| # taz.de -- Fritsch-Oper an der Volksbühne: Nostalgie im Doppel-Moppel | |
| > Was lernt man in „Ohne Titel Nr.1“ von Herbert Fritsch? Die Hochkultur | |
| > hat Klischees produziert, über die man albern kann. Und: Auch Fürze | |
| > brauchen einen Dirigenten. | |
| Bild: Ruth Rosenfeld in Fritschs "Ohne Titel Nr. 1" | |
| Das ist Nostalgie. Das ist Nostalgie im Doppel-Moppel, die Erinnerung an | |
| die Erinnerung. Tief greift Herbert Fritsch in seinem neuen Stück „Ohne | |
| Titel Nr. 1“ in eine große Kiste, in der die Erinnerungen an kindliche | |
| Freuden auf der eine Seite gestapelt sind: das Schmachten bei alten Filmen, | |
| das Luftanhalten bei Zirkusnummern, das befreite Kichern bei furzenden | |
| Clowns. Und auf der anderen Seite liegen auf einem kleineren Stapel die | |
| merkwürdigen Rituale der ernsten Kunst und die zelebrierte Ehrfurcht vor | |
| der Avantgarde. Beides ineinanderrasseln zu lassen, ist das stete Anliegen | |
| des Regisseurs zum nicht geringen Vergnügen seines Publikums. | |
| Das beginnt schon bei der Ausstaffierung der Schauspieler, in glänzenden | |
| Abendroben wie aus einer sechzig, oder vielleicht auch achtzig Jahre | |
| zurückliegenden Revue (Kostüme von Victoria Behr). Die lockigen Frisuren | |
| wirken wie aus der Spritztüte für die Tortenverzierung gegossen und sind | |
| tatsächlich aus Plastik. Das fette Make-up verwandelt die Gesichter in | |
| Masken. So wirken die Schauspieler nicht selten wie Nippes-Figuren aus der | |
| Vitrine, eher aus Plaste, denn aus Porzellan. Zumal sie vor einem einzigen | |
| Möbelstück, einem überdimensionierten Sofa agieren, das sie ins Puppenhafte | |
| verkleinert. Hinzu kommt ein oft mechanischer Bewegungsduktus. Die Füße | |
| fest in den Boden gestemmt schwanken sie zu knarzenden Geräuschen, die der | |
| musikalische Leiter im Orchestergraben höchstpersönlich an seiner | |
| Knarzmaschine produziert, langsam hin und her wie die Takelage eines alten | |
| Segelbootes. | |
| „Ohne Titel Nr.1“ klingt wie ein typischer Bildtitel aus den heroischen | |
| Zeiten der abstrakten Malerei, als sich die aus den Zwängen des | |
| Gegenständlichen und Abbildenden losgelöste Kunst diese errungene Befreiung | |
| keinesfalls durch einen irgendwelche Assoziationen auslösenden Bildtitel | |
| verderben lassen wollte. „Ohne Titel Nr.1“ ist sozusagen die minimalste | |
| Form der Behauptung, aus dem Nichts etwas Neues zu schöpfen. Dass solche | |
| Kunst in der späteren Rezeption von ihrem historischen Kontext wieder | |
| eingeholt wird und dann grade in ihrem Begehren nach Unabhängigkeit doch | |
| von den Konventionen ihrer Zeit handelt, ist eine schöne Dialektik. Mit der | |
| hat Herbert Fritsch schon in „Murmel Murmel“ an der Volksbühne gespielt und | |
| reizt das in „Ohne Titel Nr.1“ noch einmal aus. | |
| Das Stück ist abstrakt im Sinne des Verzichts auf Geschichte, Handlung, | |
| Rollen, Dialog. Und zugleich wimmelt es von Reminiszenzen an die Effekte, | |
| die Theater und mehr noch seine schmuddligen Brüder Zirkus, Revue und Film | |
| auslösen. | |
| Wenn am Anfang alle Schauspieler als Musiker im Orchestergraben | |
