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# taz.de -- Kritik am fairen Handel: Die Ärmsten haben nichts davon
> Ein Wirtschaftsexperte kritisiert Fairtrade. Warum? Weil viele
> Kleinbauern durch hohe Anfangsinvestitionen ausgeschlossen würden.
Bild: Schönes Bild, aber „kleine und landlose Landarbeiter haben oftmals kei…
Hamburg taz | Fairer Handel ist eine Erfolgsgeschichte in Deutschland.
Pünktlich zum 25-jährigen Bestehen knackte die Handelsorganisation
Transfair die Milliarden-Euro-Marke beim Umsatz mit Fairtrade-Produkten.
Die über 30 Mitgliedsverbände wollen Kleinbauern unter anderem in Afrika
helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern.
Doch der faire Handel kommt laut Ndongo Syllas den ärmsten Landwirten gar
nicht zugute. „Nur besser gestellte Bauern haben die nötigen Kontakte ins
Ausland, zu einer Entwicklungshilfeorganisation oder zu staatlichen
Stellen, um die Hürden der Zertifizierung und der Etablierung am Markt zu
nehmen“, sagte der Wirtschaftsexperte aus dem Senegal dem Magazin
Welt-Sichten.
Bauern gingen dafür ein großes wirtschaftliches Risiko ein: Die
Zertifizierung sei teuer und beim Anbau müssten sie bestimmte Standards
erfüllen, die ebenfalls kosten. Schlimmer noch: „Wenn die Bauern
zertifiziert sind, heißt das noch lange nicht, dass sie große Teile ihrer
Ernte nach den Konditionen des fairen Handels verkaufen können“, klagt der
Mitarbeiter des Westafrika-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Es kann
sein, dass sie lange darauf warten müssen.“ Denn es werde mehr Ware
zertifiziert als verkauft werden könne. „Wer diese Durststrecke schafft,
gehört nicht zu den Ärmsten“, betont der Ökonom.
Geht fairer Handel also an den Ärmsten der Armen vorbei? Das mit rund 8
Millionen Euro öffentlicher Gelder finanzierte Leibniz-Institut für Globale
und Regionale Studien GIGA in Hamburg (Motto: „Wissenschaft zum Wohl und
Nutzen des Menschen“), in dem auch zu regionalen Entwicklungen in Afrika
geforscht wird, kann darauf überraschenderweise keine Antwort finden. Nach
drei Tagen hieß es abschließend von einem GIGA-Sprecher: „Der Leiter ist
unterwegs.“
## Kostspielige Verfahren
Dagegen teilt Bettina Rudloff von der ebenfalls öffentlich finanzierten
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin Syllas Kritik: „Oftmals
unterstützen Zertifizierungssysteme eher größere Farmsysteme und damit oft
reichere oder genossenschaftliche Zusammenschlüsse.“ Nur diese könnten an
kostspieligen Verfahren der Fairtrade-Organisationen überhaupt teilnehmen.
„Kleine und landlose Landarbeiter haben oftmals keine Vorteile“, sagte die
Agrar- und Handelsexpertin des Thinktanks der taz. Und diese Ärmsten der
Armen seien in den Standards etwa zum Arbeitsschutz auch gar nicht
vorgesehen.
Bei Transfair hat man das Problem durchaus erkannt. „Wir erreichen
Kleinbauern dann, wenn sie in ihrem Entwicklungsstand so weit sind, dass
sie über die reine Selbstversorgung hinausgehen und sie sich in
demokratisch strukturierten Organisationen vernetzen“, sagt
Transfair-Vorstand Claudia Brück zu Syllas Kritik. Derzeit profitieren
immerhin weltweit anderthalb Millionen Menschen vom Transfair-System.
Sylla glaubt weiterhin an das Prinzip eines gerechten Handels zwischen
Erzeugern, Verkäufern und Konsumenten. „Aber ich bin kritisch gegenüber der
Art und Weise, wie der faire Handel heute umgesetzt wird.“ Afrika sei seit
200 Jahren in der Produktion von Rohstoffen gefangen. „Ein Modell, das
darauf aufbaut, weiter Rohware zu exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg
aus der Armut führen.“ Könnten Afrikaner ihren Kaffee oder Kakao vor Ort
weiterverarbeiten und in europäischen Supermärkten verkaufen, hätte das
eine „viel größere Wirkung“.
Doch dazu müssten die Partnerschaftsländer „viel stärker in die Erarbeitung
von passenden Standards eingebunden werden“, fordert Rudloff. Der globale
Süden und seine politischen und wirtschaftlichen Eliten sollten zugleich
stärker in die Pflicht genommen werden, auf eine nachhaltige Umsetzung der
Systeme der fairen Wirtschaftsbeziehungen zu achten.
Transfair sieht die Politik im Norden, in Deutschland und der Europäischen
Union, in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur so
könnten die Ärmsten der Armen an der „dringend notwendigen globalen
sozialökologischen Transformation“ teilnehmen. Auch Ökonom Sylla fordert,
sich stärker den Ursachen ungerechter Handelsbeziehungen zu widmen: „Wir
brauchen wieder einen globalen Rahmen, der die Bedürfnisse der ärmsten
Länder nach angemessenen Preisen berücksichtigt.“ Damit die Menschen nicht
weiter verarmen.
16 May 2017
## AUTOREN
Hermannus Pfeiffer
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Afrika
Landwirtschaft
Handel
Fair Trade
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Kosmetik
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Lebensmittel
Schwerpunkt TTIP
Brasilien
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