# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Das Hilfesystem braucht ein Update | |
> Gewalt gegen Frauen weitet sich ins Digitale aus und stellt Frauenhäuser | |
> vor neue Probleme. Aber das geplante Gewalthilfegesetz droht zu | |
> scheitern. | |
Bild: Über soziale Medien und technische Möglchkeiten, können Gewalttäter i… | |
München taz | Eines Tages fing Lara Winters* Ex-Freund an, im Streit Dinge | |
anzudeuten, die er eigentlich nicht wissen konnte. Dinge, die sie ihrer | |
Mutter am Telefon gesagt oder die sie mit ihren Kindern gemacht hatte. So | |
erzählt sie es im Gespräch. Winter heißt eigentlich anders. Zu ihrem Schutz | |
wurde ihr Name geändert. „Man merkt irgendwann: Etwas stimmt nicht“, sagt | |
Winter. Wenig später entdeckte sie Kameras, verteilt über die ganze | |
Wohnung. „Er wollte mich immer kontrollieren“, erzählt sie. | |
Nicht einmal die Schulaufgaben ihrer drei Kinder durfte sie unterschreiben | |
und auch kein Portemonnaie besitzen. „Ich habe gelebt wie im Gefängnis“, | |
sagt sie. Körperliche Gewalt habe er ihr zwar nie angetan. Aber bedroht | |
habe er sie oft. Einmal habe er mit einem Messer vor ihr gestanden und | |
gesagt: „Es ist so einfach, Leute umzubringen.“ Ihre jüngste Tochter war | |
mit im Raum. „Sie hat geweint wie verrückt“, erinnert sich Winter. Mit | |
dieser Tochter rettete sie sich ins Frauenhaus, die älteren zwei Kinder | |
blieben beim Vater. Dieser schickte heimlich gemachte Aufnahmen von Winter | |
an ihre Familie und Freund*innen. Und weil er ihr Handy mit seinem | |
verknüpft hatte, konnte er sie verfolgen. | |
Gewalt gegen Frauen weitet sich aus ins Digitale, auf Smartphones und in | |
soziale Medien. Nicht alles, was Winter erzählt, ist im Detail überprüfbar. | |
Den Aufenthalt im Frauenhaus aber hat eine Mitarbeiterin bestätigt. Und | |
fest steht: Neue Geräte und Anwendungen bieten neue Möglichkeiten für | |
Täter. | |
Im aktuellen Lagebild Häusliche Gewalt schreibt das Bundeskriminalamt | |
(BKA), dass Stalking im Internet im Rahmen häuslicher Gewalt 2023 doppelt | |
so oft vorgekommen sei wie noch vier Jahre zuvor. Im ebenfalls vom BKA | |
erstellten Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt schreibt die Behörde, | |
die „Möglichkeiten von Gewalt im Netz potenzieren sich – und besonders | |
häufig sind Mädchen und Frauen betroffen“. 2019 zählte das BKA etwa 7.500 | |
betroffene Frauen, 2023 rund 17.000. Die Entwicklung trifft auf ein | |
Hilfesystem, dem seit Jahren das Geld fehlt. Das von der Ampel geplante | |
Gewalthilfegesetz, das das ändern sollte, droht zu scheitern – aber dazu | |
später mehr. | |
## Lange unterschätzte Gefahr | |
„Über die sozialen Medien können Männer heute ständig drohen und | |
beleidigen“, sagt Suna Tanış der taz. Tanış leitet die | |
Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW und arbeitet seit 20 | |
Jahren in einem dieser Häuser. Wenn eine Frau heute ins Frauenhaus komme, | |
frage sie zuerst, ob der Mann Zugriff auf das Handy habe. „Was das für eine | |
Gefahr ist, musste uns auch erst mal bewusst werden“, sagt Tanış. Einmal | |
habe ein Mann das Auto einer Frau geortet und so das Frauenhaus gefunden. | |
„Wie man heute Frauen überwachen kann, das war früher nicht möglich“, sa… | |
Tanış. | |
Winter versteckte sich bei Freunden und in mehreren Frauenhäusern. Doch | |
egal, wohin sie mit ihrer jüngsten Tochter floh – er fand sie. Als Winter | |
darauf kam, dass ihr Handy sie verriet, wohnte sie bereits im dritten | |
Frauenhaus. Dort habe eine Mitarbeiterin ihr geholfen, ein neues Handy und | |
neue Accounts einzurichten. Seither ist Winter online nur noch unter | |
Pseudonym zu finden. | |
Auch die Frauenhäuser müssen sich schützen. Tanış berichtet von einem Fall, | |
in dem der Ex-Mann einer ehemaligen Bewohnerin die Adresse des Frauenhauses | |
ins Netz gestellt habe. Von einer Mitarbeiterin habe er Fotos gemacht und | |