| zusammenkommen, mit Säge, knisterndem Papier, E-Gitarre und Blockflöte, | |
| nehmen sie zuerst den Betrieb der E-Musik auf die Schippe, das Sammeln der | |
| Aufmerksamkeit vor dem ersten Ton, die Sprödigkeit der Neuen Musik, die | |
| Autorität des Dirigenten. Das passt grade gut zur Debatte, warum junge | |
| Leute keine Lust auf klassische Konzerte haben. Die Rahmung solcher | |
| Musikereignisse selbst wird hier zur Aufführung – als Karikatur, aber nicht | |
| nur das. Sondern auch als glänzend funktionierender Auftakt, mit dem dieser | |
| Haufen Clowns die Zuschauer packt. | |
| Wenn die Schauspieler dann auf der Bühne agieren, sitzen im Orchester | |
| weiter drei Musiker, die vor allem mit Geräuschen die Bewegungen | |
| akzentuieren. Das können die Bewegungen der ganze Gruppe sein, oder für | |
| jeden, der seinen Kopf gegen das Sofa im Holzimitatlook donnert, ein | |
| ausgiebiges Scheppern. Selbst auf so einen kleinen Muskel wie eine einzelne | |
| Zunge richtet sich musik- und lichtgestützt die ganze Aufmerksamkeit, wenn | |
| sie sich aus dem Mund einer Schauspielerin schiebt und minutenlang einen | |
| einsamen Schlangentanz aufführt. | |
| Ein großer Teil der Komik entsteht aus einem vorgetäuschten Dilettantismus | |
| – Zaubern wollen, ohne die Tricks zu beherrschen, Witze mit ausufernden | |
| Umständlichkeit zelebrieren. Da führt uns dann ein Virtuose wie Wolfram | |
| Koch vor, wie ein nach Virtuosität gierender Laie andauernd etwas falsch | |
| macht – und das ist viel lustiger als die perfekte Nummer. | |
| Wohltuend albern ist „Ohne Titel Nr.1“ auf jeden Fall, aber es bietet nicht | |
| mehr die Überraschung wie „Murmel Murmel“, ist auch nicht mehr von gleicher | |
| Dichte in der Komposition und der Arbeit mit Zeit und Raum. Es ist doch | |
| eher eine Vorführung des Handwerkszeugs der Dekonstruktion von Ritualen der | |
| Kunst, ohne zugleich von der Notwendigkeit dieser Zerlegungsarbeit erzählen | |
| zu können. Man plündert einen Toten noch einmal, weil es beim letzten Mal | |
| schon so viel Spaß gemacht hat. | |
| ## ■ Wieder am 31. Januar, 4. und 23. Februar in der Volksbühne | |
| 24 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Berliner Volksbühne | |
| Berlin | |
| Armin Petras | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Armin Petras inszeniert „Das kalte Herz“: Die ausgelaugte Welt | |
| In seiner ersten Spielzeit am Schauspiel Stuttgart inszeniert Armin Patras | |
| „Das kalte Herz“. Hauffs Märchen über den Schwarzwald und das Reichwerden. | |
| Theatertreffen 2013: Über das Gestern ins Heute zielen | |
| Man ist einfach froh, Bewährtes wiederzufinden: Die Kritikerjury hat ihre | |
| Auswahl für das Theatertreffen im Mai bekannt gegegen. | |
| Theater des Jahres: Berlin darf sich mal freuen | |
| Das neue Jahrbuch von „Theater heute“ ist erschienen und mit ihm die | |
| Kritikerumfrage: Das HAU aus Berlin ist Theater des Jahres. | |
| Berliner Volksbühne: Das Theater lebt, lebt und ist tot, tot | |
| Der Ruf der Berliner Volksbühne hat in den vergangenen Jahren gelitten. Nun | |
| zieht sie vermehrt Junge an. Hat die Volksbühne eine neue Erzählung | |
| gefunden? |