# taz.de -- Performance „The Kids Are Alright“: Deutschland ist kein Paradi… | |
> Simone Dede Ayivi teilt im hannoverschen Theater im Pavillon | |
> Kindheitserinnerungen an rassistische Angriffe und familiäre Konflikte. | |
Bild: Blick in die Uraufführung: Auf dem Spielplatz der Bühne suchen sich all… | |
HANNOVER taz | Wer will, kann gern von außen draufschauen, wie von den | |
Elternbänken. Aber es ist auch möglich, im inneren Kreis zu sitzen, in der | |
Mitte, auf der Plattform des 80er-Jahre-Spielplatzkarussells – die Dinger | |
kennen ja alle. Sie sind unverwüstlich, deshalb stehen sie überall. | |
Brauchste nur draufzuschauen, schon sind sie wieder da, im Kopf, | |
Schwindelgefühle, wildes Drehen, Herzklopfen beim Abspringen in rasender | |
Fahrt. | |
Sich Kindheitserinnerungen nicht nur nostalgisch zu überlassen, sondern | |
deren Reflexion anzuregen gelingt der Performance „The Kids Are Alright“ | |
von Simone Dede Ayivi durch die Rauminszenierung noch bevor das erste Wort | |
gesprochen ist: Das lässt sich auch dem Video-Trailer entnehmen, der bei | |
der Uraufführung in den Berliner Sophiensälen entstanden war. | |
Jetzt lädt Ayivi in Hannover die Besucher*innen des Theaters im | |
Pavillon auf einen abstrakten Spielplatz, auf dem die Wahl des eigenen | |
Standorts immer auch eine Rollenentscheidung bleibt: Wie ordne ich mich in | |
dieser umfriedeten künstlichen Welt ein? Welche Möglichkeiten ergeben sich? | |
Was hätte werden können? | |
Simone Dede Ayivi „produziert Text und macht Theater aus Schwarzer | |
feministischer Perspektive“ lautet, lapidar, [1][die Selbstbeschreibung auf | |
ihrer Homepage]. Bei Hanau geboren und aufgewachsen lebt sie inzwischen in | |
Berlin, „wie alle“, sagt sie. | |
## Eine radikal kurze Performance | |
Längst hat sie sich dort als [2][eine der wichtigsten Stimmen der | |
postmigrantischen darstellenden Künste] in Deutschland etabliert: | |
„Performing Back“ hatte mit einer dokumentar-theatralen Expedition | |
erfahrbar gemacht, wie sehr Kolonialgeschichte die Gegenwart prägt – | |
sowohl in Deutschland als auch in Togo, in Institutionen wie in Familien. | |
Danach hat Ayivi [3][das Weltall als postrassistischen Möglichkeitsraum] | |
erobert mit der afrofuturistischen One-Woman-Show „First Black Woman in | |
Space“. Auch die wurde in Berlin uraufgeführt. | |
Der Auftritt in Niedersachsen ist dabei trotzdem so etwas wie ein | |
Heimspiel: Am [4][Theater im Pavillon] war Simone Dede Ayivi schon früher | |
zu Gast gewesen. Zwei Jahre lang hatte sie dort die Theateralkshow „Planet | |
X“ moderiert, die Produktionen „Queens“ und „Performing Back“ waren d… | |
sehen gewesen. „Obwohl das Haus inzwischen eine andere Leitung hat, hält | |
die Beziehung offenbar noch, was mich natürlich freut“, sagt sie. | |
Und ihre künstlerischen Anfänge liegen in Hildesheim. Dort hatte sie | |
Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis studiert, mehrere Jahre lang | |
zum Leitungsteam des Theaterhauses gehört und außerdem das traditionelle | |
Late-Night-Format „Nachtbar“ des Theaters für Niedersachsen kuratiert. | |
„The Kids Are Alright“ ist mit rund 40 Minuten radikal kurz und eher | |
Installation als Schauspiel: Das Karussell ist von einem Kreis | |
leuchtend-weißer Rechteckflächen umstellt, die per Videoprojektion zu Türen | |
werden, zu weißen Holztüren fürs Innere einer Altbauwohnung, die sehr | |
verschlossen wirken können. | |
Es aber nicht bleiben müssen: Nach und nach werden sie zu Displays | |
gemorpht, auf denen mal ein Klettergerüst, mal Spielzeug, mal Personen | |
erscheinen, in Totale, als klassische Porträts, oder auch fragmentiert, | |
nur als Torso: die Erzähler*innen, also die Theatermacherin selbst und ihre | |
fünf „Kompliz*innen“, wie Dede Ayivi sie mit sanfter Ironie nennt. | |
## Stimmen und Bilder sind asynchron | |
Beim Cast sei ihr wichtig gewesen, dass „alle in der | |
Antidiskriminierungsarbeit tätig waren“, also Expert*innen, die über | |
ihre Betroffenheit hinaus „professionell das Thema reflektiert haben“. Die | |
aufgezeichneten Erinnerungen daran, wie es war, und was es für die | |
Gegenwart bedeutet, mit Migrationserbe in Deutschland aufzuwachsen, | |
empfängt das Publikum über Kopfhörer. | |
Stimmen und Bilder sind asynchron, was wie ein Appell funktioniert, | |
Beziehungen herzustellen, zwischen, aber auch zu ihnen. Die Inszenierung | |
wahrt dabei räumlich die Form der Recherche: „Wir haben tatsächlich im | |
Stuhlkreis zusammengesessen“, so Ayivi. | |
Das dialogische Format prägt die Berichte: Erfahrungen gleichen sich, | |
ergänzen einander. Dass die Eltern hierher gezogen sind, damit die Kinder | |
es mal besser hätten, erzeugt innerfamiliäre Spannungen, wenn die neue | |
Heimat kein Paradies ist und undankbare Töchter und Söhne das auch noch | |
artikulieren. | |
Denn Deutschland ist kein Paradies. Der einzige Asian im Kuhkaff in der | |
Eifel erlebt ähnliche Zurückweisungen und Angriffe wie der erste schwarze | |
Mensch in ländlichen Räumen Sachsens. Auch kindliche Strategien, damit | |
umzugehen, ähneln einander: Weihnachtsgeschenke erfinden, um auf dem | |
Pausenhof mitreden zu können, „ach, das hast du auch gemacht?!“ | |
Es sind oft schmerzhafte Erlebnisse, [5][um die es geht]. „Aber ich glaube | |
nicht, dass wir Rassismus reproduzieren“, sagt Ayivi. Im Gegenteil, „wir | |
alle haben diese Gespräche als heilsam erfahren.“ Und während die | |
Performance einerseits zur Erkenntnis verführt, nicht allein zu sein, | |
vermag sie in weißer Perspektive für Ängste, Furcht, Verletzungen zu | |
sensibilisieren. Die anzuerkennen sind, nicht aus Mitleid, sondern aus | |
Solidarität. | |
23 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://www.simonededeayivi.com/ | |
[2] /Gedenken-an-Kolonialismus/!5028127 | |
[3] https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&am… | |
[4] https://pavillon-hannover.reservix.de/events | |
[5] /Angriffe-auf-linke-Projekte/!5574358 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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