sie öffentlich verunglimpft. In Tanış Haus gibt es nun regelmäßig | |
Fortbildungen zu Digitalthemen. Ausreichend Unterstützung von der | |
Bundesregierung gebe es aber dafür nicht. „Wir wären ja froh, wenn wir | |
überhaupt vollständig finanziert würden“, sagt sie. | |
## Kein Geld für Digitalexpert*innen | |
Seit Jahren kämpfen Frauenhäuser ums Geld. Die Finanzierung läuft überall | |
anders. Das einzige Bundesland, das die Kosten trägt, ist | |
Schleswig-Holstein. In der Regel wird der Aufenthalt im Frauenhaus über die | |
Sozialleistungen der Betroffenen gedeckt. Doch wer keinen Anspruch darauf | |
hat, [1][muss selbst zahlen] – das sind etwa Gutverdienende, Studierende | |
oder manche EU-Ausländer*innen. 2023 betraf das laut aktueller | |
Frauenhausstatistik 28 Prozent derjenigen, die ein Frauenhaus aufsuchten. | |
Oft versuchen die Frauenhäuser dann mit eigenen Mitteln auszuhelfen. | |
„An Geld hat es im Hilfesystem auch schon gemangelt, bevor die digitale | |
Gewalt kam“, sagt Ophélie Ivombo vom Verband Frauenhauskoordinierung. Sich | |
nun auch mit digitaler Gewalt zu beschäftigen, erfordere zusätzlichen | |
Aufwand. „Es braucht mehr Ressourcen in den Frauenhäusern und | |
Beratungsstellen“, fordert Ivombo. „Digitale Gewalt ist eine Zusatzaufgabe, | |
die on top auf ein unterfinanziertes System trifft“, sagt auch Elizabeth | |
Ávila González. Sie arbeitet für den Bundesverband Frauenberatungsstellen | |
und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt (bff) zu digitaler Gewalt. | |
„Beraterinnen und Frauenhausmitarbeiterinnen sind Expertinnen im Sozialen“, | |
sagt Ávila González. Fortbilden könnten sie sich nur, wenn es finanzielle | |
und zeitliche Kapazitäten gebe. „Das führt zu Unterversorgung.“ | |
## Fehlende Mehrheiten beim Gewalthilfegesetz | |
Die ehemalige Ampelregierung hatte versprochen, das Problem anzugehen. Zwei | |
Gesetze sollten das Hilfesystem für die von sexualisierter und | |
Partnerschaftsgewalt Betroffenen stärken: ein Gesetz gegen digitale Gewalt | |
und das [2][sogenannte Gewalthilfegesetz.] Ersteres ist gescheitert. Es | |
bleibt nicht mehr genug Zeit, um es bis zur Neuwahl noch umzusetzen. | |
Bessere Chancen hat das Gewalthilfegesetz. Es soll Frauenhäuser und | |
Beratungsstellen auf ein stabileres finanzielles Fundament stellen. Jede | |
Betroffene soll zudem Anspruch auf kostenfreie Beratung und Schutz haben. | |
Über diesen Gesetzentwurf könnte der Bundestag in der aktuellen | |
Sitzungswoche abstimmen. Das Problem ist: Dafür müsste er auch auf die | |
Tagesordnung kommen. Aktuell verhandeln Grüne und SPD aber noch mit der | |
Union über einen Kompromiss. Denn seit dem Ampelbruch muss sich Rot-Grün | |
neue Mehrheiten organisieren. Über die Verhandlungen habe man | |
Stillschweigen vereinbart, hieß es auf Nachfrage. Auch wann mit einem | |
Ergebnis zu rechnen ist, blieb unbeantwortet. | |
Im November 2024 hatte die Union bereits einen eigenen Antrag eingebracht, | |
der dem Entwurf von Rot-Grün in großen Teilen ähnelt. Schwierig könnte es | |
bei folgenden Punkten werden: Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz hatte | |
Anfang Dezember in Ergänzung zum Regierungsentwurf [3][elektronische | |
Fußfesseln für Täter] gefordert; ebenso, dass keine trans Frauen in | |
Frauenhäuser aufgenommen werden dürften. Die Frauenhauskoordinierung hatte | |
in den letzten Jahren wiederholt betont, dass Frauenhäuser auch trans | |
Frauen schützen. | |
Am Donnerstag übergaben der Deutsche Frauenrat und UN Women Deutschland ein | |
Papier mit etwa 100.000 Unterschriften an Silvia Breher, die | |
frauenpolitische Sprecherin der Union. In dem Papier forderten sie, das | |
Gewalthilfegesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. | |
Eines betonen alle Expertinnen, mit denen die taz gesprochen hat: Es geht | |
ums Geld. Hätten alle Frauenhäuser und Beratungsstellen ausreichend davon, | |
