Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gedenken an Kolonialismus: Wider den Exotismus
> Erinnerung an die Berliner Konferenz von 1884: Simone Dede Ayivi zeigt
> „Performing Back“ in Berlin. Ein Porträt der Künstlerin.
Bild: Einfach mal die Geschichte wegpusten: Simone Dede Ayivi.
„Ans Ballhaus kommen ist auch nach Hause kommen“, sagt Simone Dede Ayivi
bei der Eröffnung der Ausstellung „Yesternow“ im Ballhaus Naunynstraße. D…
Raum im Untergeschoss ist voller Menschen.
Applaus ertönt, als die Künstlerin nach ihrer kleinen Rede von der Bühne
geht, die man wohl eher Podest nennen sollte. Yesternow zeigt Fotos und
Bilder von verschiedenen Künstlern, es ist der Auftakt der
Veranstaltungsreihe „We are tomorrow“, bei der bald auch die
Performancekünstlerin Ayivi auftritt.
Es geht bei der Reihe um Visionen und Erinnerungen anlässlich der Berliner
Konferenz von 1884. Es ist nun 130 Jahre her, dass sich Reichskanzler Otto
von Bismarck mit europäischen Diplomaten an der Spree zusammensetzte, um
über die Aufteilung Afrikas zu beraten.
Unter Ausschluss der Afrikaner, versteht sich. Man wollte den Kontinent für
Bildung und Handel erschließen, das Selbstbestimmungsrecht war außen vor.
Die Folgen dieses weithin ausgeblendeten Kapitels der deutschen Geschichte
dauern bis heute an.
## Zwischen Autobahn und Schwänchenteich
Einige Tage später sitzt Simone Dede Ayivi – das „e“ in ihrem Vornamen i…
stumm – in einem kleinen Kreuzberger Café. Ihre kurze Rede bei der
Eröffnung sei spontan gewesen, sagt sie. Die 32-Jährige ist nicht nur
Performancekünstlerin, sie ist auch Regisseurin. Im Ballhaus ist Ende der
Woche an zwei Abenden ihr Stück „Performing back“ zu sehen – sie ist
Regisseurin und Darstellerin zugleich.
Es ist eine „akribische Spurensuche im scheinbar unscheinbaren Stadtbild
zwischen Autobahn und Schwänchenteich“ – so jedenfalls kündigt das Ballha…
die Performance an. Auf der Bühne bereist sie Orte ehemaliger Völkerschauen
oder Kolonialdenkmäler.
Es ist eine Expedition in die belastete und nur zu gern verdrängte
Vergangenheit. Begleitet wird sie dabei von Stimmen und Erzählungen
afrodeutscher AktivistInnen und Kulturschaffender. Auf verschiedenen Ebenen
der Bühne zeigen Videoprojektionen dem Publikum die historischen Plätze
oder Straßen, um die es der Künstlerin geht.
Ayivi ist froh, Teil von „We are tomorrow“ zu sein, sie freut sich auf den
Austausch mit dem Publikum und den KünstlerInnen.
Schon Ayivis frühere Inszenierungen handelten von Rollenbildern, sie
hinterfragen Klischees und Stereotype und setzen sie in einen neuen
Kontext. Es geht ihr um den strukturellen Rassismus der Gesellschaft, sagt
sie. Manche hielten es für zu dick aufgetragen, wenn man ständig davon
spreche oder meinten, sie solle nicht so empfindlich sein.
Wieder andere würden fragen, warum sie sich selbst auf Rassismus reduziere.
„Das ist eine besonders absurde Frage, finde ich. Die Themen sind ja da und
selbst, wenn ich aufhöre, mich beruflich damit zu beschäftigen, wären sie
trotzdem Teil meines Alltags – also dann doch gleich auf der Bühne“, sagt
Ayivi, während sie die weiße Kaffeetasse in ihren Händen im Kreis dreht.
Die Wahlberlinerin aus Hanau am Main hat in Hildesheim Kulturwissenschaften
mit Theaterschwerpunkt studiert. Es sei eine sehr weiße Ausbildung gewesen,
sagt sie. Seit einiger Zeit versuche sie nun Kunst zu machen, bei der sie
sich selbst ins Publikum imaginiert. Sie möchte sich auf der Bühne nicht
selbst exotisieren. „Ich war es gewohnt, meine Themen einem Publikum
näherzubringen, das einen anderen Blick darauf hat.
