# taz.de -- Virtuose Recherche im Gorki-Theater : Die Kinder von Ex-Jugoslawien | |
> Mit „Common Ground“ beschert die Regisseurin Yael Ronen dem Maxim Gorki | |
> Theater Berlin ein tolles Stück über das Brennen der Geschichte. | |
Bild: Virtuos gespielt und gut recherchiert: „Common Ground“ im Gorki-Theat… | |
Jasmina Music springt vor Freude in die Luft, Vernesa Berbo kämpft mit den | |
Tränen beim Schlussapplaus von „Common Ground“. Was beide Schauspielerinnen | |
auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters in Berlin in den letzten anderthalb | |
Stunden durchlebt haben, ist auch durch die Seelen der Zuschauer unten im | |
Parkett gezogen. Selten nur teilt man im Theater die emotionale Arbeit der | |
Schauspieler so bereitwillig wie bei dieser Erzählung über eine Reise nach | |
Bosnien, auf den Spuren der Kriege, die Jugoslawien zerlegt haben. | |
Was sie zu erzählen haben, wiegt schwer; man hört von Kriegen, von | |
Massakern, von Vergewaltigungen und Morden; von Mädchen, die ohne Vater und | |
ohne Erklärung, warum sie ständig auf der Flucht sein mussten, aufgewachsen | |
sind. Das alles aber an sich heranzulassen, das Brennen und den Schmerz zu | |
spüren, den jede Berührung mit dieser Geschichte, die keine Vergangenheit | |
werden will, hervorruft – das alles fällt leicht in der Inszenierung der | |
Regisseurin Yael Ronen und ihrer sieben Schauspieler. | |
Es fällt leicht, weil dies einfach auch ausgezeichnetes Theater ist, in dem | |
das Historische und das Biographische, der skeptische Blick auf die | |
allgemeinen Sprachregelungen im Umgang mit der Geschichte auf der einen | |
Seite und die Öffnung zu den versteckten Gefühlen der Performer auf der | |
anderen ausbalanciert werden wie in die Luft geworfene Bälle. | |
## Die eigene Geschichte | |
Was jeder erzählt, ist dabei seine eigene Geschichte. Fünf der sieben | |
Schauspieler sind in Ex-Jugoslawien geboren, in Belgrad, Zagreb, Priboj, | |
Banja Luka, Novi Sad. Zwei kommen aus Bremen und Jerusalem, in Deutschland | |
leben sie inzwischen alle. | |
Sie stellen sich vor im ersten Teil des Stücks, ein chronologischer Galopp | |
durch die Jahre 1991 – 1995, als die meisten von ihnen noch Kinder oder | |
Jugendliche waren. Aber schon als Kinder mussten Aleksandar Radenkovic, | |
Jasmina Music, Mateja Meded und Dejan Bucin lernen, dass Identität keine | |
selbstverständliche Größe ist, und sich zu verstellen manchmal | |
lebensrettend. Was sie an Gefühlen von Scham, Schuld, Verzweiflung oder Wut | |
mit sich herumtragen, hat fast immer weit außerhalb ihrer eigenen Leben | |
angefangen. | |
Am Anfang rasen sie durch die Geschichte, ihre Sätze hastig und atemlos ins | |
Mikro gesprochen. Daten von Katastrophen und Kriegen werden heruntererzählt | |
neben den gedrängten Rückblicken auf die eigene Erinnerung. Wer nicht | |
spricht, unterstützt den Redenden gestisch und mimisch, skizziert das | |
Erzählte in Windeseile – das ist in der Darstellung und in den sprachlichen | |
Wendungen oft von einem Witz, der dem Verstehen auf die Sprünge hilft. | |
Im zweiten Teil, der von ihrer gemeinsamen Reise nach Bosnien erzählt, | |
verlangsamt sich das Tempo, das Nicht-reden-können oder Nicht-reden-wollen, | |
Erschrecken und Angst nehmen zwischen den Schauspielern Platz. Man erlebt | |
auch das als Zuschauer körperlich, wie sich um jeden der eben noch wild | |
durcheinander wuselnden Frauen und Männer nun ein Abstand ausbreitet. | |
## Die Reisegruppe | |
Niels Borman, der sich als schwuler Anarchist aus Bremen, und Orit Nahmias, | |
die sich als Konflikttherapeutin aus Jerusalem vorstellt, gehören mit zu | |
der Reisegruppe. Ihre Kommentare spiegeln den Blick von außen auf den | |
Balkan, angefangen von Klischees über Narrative, die sich in den Medien | |
ausgebildet haben, bis zur Erleichterung, dass im Schuldgefüge der | |
Balkankriege Deutschland und Israel keine besondere Rolle gespielt haben. | |
So verkörpern sie einerseits den Zuschauer, der vor Fassungslosigkeit über | |
die Grausamkeiten des Krieges den Kopf schüttelt; andererseits aber | |
schaffen sie gerade durch ihre abseitigen Fantasien, ihre Fragen als | |
Unwissende oder mit ihren plötzlichen Anfällen von Versessenheit auf | |
Details und Fakten auch immer wieder einen Ausweg aus den Momenten der | |
Bedrückung. | |
Yael Ronen, die aus Israel kommt und in Berlin zuvor an der Schaubühne | |
inszeniert hat, ist seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Gorki-Theater. | |
Dort ist ihr schon die Inszenierung von „Der Russe ist einer der Birken | |
liebt“ nach dem Roman von Olga Grjasnowa gut gelungen. „Common Ground“ hat | |
sie mit den Schauspielern entwickelt, der Text beruht auf deren | |
Bereitschaft, einen Teil ihres Lebens zu Theater werden zu lassen. So kommt | |
tatsächlich etwas zustande, das für dieses Haus und für das Theater | |
überhaupt eine kluge Bereicherung ist. | |
18 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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