# taz.de -- Gender-Klage gegen Audi: Beleidigtes Leberwürstchen | |
> Ein VW-Mitarbeiter sieht seine Persönlichkeitsrechte durch korrekt | |
> gegenderte Formulierungen der Konzerntochter Audi verletzt. Nun klagt er. | |
Bild: Irgendwo findet sich immer eine beleidigte Leberwurst, die meint, das Leb… | |
Es gibt einen Überschuss an beleidigten Leberwürstchen in Deutschland, die | |
Unternehmen verklagen, sobald diese inklusiv gendern. Diesmal geht es um | |
den VW-Mitarbeiter und CDU-Kommunalpolitiker Dr. Alexander B.: Seine | |
Persönlichkeitsrechte seien durch korrekt gegenderte Formulierungen der | |
VW-Tochter Audi verletzt worden, so begründet er seine Klage beim | |
Landesgericht Ingolstadt. | |
Er wolle keine Mails und Anweisungen in [1][gendersensibler Sprache] mehr, | |
gibt der SWR wieder. Das bedeutet in der Schlussfolgerung, dass der | |
Angestellte keine Rundmails, standardisierte Schreiben und allgemeine | |
Dateien, sondern nur noch explizit für ihn persönlich maßgeschneiderte | |
offizielle Schreiben erhalten möchte. Dies versuchte er zuerst mit einer | |
Unterlassungsklage durchzusetzen und forderte 100.000 Euro bei jedem | |
Verstoß. Da Audi ablehnte, kam es zum Prozess. | |
Er sehe den „Schutz der geschlechtlichen Identität“ gefährdet, zitiert die | |
Bild-Zeitung, und fährt fort: „Denn die Gender-Richtlinie ist unausgewogen | |
und sogar männerfeindlich!“ Das Unternehmen vertritt hingegen eine ganz | |
andere Meinung: „Die Verwendung gendersensibler Sprache bedeutet eine | |
Kommunikation, die alle [2][Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten] | |
wertschätzt und berücksichtigt“, so Audi. | |
Wem glauben wir jetzt? | |
Durch das Gendern mit Sternchen oder Unterstrich werden alle Identitäten | |
abgebildet, auch wenn das aufgrund der deutschen Grammatik nicht immer | |
reibungslos funktioniert. Die Behauptung des Ziels, alle Identitäten | |
gerecht abzubilden, zu belegen ist überhaupt nicht schwer, und genau das | |
tut selbst der Kläger vor Gericht. Er liest Teile aus internen Mails und | |
anderweitigen Unternehmensschreiben vor: „Expert_in“, heißt es laut dem | |
Bayerischen Rundfunk beispielsweise, „Spezifikateur_in“ oder „Autor_in“. | |
Wie man lesen kann, ist der männlich gegenderte Begriff „Expert“ in dem | |
Wort „Expert_in“ inbegriffen. „Expert_in“ zu schreiben und dabei auf | |
„Expert“ zu verzichten, ist unmöglich. Warum behauptet der Kläger also | |
diskriminiert worden zu sein, wenn er sogar in vielen der von ihm als | |
Beispiel vorgeführten Wörtern explizit benannt wird? | |
## Die Welt dreht sich um mich | |
Man kann davon ausgehen, dass ein Mensch, der in der Lage ist E-Mails zu | |
öffnen oder seinen Arbeitgeber zu verklagen, genauso in der Lage sein | |
könnte, eins und eins zusammenzuzählen und selber auf die Schlussfolgerung | |
zu kommen, dass seine Forderung, ihm jedes Mal maßgeschneiderte, gesonderte | |
Mails und Dateien zu senden, für ein Unternehmen nicht zu bewältigen ist – | |
niemand glaubt an die Durchsetzbarkeit einer so üppigen Forderung. Da | |
könnte man auch gleich sagen: Die Welt dreht sich um mich. | |
Insofern liegt der Verdacht nahe, dass es dem Kläger in erster Linie gar | |
nicht darum geht, sich gegen seine eigene vermeintliche Diskriminierung zu | |
wehren. Es ist vielmehr ein Versuch, das Unternehmen dazu zu bringen, | |
korrektes Gendern ganz zu unterlassen. Sollte der Kläger seine Forderung | |
nämlich durchsetzen, würde genau das passieren: Audi hätte keine Wahl und | |
müsste in allen Schreiben ganz auf korrekt gegenderte Sprache verzichten. | |
Damit wäre der Zustand, den der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch | |
im Gespräch mit dem Deutschlandfunk als die „sprachliche Vorherrschaft der | |
Männer“ beschreibt, wiederhergestellt: Schon wieder wären nur noch Männer | |
gemeint, und am Ende geht es auch genau darum. Es geht darum, dass alle | |
anderen, die in korrekt gegenderten Formulierungen wie „Expert_in“ | |
mitgenannt werden – Frauen und nichtbinäre Menschen – totgeschwiegen werden | |
sollen, als bestünde die ganze Gesellschaft nur aus Männern. | |
Mit welchen politischen Organisationen sich ein Mensch gemein macht, um | |
seine eigenen politischen Ziele zu erreichen, [3][spricht auch für die | |
eigenen Absichten]. So lässt sich der Kläger von dem Verein Deutsche | |
Sprache unterstützen. Der Verein Deutsche Sprache e. V. vertritt Ansichten, | |
die man gut im antifeministischen Lager der Maskulinisten verorten könnte. | |
## Weiterhin im Mittelpunkt stehen | |
Auf seiner Website bezeichnet der Verein gendersensible Sprache als | |
„ideologische Sondersprache“, spricht von einer „Umerziehung der Bürger�… | |
und beklagt, dass Gendern gegen geltende Sprachregeln verstoße. Wie viel | |
Wert der Verein wirklich auf deutsche Sprachregeln legt, wird allerdings | |
erst beim zweiten Blick klar: Er führt die Vereinssprecherin Sabine Mertens | |
fälschlicherweise als „Sprecher“ ein. Ein Vereinsmitglied, der Student | |
Torben Hundsdörfer, sagte in der ZDF-Sendung „Auf der Couch“ dieses Jahr im | |
Januar: „Sprache sollte frei sein, ohne irgendwelche Begrenzungen oder | |
Regeln.“ Welches nun? Geht es hier darum, sprachliche Regeln zu beachten | |
oder sie zu missachten? | |
Ich würde sagen, dass es sowohl dem Verein Deutsche Sprache als auch dem | |
Kläger Alexander B. vielmehr darum geht, dass Männer weiterhin im | |
Mittelpunkt der deutschen Sprache stehen sollen. Wer im Mittelpunkt unserer | |
Sprache steht, steht nämlich auch im Mittelpunkt unserer Welt. Eine | |
ziemlich düstere Vorstellung, alle [4][marginalisierten Gruppen], die so | |
lange um ein bisschen Sichtbarkeit kämpfen mussten, so wieder in die | |
Dunkelheit zu drängen, und damit auch ihre Bedürfnisse und Anliegen. Dazu | |
noch zynisch, das als Gerechtigkeit zu präsentieren. | |
15 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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