Aber es gibt genug Theater aus einer weißen Perspektive, für eine weiße
Mehrheitsgesellschaft – also angenommen, ich hätte ein schwarzes Publikum,
wie würde ich dann arbeiten“, das sei die zentrale Frage gewesen, die sich
die Künstlerin gestellt habe. „Performing Back“ ist nun eine Antwort darauf
und das Ballhaus, das den Anspruch hat, neue deutsche Geschichten zu
erzählen, wird nun dieses Stück zeigen, das wiederum den Anspruch hat, eine
neue, postkoloniale Ästhetik zu finden.
## Das Theater als utopischer Ort
Die sonst als weltoffen geltende Theaterszene hält Ayivi für verbohrt. Es
fehle an Selbstreflexion, die Ensembles spiegelten in ihrer Zusammensetzung
so gut wie nie die Gesellschaft wider, sagt sie. Sie ist sicher, dass man
von der Kunst mehr verlangen müsse. „Das Theater könnte ein utopischer Ort
sein, wo Dinge möglich sind, die auf der Straße nicht möglich sind“, sagt
sie.
Die Relevanz ihrer Stücke – auch im beruflichen Umfeld – werde aber kaum
wahrgenommen. „Ich höre dann, dass man diese Themen am Theater nicht
braucht“, sagt Ayivi. Manchmal würde man ihr auch kurzerhand die Kunst
aberkennen. „Ich wurde schon gefragt, warum ich meine Stücke nicht in
Jugendzentren in Ostdeutschland zeige – als ginge es um einen
aufklärerischen Anspruch oder antirassistischen Aktionismus.“ Als handele
es sich um einen pädagogischen Akt, nicht um Theater oder Performancekunst.
Im kommenden Jahr will sich die Regisseurin in ihren Stücken auf Lösungen
konzentrieren – von Utopien und Afrofuturismus sollen sie handeln. Dass ihr
die Arbeit auch wahnsinnig Spaß macht, das ginge oft unter, sagt sie und
stochert nachdenklich in ihrem Zitronenkuchen.
Aber tatsächlich habe sie das Gefühl, mit jedem Stück mehr zu verstehen und
dem Rassismus mehr entgegensetzen zu können. „Manchmal verletzt mich das
alles auch, ich hab ja nicht in Drachenblut gebadet.“ Aber gerade „We are
tomorrow“ sei eine Bestätigung für sie. „Das ist ein ganz guter Ausgleich
zur Realität, die du über die Medien mitkriegst – wenn etwa paar Tausend
Nazis in Hannover aufmarschieren. Durch die Community und die KünstlerInnen
sehe ich, dass ich nicht allein bin.“
21 Nov 2014
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Postkolonialismus
Kolonialismus
Berlin
Postmigrantisch
Schwerpunkt Berlinale
Biennale
Elfriede Jelinek
Maxim Gorki Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Performance „The Kids Are Alright“: Deutschland ist kein Paradies
Simone Dede Ayivi teilt im hannoverschen Theater im Pavillon
Kindheitserinnerungen an rassistische Angriffe und familiäre Konflikte.
Goldener Ehrenbär der Berlinale: Perfekter Kamerawirbel
Michael Ballhaus wird für sein Lebenswerk geehrt. Er war Kameramann bei
Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese und Wolfgang Petersen.
Postkoloniale senegalesische Kunst: Tanz auf Jutesäcken
Keine Schublade für afrikanische Kunst: Die Retrospektive des
senegalesischen Künstlers El Hadji Sy im Frankfurter Weltkulturen Museum.
Jelinek-Inszenierungen in Hamburg: So eine Art deutsches Wesen
Zweimal Elfriede Jelinek zum Thema Migration: Was man hierzulande
Flüchtlingen abverlangt, ist Deutschen in der Ferne nicht zuzumuten.
Gorki Theater in Berlin ausgezeichnet: Der Utopie schon ziemlich nahe
Der Ruf der Theaterstadt Berlin ist mal wieder gerettet. Das Maxim Gorki
Theater ist zum Theater des Jahres gewählt worden.
Kritikerin über Bücher und Autoren: „Mir geht es um Migrationsliteratur“
Die Kritikerin Sigrid Löffler über ihr umstrittenes Buch, außereuropäische
Schriftsteller, Weltwanderungen und vier Ankunftsstädte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.