könnten sie Digitalexpert*innen beschäftigen und Personal | |
weiterbilden. Dann hätte Winters Ex-Partner sie wohl nicht aufspüren | |
können. Ihr Glück war, dass das dritte Haus eine Digitalexpertin hatte. | |
Winter lernte mit ihr, sich sicherer im Internet zu bewegen, aber auch | |
Grundsätzliches, etwa Programme zu installieren. Um alles, was mit Technik | |
zu tun hat, kümmerte sich früher ihr Ex-Partner. | |
Ávila González vom bff kennt das Problem. Der ungleiche Zugang zu Technik | |
sei nach wie vor ein gesellschaftlicher Missstand. Es brauche „egalitäre | |
Medienbildung“, also gleiche Digitalkompetenz für alle. Gleichzeitig | |
müssten sich auch Polizei und Justiz fortbilden. Denn, sagt Ávila González, | |
„oft wird die Schuld nach wie vor bei Betroffenen gesucht. Es muss ein | |
Verständnis geben, dass es heute normal ist, dass man sich Nacktbilder oder | |
Ähnliches schickt. Und dass sie nur im Konsens veröffentlicht werden | |
dürfen.“ | |
Digitale Gewalt kann gravierende Folgen haben. Betroffene entwickeln teils | |
Depressionen oder leiden unter Schlafstörungen. „Wenn Videos und Fotos | |
einmal online stehen, dann gibt es kein Ende“, sagt Ávila González. So | |
könne eine „bleibende Betroffenheit“ entstehen. „Digitale Gewalt hört n… | |
auf.“ | |
Lara Winter hat das zu spüren bekommen. Die Aufnahmen, die ihr Ex-Partner | |
an ihr Umfeld schickte, zeigten nur ihr Schlimmstes. Er schnitt sie so | |
zusammen, dass nicht zu hören war, wie er drohte oder Lampen zerschlug und | |
Gardinen zerriss. Nur Winter war zu hören. „Die ersten drei Monate hat mir | |
niemand geglaubt“, erinnert sich Winter. Auch ihren Kindern spielte er die | |
Aufnahmen vor. Für Winter ist heute klar: „Das war das Schlimmste, was er | |
mir angetan hat. Er wollte alles kaputt machen zwischen mir und meiner | |
Familie.“ Lara Winter ist online vorsichtiger geworden. Sie postet kaum. | |
Ihre Accounts hat sie alle auf privat gestellt. Mit ihrer jüngsten Tochter | |
wohnt sie allein in einer Wohnung und hofft, dass auch die älteren beiden | |
Kinder irgendwann den Vater verlassen. Seit Kurzem merkten sie, sagt | |
Winter, dass der Vater auch sie überwache. | |
* Name geändert | |
27 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Finanzierung-von-Hilfseinrichtungen/!6053427 | |
[2] /Bundestag-debattiert-Gewalthilfegesetz/!6055154 | |
[3] /Schutz-vor-Partnerschaftsgewalt/!6051361 | |
## AUTOREN | |
Moritz Müllender | |
## TAGS | |
Gewalt gegen Frauen | |
Frauenhäuser | |
CDU/CSU | |
Schwerpunkt Femizide | |
Digitale Medien | |
GNS | |
Emanzipation | |
häusliche Gewalt | |
Schwerpunkt Femizide | |
Schwerpunkt Femizide | |
Schwerpunkt Femizide | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schutz bei Partnerschaftsgewalt: Fesseln sollen Frauen retten | |
Schleswig-Holstein beschließt die Fußfessel nach dem „spanischen Modell“. | |
In Niedersachsen dringt die CDU auf eine mäßig erfolgreiche Variante. | |
Gewalthilfegesetz wird kommen: 2,6 Milliarden für Frauenhäuser und Beratungss… | |
SPD und Grüne einigen sich mit der Union auf mehr Geld für Frauenhäuser und | |
Beratungsstellen. Ein Gesetz mit härteren Regeln für Täter scheitert aber. | |
Gewalt gegen Mädchen und Frauen: Annäherung an das Ausmaß der Gewalt | |
Der erste „Monitor Gewalt gegen Frauen“ zeigt „dringenden Handlungsbedarf… | |
beim Schutz von Mädchen und Frauen. Forscher*innen empfehlen | |
Dunkelfeldstudien. | |
Tödliche Gewalt gegen Frauen: „Weiter Forschungs- und Klärungsbedarf“ | |
Erstmals hat das BKA ein Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt | |
vorgestellt. Viktoria Piekarska vom Juristinnenbund über rechtliche | |
Unschärfen. | |
Gewalthilfegesetz im Kabinett: Frauen müssen bangen | |
Die Regierung will kurz vor knapp ein Gesetz zum besseren Schutz vor Gewalt | |
beschließen. Doch die Chancen auf die Mehrheit im Parlament sind gering. |