, | |
| der tief in die Befindlichkeiten und Unsicherheiten junger Leute heute | |
| blickt. Sie wollen verliebt sein, und verspotten die Liebe als | |
| Sinnstiftungsquelle und romantisches Gepose. | |
| Sie sind spröde bis zur Kontaktverweigerung, soziale Problemfälle, aber | |
| zugleich auch gewieft in neuen Geschäftsbereichen. Sie waren mal eine Gang, | |
| die Jungs verprügelt hat; aber vielleicht ist das auch nur eine Fiktion. | |
| Denn irgendwie lässt der Text von Sibylle Berg keine sichere Erkenntnis zu, | |
| wie wirklich die vier sind, und wie viel Virtualität schon in ihrer | |
| Existenz steckt. Vieles verschwimmt, woran man das Reale noch messen kann. | |
| ## Dialekt der Großstadt | |
| Nübling geht mit dem Text wie mit einer Partitur um, der Sprachrhythmus | |
| bringt die Figuren zum Tanzen und den Text zum Glänzen. Das Stück ist mit | |
| vier Schauspielerinnen besetzt (Nora Abdel-Maksoud, Rahel Jankowski, Suna | |
| Gürler und Cynthia Micas), deren Namen möglicherweise vermuten lassen, dass | |
| Migration eine Rolle in der Geschichte ihrer Familien gespielt hat. Für die | |
| Aufführung aber ist ihre Herkunft so bedeutend wie die Farbe ihrer | |
| Strumpfhosen. „Bedeutsam ist nur: Ihr Heimatdialekt ist großstädtisch, ihr | |
| Heimatgefühl ist ihnen abhanden gekommen“, schreibt Stephan Reuter im | |
| Jahrbuch von Theater heute. | |
| Das ist ein wichtiges Detail im Blick auf das Gorki, das zwar einerseits | |
| die Forderungen nach mehr postmigrantischen Stoffen und Akteuren im | |
| Stadttheater bedient und für diese programmatische Haltung sicher auch mit | |
| der Auszeichnung Theater des Jahres belohnt wird. Dieses Theater hat | |
| gemacht, was viele andere bisher versäumt haben – in der Auszeichnung | |
| spiegelt sich auch eine gewisse Erleichterung. | |
| Andererseits aber will sich das Haus darauf nicht reduzieren lassen. „Wir | |
| wollen auch Shakespeare“, sagt Shermin Langhoff im Gespräch mit Theater | |
| heute. Und sie wollen, wie Hillje ausführt, zu einer anderen Form von | |
| Selbstverständlichkeit im Umgang mit Vielfalt und Heterogenität kommen, | |
| ohne Pädagogik und Ausrufezeichen. Ob es ihnen gelingen wird, dieser | |
| theoretisch erkannten Gefahr einer Engführung langfristig zu entkommen, | |
| muss sich noch zeigen. | |
| ## Kritiker mit eingeschränkten Reisemöglichkeiten | |
| Von den 44 Theaterkritikern, die abgestimmt haben und das Gorki an die | |
| Spitze der deutschen Häuser wählten, kommen viele aus Berlin, das verleiht | |
| den Theatern in der Hauptstadt sicher einen Vorteil. Ich selbst bin unter | |
| den Abstimmenden und kenne von Theatern aus Zürich, München oder Hamburg | |
| oft nur, was zum Theatertreffen eingeladen war. Weil das vielen Kritikern | |
| mit eingeschränkten Reisemöglichkeiten so geht, ist Abgabeschluss für die | |
| Umfrage nach dem Theatertreffen. | |
| Fast immer findet sich die beste Inszenierung unter den zum Treffen nach | |
| Berlin eingeladenen: Diesmal ist es Karin Henkels fulminante | |
| Kleistinterpretation „Amphitryon und sein Doppelgänger“ vom Schauspielhaus | |
| Zürich. Doch dieser Relativierung zum Trotz ist die Auszeichnung ein Pfund, | |
| mit dem zu wuchern dem Gorki Theater, das auf die Einwerbung von | |
| Drittmitteln weiterhin angewiesen ist, auf jeden Fall zu gönnen ist. | |
| Das Jahrbuch von Theater heute beinhaltet auch 24 Antworten auf die Frage: | |
| Wie müsste das ideale Theater aussehen? Eine Antwort kommt von dem | |
| Schauspieler Aleksandar Radenkovic: „Ich will, dass mein Theater eine | |
| Haltung hat, eine Position einnimmt, auch wenn sie unangenehm, vielleicht | |
| zu laut, für manchen zu eindimensional scheint. Ich will mich zugehörig | |
| fühlen, mich breit machen in der Gesellschaft, ich will mich ärgern, | |
| streiten und auseinandersetzen.“ Aleksandar Radenkovic, Jahrgang 1979, hat | |
| in den letzten Jahren an vier festen Häusern gespielt. Seit der letzten | |
| Spielzeit gehört er zum Gorki. Und ist dort seiner Utopie schon ziemlich | |
| nahe gekommen. | |
| 28 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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