# taz.de -- Gesetz für schnelleres Asylverfahren: Zustimmung im Bundestag | |
> Die Ampel will Asylverfahren beschleunigen und beschließt Reformen. Die | |
> Resonanz von Asyl-Organisationen ist verheerend. | |
Bild: Viele Asylbescheide sind in Deutschland fehlerhaft | |
BERLIN taz | In Deutschland dauert [1][ein Asylverfahren] derzeit im | |
Schnitt 7,6 Monate. Vor drei Jahren waren es nur 6,1 Monate. Wer dabei | |
abgelehnt wird und dagegen klagt, muss lange warten: Erst nach 26,6 Monaten | |
ist im Schnitt eine Entscheidung da – 9 Monate länger als 2019. | |
Ein Grund: Die Gerichte sind überlastet, weil viele Schutzsuchende klagen. | |
Denn die Asylbescheide sind oft fehlerhaft. 57 Prozent aller Abgelehnten | |
zogen vor Gericht. Ende Juli 2022 waren rund 135.000 Klagen anhängig. Und | |
weit mehr als ein Drittel der Klagen hat Erfolg, bei Afghan:innen waren | |
es 2021 gar 82 Prozent. | |
## Rechtsprechung soll vereinheitlicht werden | |
Die Ampel will nun, dass sowohl das Verfahren beim Bundesamt für Migration | |
und Flüchtlinge (BAMF) als auch die Klagen bei den Verwaltungsgerichten | |
schneller ablaufen. Am Freitag wurde ihr Entwurf für ein „Gesetz zur | |
Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren“ im Bundestag | |
beschlossen. | |
Es soll die Rechtsprechung vereinheitlichen, Verfahren verschlanken und die | |
„Qualität der Entscheidungen“ erhöhen, heißt es bei der Ampel: Das BAMF | |
soll erstens schneller entscheiden und zweitens so, dass nicht mehr so | |
viele Bescheide von Gerichten aufgehoben werden. | |
Unter anderem soll dazu die Regelüberprüfung von Asylbescheiden gestrichen | |
werden. Widerrufsverfahren soll es nur noch „anlassbezogen“ geben. Die | |
[2][Grünen-Abgeordnete Filiz Polat] verweist darauf, dass zuletzt 200 | |
Beschäftigte des BAMF mit den anlasslosen Widerrufsprüfungen befasst waren. | |
Außerdem will die Ampel eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung | |
einführen, die „durch gut informierte Asylsuchende zu einer erhöhten | |
Effizienz“ beiträgt, wie es in der Zielbeschreibung heißt. „Erfahrungen a… | |
der Schweiz zeigen, dass die Qualität der Bescheide steigt, Klagen | |
abnehmen, wenn Asylbewerber:innen vorab über Kenntnisse zum Ablauf des | |
Asylverfahrens verfügen“, so Polat. | |
## Kritik von Asyl-Organisationen | |
Die Resonanz von Asyl-Organisationen auf [3][die geplante Reform] ist indes | |
verheerend. Keins der vielen derzeit laufenden Vorhaben der Ampel im | |
Migrationsbereich zieht mehr Kritik auf sich. | |
Von „massiven Einschnitten in die Verfahrensrechte der Betroffenen im | |
behördlichen und gerichtlichen Asylverfahren, in deren Verteidigungsrechte | |
und in die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung“ spricht etwa der | |
Arbeiterwohlfahrtsverband (AWO) in einer Stellungnahme. Der Verband stört | |
sich unter anderem an den verkürzten Widerspruchsfristen und | |
eingeschränkten Rechtsmitteln gegen Urteile. | |
Der Gesetzentwurf sei „geradezu von einer Misstrauenspolitik gegenüber | |
Rechtsanwält:innen durchdrungen“, sagt auch Thomas Remmers, | |
Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. Aus Beschleunigungsgründen | |
würden Verfahrensrechte beschnitten werden – „ohne jeden sachlichen Grund�… | |
Die Ampel will so angeblich rechtsmissbräuchliche Beweisanträgen, die nur | |
eingereicht werden, um das Verfahren zu verschleppen, entgegenwirken. | |
Anwaltsverbände weisen dies zurück. | |
Die Kammer sieht „grundsätzlich keinen Bedarf für eine Beschleunigung“. | |
Neue Verfahren – Altlasten ausgenommen – würden „sehr schnell, | |
durchschnittlich in circa drei Monaten, abgewickelt.“ | |
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) verweist darauf, | |
dass Asylprozesse heute in Rheinland-Pfalz nur 6,6 Monate, in Brandenburg | |
aber 44,6 Monate dauern. „Es ist also klar ersichtlich, dass die | |
Verwaltungsgerichte der Länder mit den bestehenden rechtlichen | |
Möglichkeiten gut oder schlecht auf die Vielzahl von Asylprozessen | |
reagieren können“, so der RAV. | |
## Bundesverwaltungsgericht kann „Prüfungsmaßstäbe“ setzen | |
Die RAV-Sprecherin Berenice Böhlo kritisiert unter anderem die geplanten | |
Video-Interviews durch das BAMF in einer Stellungnahme für Pro Asyl. „Es | |
ist unabdingbar, dass eine besondere Gesprächsatmosphäre und | |
Vertrauenssituation geschaffen wird, damit Schutzsuchende über ihre oft | |
traumatischen Erlebnisse frei sprechen können“, sagt Böhlo. „Dies erforde… | |
die Anwesenheit aller Beteiligten.“ | |
Für „systemwidrig“ hält die Anwältin, dass das Bundesverwaltungsgericht | |
künftig eine wichtigere Rolle in Asylverfahren bekommen und selber | |
„Prüfungsmaßstäbe“ setzen könne. Häufig vorkommende gleich gelagerte F… | |
sollen künftig nicht mehr von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten | |
unterschiedlich bewertet werden. Stattdessen sollen diese die Verfahren | |
direkt an das Bundesverwaltungsgericht abgeben können, das dann eine | |
Entscheidung mit richtungweisendem Charakter trifft. | |
Am heftigsten kritisiert der RAV aber die Verschärfungen im Prozessrecht. | |
„Zum Teil haben wir nur eine Woche Zeit für das Rechtsmittel, dies ist | |
einmalig im Verwaltungsrecht, wo ansonsten ein Monat gilt“, sagt Böhlo über | |
den derzeitigen Zustand. Dieser „Skandal“ werde nicht behoben. Stattdessen | |
könnten Gerichte künftig mündliche Verhandlungen leichter umgehen. Der | |
Entwurf enthalte „zahlreiche weitere solcher Maßnahmen, die dem Abbau der | |
Verfahrensrechte der Geflüchteten dienen“, sagt Böhlo. | |
2 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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