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# taz.de -- Theaterstück über Hannelore Kohl: Die große Sprachlosigkeit
> Ist ein solches Leben heute noch denkbar? „Schatten::Frau“ ist eine
> Etappenreise durch das Leben der Hannelore Kohl – und durch Bad
> Godesberg.
Bild: Entschied sich gegen das Leben: Hannelore Kohl (Archivbild, 1997).
Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau, heißt es. Eine, die die
Fassade wahrt, die Kinder großzieht, die Abwesenheit erträgt, ohne sich
direkt auf den Leibwächter zu stürzen – mag das früher bedeutet haben.
Heute ist Partnerschaft Verhandlungssache, living apart together ein
Lebensstil, der Leibwächter eingeplanter Teil der Polyamorie. Dazwischen
liegen keine zwanzig Jahre. Oder?
„Schatten::Frau“ heißt das „Projekt für je einen Zuschauer“ am Theater
Bonn, das Beziehungsrationalisten auf die Probe stellt. Es zeigt, was
passiert, wenn der moderne Mensch zurückgeworfen wird in die Welt der
Hannelore Kohl. Fängt er an, mit ihr zu verhandeln? Oder erträgt er die
Vorwürfe, die Demut und Selbstdemütigung in stoischer Gelassenheit?
Das Stück von Bernhard Mikeska (Regie) und Lothar Kittstein (Autor) ist an
keinem anderen Ort besser aufgehoben als in Bad Godesberg, dem ehemaligen
Bonner Botschaftsviertel, wo alte Villen und biedere Bauten die
allabendlich leeren Straßen säumen. Hier ist das „Ria Maternus“, die
Kneipe, in der Konrad Adenauer saß. Im benachbarten Vorort, der hübsch ist
und Pech heißt, wohnt der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Immer noch. Ein Ort mit Vergangenheit, in einer Stadt, die in der
Erinnerung lebt.
Hannelore Renners Weg nach Bonn ist ein schmerzhafter: 1933 in Berlin
geboren, verbringt sie ihre Kindheit in Leipzig. Durch den Krieg verliert
die Familie ihren Reichtum und unternimmt bei Ludwigshafen einen Neuanfang.
Beim Tanztee lernt sie als Teenager den gerade 18-jährigen Kohl kennen, sie
heiraten 1960, zwölf Jahre später. Als Helmut Kohl 1982 Kanzler wird, ist
sie die deutsche „First Lady“ – und ihr Leben erschöpft sich im Blick
zurück.
## Fahrt in die innere Enge
Die Reise in diese goldene Zeit Bonns beginnt in einem kleinen Container
neben dem Theater in Bad Godesberg. Ein Bett, eine Pillenpackung, ein
Wasserglas stimmen ein auf die Fahrt in die innere Enge. Über den Kopfhörer
rieseln die Gedanken einer Depressiven in den eigenen Kopf: „Was hast du
denn auch erwartet, Püppi?“ Von Bonn, dieser kleinen Stadt, dem engen Haus,
dem Leibwächter, der den Schlaf überwacht. Der Ehemann ist ja draußen und
macht Politik.
Dann wird der beengte Raum dramatisch aufgelöst: Ein alter Mercedes bringt
den Betrachter zum Rhein. Beinahe Sorgen muss man sich machen um das
parfümierte Mädchen Hannelore (Julia Keiling), das sich hier am Rheinufer
erst anbietet, dann schmollt. Knappe zwei Millimeter bleiben zwischen
eigenen und fremden Lippen, knallrot gemalt – und jetzt? Ist das nicht
strafbar? Das zumindest wird sich der junge Kohl, dem dieses Angebot galt,
nicht nur einmal gefragt haben.
Die nächste Szene, Hannelore altert, trägt nun Kostüm statt Sommerkleid.
Schauspielerin Mareike Hein hat sich die Blicke so genau angeeignet, dass
sie fast Angst macht. Erneutes Spiel mit körperlicher Nähe, doch diesmal
auch der nervtötend vorgebrachte Wunsch nach seelischer Intimität. Nach
Stunden des Wartens auf den Gatten, hatte Hannelore Kohl einmal im
Interview gesagt, könne man nur von einem Hund erwarten, dass er sich über
die Rückkehr des Hausherren freue.
Hier entwickelt der Zuschauer nun überhaupt kein Mitleid mit der Figur,
eher einen gewissen Sadismus. Aber nein: Man muss ja trösten, richtig.
## Todtraurig, dass es wehtut
Der Mercedes ruckelt vorbei an erleuchteten Jugendstilfenstern. Erneut im
Theater, empfängt eine Hannelore (Birte Schrein) im Endstadium, so
todtraurig, dass es wehtut. Man steht nun einem Menschen gegenüber, der
erloschen ist, ohne je zu brennen. Es ist halb zehn, die Vorhänge sind
zugezogen. Was, fragt diese letzte Begegnung, ist nur aus dem Kind
geworden? Das Selbstverständnis ist nun das einer Frau, die nichts zu
erwarten hat. Selbst das Locken, Wegstoßen und Führen des Zuschauers hat
sich verloren. Mehr als Händchenhalten ist nicht drin.
Nun muss niemand überlegen, in welcher Gefühlswelt – ironisch, sadistisch
oder väterlich – er sich befindet. Mitleid unter Kreaturen ist die einzige
Option.
Ist ein solches Leben heute noch denkbar? In jeder Szene geht es darum,
wann für Hannelore Kohl der Zeitpunkt gekommen wäre, gerade noch aus dem
Lauf der Geschichte aussteigen zu können. Und hätte ihr, dieser Figur aus
der Vergangenheit, ein Ausstieg überhaupt geholfen? Wohl nicht in der
damaligen Zeit, muss man einräumen.
Das Stück stellt aber auch eine weitere Frage: Hat der Zuschauer, dieser
mit allen Beziehungsformen der modernen Zeit vertraute Besucher aus der
Gegenwart, die Wahl, sich dieser längst vergangenen Romantik zu entziehen?
Sich gegen Hannelores Verführung, Generve und Verzweiflung abzugrenzen?
Manchem wird das Leben wohl beigebracht haben, genau das zu tun – durch
Spott, Ironie, Gelächter oder Verachtung. Den Darstellern gelingt es aber
auch oft genug, eine große Sprachlosigkeit zu vermitteln. Mehr
Selbstbefragung kann niemand von eineinhalb Stunden Leben erwarten.
2 Sep 2014
## AUTOREN
Hanna Schmeller
## TAGS
Helmut Kohl
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Maxim Gorki Theater
Salzburger Festspiele
Gefängnis
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