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# taz.de -- Armin Petras inszeniert „Das kalte Herz“: Die ausgelaugte Welt
> In seiner ersten Spielzeit am Schauspiel Stuttgart inszeniert Armin
> Patras „Das kalte Herz“. Hauffs Märchen über den Schwarzwald und das
> Reichwerden.
Bild: Johann Jürgens (Kohlenmunk) und Wofgang Michalek (Holländermichel).
Nun sind sie also Stuttgarter. Viele der Schauspieler, deren Porträtfotos
in der Kassenhalle des Schauspiels Stuttgart hängen, spielten vor Kurzem
noch in Berlin am Maxim-Gorki-Theater und wechselten mit dem Intendanten
Armin Petras die Stadt. Einer von ihnen, Peter Kurth, kommt im Mai nach
Berlin als „Onkel Wanja“ zurück, eingeladen zum Theatertreffen.
Auch sonst ist Petras’ bisherige Bilanz der ersten Spielzeit gut, was die
Aufmerksamkeit und die Auslastungszahlen angeht. Auch dank vieler
Klassiker- und Schulstoff-Inszenierungen, die Petras vom Gorki und von
anderen Theatern nach Stuttgart mitnehmen konnte.
Zu seinem Konzept aber gehört, das Gewordensein einer Stadt und einer
Region auf Erzählungen und Spielanlässe abzuklopfen. Mit dem Märchen „Das
kalte Herz“ von Wilhelm Hauff war so eine Tiefenbohrung geplant. Hauff, in
Stuttgart geboren, erzählt vom armen Köhlersohn Peter Munk, der endlich
auch einmal einen solchen Schlag bei den Mädchen haben will wie der
Tanzbodenkönig oder so viel Geld wie der reiche Ezechiel.
Dabei helfen ihm zwei konkurrierende Waldgeister: das Glasmännlein und der
Holländermichel. Sie stehen für zwei konkurrierende Industrien, die
Glasbläserei und das Holzgeschäft. Letztendlich ist Hauffs Märchen deshalb
auch eine Geschichte voller Trauer über die Verdrängung einer Ökonomie
durch die folgende, die als geldgierig, grausam und hartherzig beschrieben
wird.
## Waldmenschen in Fastnachtstrachten
Das Glasmännlein ist in der Stuttgarter Inszenierung eine Frau (Berit
Jentzsch) in einem grünen Tanztrikot, die, begleitet von Waldmenschen
(Schauspielstudierende), in zotteligen, rauen Fastnachtstrachten um Peter
Munk herumspringen. Als solche unheimlichen wilden Männer sieht man auch
das Ensemble selbst in schwarz-weißen Filmbildern durch den Schwarzwald
geistern, sehr stimmungsvoll und expressionistisch.
Der Holländermichel (Wolfgang Michalek) dagegen kommt allein, schwarzer
Mantel, schwarze Melone, Sonnenbrille. Nüchtern, kaufmännisch, rational ist
sein Gestus. Dass dies nur eine Tarnung ist, um sich Peters Herz
einzuverleiben – das eben macht das Märchen zum Märchen.
Im Heft zu seiner ersten Stuttgarter Spielzeit fragte Petras in einem Text,
mit dem er sich dem Publikum vorstellt, woher die Regenerationsfähigkeit
heutiger Gesellschaften kommen soll, die Jahrhunderte lang vor allem
erfolgreich darin waren, „sich Welt und damit die Ressourcen dieser Welt
einzuverleiben“ und nun das Problem haben, „vor einer ausgelaugten Welt zu
stehen“. Er hofft, dass das Theater eine Werkstatt sein kann, um andere
Weltbilder zu überprüfen.
## Die Suche nach anderen Traditionen
Im „Kalten Herz“ fängt er gleich damit an. Nicht nur im romantischen
Kunstmärchen nach anderen Weltbildern zu suchen, sondern auch in einer
Traditionspflege, wie sie eine Volkstanzgruppe und der Schwäbische
Albverein pflegen. Sie vertreten auf der Bühne die Dorfgemeinschaft und
holen in einer langen Szene dann auch noch das Publikum zu ihren
Kreistänzen und Polonaisen auf die Theaterbühne.
Das Ende des Märchens wird dreifach erzählt: Es gibt den gütigen Schluss
von der alten Märchenschallplatte für Kinder; es gibt den moralisierenden
Schluss von den Schauspielern vorgetragen, die mit anklagenden Gestus ins
Stuttgarter Publikum blicken, all jene eingemeindend, die wie Peter dem
Geld nachjagen.
Und es gibt den esoterischen Schluss vom Albverein, in dem Peter Munk in
einen ritualisierten Schwerttanz aufgenommen wird. Aber keines der drei
Modelle scheint wirklich tragfähig. Tatsächlich hat die Inszenierung ihre
stärksten Momente in der Performanz der Schauspieler.
Etwa, wenn der Holländermichel dem verunsicherten Kohlenmunk, der mit
nichts seine Zufriedenheit findet, sein lebendiges Herz abschwatzt –
sachlich, vernunftbetont, nie dramatisch auftrumpfend, im Diskurs dem
Hinterwäldler mindestens zwei Zeitalter voraus.
## Kein anderer Blick auf die Erzählung
Doch neben derartiger Schauspiel- und Inszenierungskunst setzt die
Aufführung eben viel, das für die Öffnung zu anderen kulturellen Codes und
Traditionen stehen will. Die Volkstanzgruppe bringt zwar Schwung in die
Bude, man schaltet um auf ein anderes Level von Energie; aber es öffnet
sich kein anderer Blick auf die Erzählung.
Das Nebeneinander der Kunstformen bleibt ein Nebeneinander und funktioniert
nicht als Fenster in andere Wirklichkeiten und ihre Konstruktionen.
Eigenartig aber war: Am Sonntag nach der Premiere, beim Spaziergang durch
Stuttgart, auf der Suche nach einem Flecken Stadt, der nicht von Kauf- und
Autohäusern definiert ist, sah ich die Trachten der Tanzgruppe wieder auf
einer Tafel, die für ein Volksfest im Stadtteil Bad Cannstatt wirbt, und
las am Rathaus dort, dass die Holzbalken seines Fachwerks aus dem
Schwarzwald gekommen sind, wie bei Hauff beschrieben.
Das jahrhundertealte Volksfest wurde erst vor wenigen Jahren wieder
eingeführt, das Fachwerk kürzlich wieder sichtbar gemacht. Geschichte ist
in Stuttgart nicht einfach gegenwärtig; es bedarf der Anstrengung, sie zu
berühren. Insofern passt „Das kalte Herz“ dann doch zur Stadt.
24 Feb 2014
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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