# taz.de -- Theatertreffen 2013: Über das Gestern ins Heute zielen | |
> Man ist einfach froh, Bewährtes wiederzufinden: Die Kritikerjury hat ihre | |
> Auswahl für das Theatertreffen im Mai bekannt gegegen. | |
Bild: Einladung zum Theatertreffen 2013: Lina Beckmann und Jennifer Frank in �… | |
Die „Medea“, die Michael Thalheimer am Schauspiel Frankfurt inszenierte, | |
„könnte ein rauschenden Erfolg“ werden, prognostizierte unsere Autorin | |
Shirin Sojitrawalla nach der Premiere. So wirkmächtig sei die präzise | |
Choreografie von Worten, Körpern und Licht; so unfassbar wuchtig und | |
unfassbar glaubwürdig zugleich verkörpere die Schauspielerin Constanze | |
Becker die Kindsmörderin Medea. | |
Und man dachte als Leser im fernen Berlin erleichtert, dass Michael | |
Thalheimer mit diesem antiken Stoff zur Stärke seiner früheren Arbeiten in | |
Hamburg und Berlin wieder aufgeschlossen hat. Und dass das Schauspiel | |
Frankfurt endlich etwas von dem Glanz abbekommt, den Oliver Reese, der vom | |
Deutschen Theater in Berlin als Intendant nach Frankfurt ging, im Gepäck zu | |
haben versprach. | |
Nun ist die „Medea“ tatsächlich erfolgreich, sie gehört zu den 10 | |
Inszenierungen, die zum Theatertreffen in Berlin (3. bis 19. Mai) | |
eingeladen sind. Die siebenköpfige Kritiker-Jury gab dies am Montag bekannt | |
und kommentierte ihre Auswahl im Haus der Berliner Festspiele auf der | |
Seitenbühne, während in den anderen Räumen des Hauses das Berlinale-Kino | |
Einzug erhalten hat. | |
## Schon gefeiert | |
Ähnlich wie mit Thalheimer geht es einem bei vielen der eingeladenen | |
Aufführungen: Man ist ja froh, dass man sie hat, die Inszenierungen von | |
Karin Henkel und Katie Mitchell (“Die Ratten“ und „Die Reise durch die | |
Nacht“, beide Schauspiel Köln), von Herbert Fritsch (“Murmel Murmel“, | |
Volksbühne Berlin), Johann Simons (“Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“, | |
Kammerspiele München) - aber große Überraschungen erwartet man da | |
eigentlich nicht mehr. | |
Ihre Handschriften sind bekannt, die Leistungen der Ensembles in Köln und | |
München schon vielfach ausgezeichnet. Und auch die Schauspielerinnen, auf | |
die man sich bei dieser Auswahl freuen kann, - Lina Beckmann, Constanze | |
Becker, Sandra Hüller, Wiebke Puls - wurde alle schon in Berlin gefeiert, | |
oder gar mit Preisen beim Theatertreffen ausgezeichnet. | |
Das spricht nicht gegen die Auswahl, ist eher ein Garant für ihre Solidität | |
- aber es nimmt eine Illusion fort, nämlich die, dass sich das Theater im | |
Raum seiner vielen Möglichkeiten irgendwo immer, wenn man nur sorgfältig | |
genug sucht - schließlich sah die Jury 423 Inszenierungen, in 69 Städten - | |
, auch in eine neue Richtung entwickeln kann, andere Stoffe und Denkformen | |
findet. Letztes Jahr war das so - dieses Jahr nicht. | |
## Die soziale Kälte der Gegenwart | |
Wo die Gegenwart der Auswahl aber doch ihren Stempel aufgedrückt zu haben | |
scheint, zeigt sich in der Wiederbeschäftigung mit Autoren wie Hans Fallada | |
(“Jeder stirbt für sich allein“, Luk Perceval am Thalia Theater in | |
Hamburg), Gerhart Hauptmann (“Die Ratten) und Bertolt Brecht (“Die heilige | |
Johanna der Schlachthöfe“ (Sebastian Baumgarten, Schauspiel Zürich). Es ist | |
die soziale Kälte der Gegenwart, die Entsolidarisierung der Gesellschaft, | |
die Dramaturgen und Regisseure nach diesen Texten greifen lässt. | |
Sie zielen, wie es Franz Wille, einer der sieben Juroren ausdrückte, über | |
das Gestern ins Heute. Und so, wie er und weitere Jurymitglieder davon | |
erzählten, taugen sie als analytisches Instrumentarium des Heute auch | |
gerade dann, wenn sie den zeitlichen Horizont ihrer Entstehung und den | |
Abstand mitreflektieren. | |
Und trotzdem ist das auch ein bedenklicher Befund - dass unsere | |
Stadttheater keine anderen Texte als diese Klassiker haben, den aktuellen | |
Problemlagen heute auf den Leib zu rücken. | |
Eine schöne Geste ist die Einladung von „Krieg und Frieden“ nach Lew | |
Tolstoi in der Inszenierung von Sebastian Hartmann am Centraltheater | |
Leipzig. Sie gilt nicht nur einem Regisseur, um den in seiner Zeit als | |
Intendant in Leipzig heftig gestritten wurde, sondern auch einem | |
großartigen Zugriff auf einen Roman, Verdichtung von Motiven und | |
Verwandlung von Bildern - so wie dieses Ensemble das entwickelt, kann eben | |
nur das Theater erzählen. | |
11 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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Zuletzt gabs' wenig Lob für das Haus. Medea könnte jetzt ein rauschender | |
Erfolg werden. |