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# taz.de -- Gemeinwohl-Ökonom über Freihandel: „Das ist üble Erpressung“
> Wettbewerbsfähigkeit sollte zwischen Staaten keine Rolle spielen. So
> argumentiert Gemeinwohl-Ökonomie-Gründer Christian Felber in seinem neuen
> Buch.
Bild: Protest gegen das Freihandelsabkommen TTIP
taz: Herr Felber, in Ihrem neuen Buch sprechen Sie von Freihandel als
Zwangsjacke. Für wen ist freier Handel eine Zwangsjacke?
Christian Felber: Für alle, deren Optionen durch Freihandel eingeschränkt
werden. Ich nenne ihn auch Zwangshandel. Der Journalist Thomas Friedman
sprach von der „goldenen Zwangsjacke“. Der Begriff zeigt, dass Freihandel
die Durchsetzung minoritärer Interessen etwa von Investoren oder
transnationaler Konzerne auf Kosten der Freiheit der meisten bedeutet.
Die Befürworter sprechen von mehr Jobs. Das sind doch keine minoritären
Interessen?
Wenn alle neue und bessere Jobs bekommen würden, die Umwelt und die
Demokratie gewinnen würden, wäre ich auch für mehr Handel. Aber das ist
nicht der Fall. Freihandel bedeutet, dass Handel zum Selbstzweck wird. Das
ist der Fehler, weil nicht mehr genau hingeguckt wird, ob mehr Handel
tatsächlich höhere Einkommen und sicherere Arbeitsplätze für mehr Menschen
bringt.
Wie würde Ihr Vorschlag zu besseren Ergebnissen führen?
Indem er zuerst die Ziele klärt. Der erste Schritt ist, dass man Handel vom
Zweck zum Mittel macht und so gestaltet, dass er uns hilft, unsere Ziele zu
erreichen. Die Ziele sind die übergeordneten Verfassungsziele und auch die
UN-Abkommen – die Menschenrechte, die nachhaltigen Entwicklungsziele und
die Grundwerte von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Menschenwürde und
Mitbestimmung, kurz: das Gemeinwohl.
Dann müssten nach Ihrem Vorschlag alle Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz
erstellen und so nachweisen, dass sie nicht gegen solche Ziele arbeiten.
Was passiert, wenn eine Firma schlecht abschneidet?
Je nachdem, wie ethisch, solidarisch, demokratisch sich Unternehmen
verhalten, würden sie freieren oder erschwerten Zugang zu den Weltmärkten
bekommen. Eine ethische Handelszone könnte eingerichtet werden und mit dem
EU-Binnenmarkt beginnen.
Dann würden für Firmen bei schlechter Gemeinwohlbilanz etwa höhere Zölle
erhoben. Könnte es für Konzerne nicht billiger sein, Zölle in Kauf zu
nehmen und an Sozialem und Ökologischem zu sparen?
Wenn Zölle in Höhe von 10 oder 20 Prozent nicht ausreichen, damit
unethische Firmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, muss man die Zölle
entsprechend anheben, bis das gesetzte Ziel erreicht ist.
Auch Staaten, die nicht genug auf Umweltschutz pochen oder die
UN-Vereinbarungen nicht ratifizieren, sollen demnach Zollaufschläge
hinnehmen. Wie durchsetzbar ist das?
Es wäre viel konsensfähiger als das bisherige System. Der WTO sind zwar 170
Staaten beigetreten, aber widerwillig. Wir könnten ein faires Handelssystem
innerhalb der UNO schaffen.
Das würde allerdings voraussetzen, dass alle mitziehen. Sonst würden die
Länder doch in der Wettbewerbsfähigkeit abgehängt?
Das Argument der Wettbewerbsfähigkeit sollte zwischen Staaten überhaupt
keine Rolle spielen. Das ist üble Erpressung. Wenn Länder dumpen, etwa auf
Kosten der Menschenwürde, muss man sich vor ihnen schützen. Den
Wettbewerbsvorteil gibt man ihnen ja erst durch Freihandel. Zum anderen gab
es schon 1964 den Vorschlag von 77 Ländern, die Spielregeln für den Handel
in der UNO zu machen. Nur haben die USA und die EU und andere Großmächte
stets Nein gesagt. Deshalb ist die Unctad, also die Konferenz der Vereinten
Nationen für Handel und Entwicklung, nun nur ein kleines Büro und nicht die
Regelungsinstanz für den Welthandel. Das ist im Wesentlichen eine
Machtentscheidung der reichen Länder – unserer Regierungen. Deswegen wäre
es an der Zeit, über eine Demokratisierung des Völkerrechts nachzudenken.
Wesentliche Entscheidungen sollten künftig von den Souveränen getroffen
werden.
Wenn Sie aber für eine direkte Demokratie plädieren – was macht sie so
sicher, dass die Menschen dann auch wirklich für eine ethische Handelszone
stimmen?
Wir verfügen heute über intelligentere Entscheidungsverfahren als
Personen-Stichwahlen, die eine ganze Nation umsteuern, oder
Ja/Nein-Volksabstimmungen. Zum Beispiel das Verfahren des Systemischen
Konsensierens, bei dem von mehreren inhaltlichen Optionen diejenige mit dem
geringsten Widerstand gewinnt. Bei dieser Methode haben polarisierende
Vorschläge keine Chance. An der Wirtschaftsuniversität Wien, an der ich
unterrichte und die nahe am klassischen Mainstream ist, habe ich meinen
Studenten immer wieder die drei Optionen zur Wahl gestellt: Freihandel,
Protektionismus, ethischer Handel. Und es gewinnt haushoch – mit null
Widerstand – der ethische Handel.
16 Mar 2017
## AUTOREN
Eva Oer
## TAGS
Schwerpunkt TTIP
Freihandel
Gemeinwohl
Nordfriesland
Lesestück Meinung und Analyse
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Nachhaltigkeit
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Ökonomie
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