| # taz.de -- Fußball-WM der Frauen in Sydney: Ikone unter den Füßen | |
| > Die Fußball-WM der Frauen ist in Sydney so präsent wie nie zuvor. Aber | |
| > wie nachhaltig begeistert der Sport die Menschen vor Ort? | |
| Bild: Raunen und Staunen: Junge Fußballfans in WM-Fanzone in Sydney | |
| Wer an den Bahnstationen von Sydney die Treppen hochsteigt, kann schon mal | |
| über das Konterfei von Sam Kerr stapfen. Überlebensgroß klebt die | |
| australische Fußballikone als Figur auf den Stufen. Überhaupt ist es in der | |
| Metropole völlig unmöglich, diese Fußball-WM zu übersehen. Am Flughafen | |
| wartet gleich eine WM-Zone mit Fan-Guide, der pflichtbewusst rät, den ÖPNV | |
| zum Stadion zu nehmen. An jeder Bahnstation blinkt WM-Werbung, an jeder | |
| Straßenecke plakatieren Sponsoren, überall der Slogan „Beyond Greatness“ | |
| und überall Sam Kerr. | |
| Nie war ein Frauenturnier öffentlich so präsent wie dieses. Und tatsächlich | |
| paart sich die Werbeschlacht mit realer Begeisterung: Zwei Publikumsrekorde | |
| in zwei Eröffnungspartien: In Australien war das Spiel mit einer TV-Quote | |
| von fast zwei Millionen das am meisten geschaute Frauensportevent aller | |
| Zeiten. Und in Neuseeland könnte ein mögliches Weiterkommen zu einem echten | |
| Erweckungserlebnis werden. | |
| Wie viel Stimmung ein Turnier erzeugt und was davon nachher bleibt, das ist | |
| die bange Frage, die jede WM begleitet. Die WM 2019 in Frankreich verpuffte | |
| wirkungslos, die EM in England 2022 wurde zum Katalysator. In Australien | |
| und Neuseeland stellt sich die Frage aber in ganz eigenem Licht, handelt es | |
| sich doch bei keiner der beiden Gastgeberinnen um eine ausgewiesene | |
| Fußballnation. Ein Blick auf die TV-Zahlen von 2022 zeigt etwa für | |
| Australien: Populärster Publikumssport ist Rugby, dicht gefolgt von | |
| Australian Football, und dann gibt es ja auch noch Cricket. Gemeint ist | |
| Männersport, natürlich. | |
| Fußball [1][steht hier weit hinten]. Er funktioniert | |
| geschlechterübergreifend eigentlich nur dann als Massenevent, wenn | |
| Weltmeisterschaft ist. Die Ligen dümpeln vor sich hin, die A-League der | |
| Frauen hat überwiegend dreistellige Fanzahlen im Stadion. Noch mauer sieht | |
| es in Neuseeland aus, wo mit Wellington Phoenix in der australischen | |
| A-League überhaupt nur ein Team professionell Frauenfußball spielt. In | |
| Neuseeland musste die Fifa für die WM 20.000 Tickets verschenken. | |
| ## Verhalten optimistisch | |
| Am Tag des Eröffnungsspiels ist überall in Sydney Fußball. Eine Stadt mit | |
| rund fünf Millionen Einwohner:innen kann ein Sportevent schon mal | |
| unsichtbar machen, aber in der Innenstadt sind junge Frauen mit Trikot | |
| keine Seltenheit. Ein sicherlich dreißigköpfiger Fanklub der Matildas, | |
| bestehend überwiegend aus Frauen mittleren Alters, bevölkert einen | |
| Bahnsteig. „Wenn hier schon mal WM ist, gehen wir auch hin“, erzählt ein | |
| älteres englischstämmiges Paar in Fanschals am Stadion. Daraus, dass sie | |
| nicht so viel Ahnung von Fußball haben, machen sie keinen Hehl. „Eigentlich | |
| gucken wir eher Cricket“, erzählt die Frau. Zugleich schwärmen sie vom | |
| starken Team der Matildas und diskutieren ihre geteilte Zuneigung: Der Mann | |
| unterstützt England, die Frau Australien. „Ich bin konvertiert“, sagt sie. | |
| Fußball ist für sie durchaus groß. Für vier Wochen. | |
| „Generell sind wir nur in der Lage, einer großen Sache gleichzeitig | |
| Aufmerksamkeit zu schenken“, [2][klagt etwas sarkastisch der Sydney Morning | |
| Herald]. „In den letzten paar Wochen war es die Cricket-Serie The Ashes. | |
| Jetzt ist es das hier. Dann wird es die Rugby-WM sein. Wenn es gerade kein | |
| großes Ding gibt, fallen wir in unsere üblichen Gewohnheiten zurück, | |
| maßgeblich die AFL und die NRL.“ Viele Sportarten, schreibt der Herald, | |
| seien elend daran gescheitert, diesen Kreislauf durchbrechen zu wollen. | |
| Fußball sei in den letzten zwanzig Jahren zwar wirklich gewachsen. Und wenn | |
| die Matildas das Turnier gewinnen sollten, werde der Effekt gerade auf den | |
| Breitensport tiefgreifend sein. „Trotzdem ist es schwer vorstellbar, dass | |
| dadurch plötzlich die A-Leagues boomen oder sich die Sportpsyche der Nation | |
| drastisch ändert.“ | |
| Die Sportpsyche, falls es sie gibt, ist ein eigensinniges Ding. Denn | |
| Fußball, als Ligasport bedeutungsarm, ist als Kindersport in Australien | |
| enorm populär. Rund 48 Prozent der aktiven Kinder zwischen sechs und 13 | |
| Jahren spielen Fußball; damit ist er in dieser Altersklasse Australiens | |
| Teamsport Nummer eins. Auf den Wiesen des Moore Park in Sydney sieht man am | |
| Tag des Eröffnungsspiels zahllose Jungs kicken. Natürlich auf | |
| Multifunktionsplätzen. Und auch bei Mädchen ist Fußball nun der beliebteste | |
| Teamsport, 39 Prozent der aktiven Mädchen betreiben ihn. Im Gegensatz zu | |
| den patriarchalen Fußballmächten Europas geht weniger historischer Ballast | |
| damit einher; die Frauen sind sportlich deutlich erfolgreicher als die | |
| Männer und erreichten 2019 als eines der ersten Nationalteams einen | |
| Equal-Pay-Deal. Schon auch gute Voraussetzungen für einen Boom sind das. | |
| ## Wyong beherbergt Quartier der Deutschen Spielerinnen | |
| „Alle meine Kinder haben Fußball gespielt“, ruft enthusiastisch die | |
| Reinigungskraft im Hotel in Wyong. „Ich mag Fußball viel lieber als | |
| Football.“ Und ja, selbstverständlich werde sie auch mal Spiele schauen. | |
| Was bedeutet die WM hier? „Fußball ist vielleicht nicht so groß wie bei | |
| euch in Europa, aber wir verfolgen das Turnier alle, wir reden darüber.“ | |
| Wyong, eine Kleinstadt zwei Stunden nördlich von Sydney, [3][beherbergt das | |
| Quartier der Deutschen] und ansonsten nicht viel. Eine Ansammlung flacher | |
| Bauten entlang einer Landstraße, die man nach einer beeindruckenden | |
| Zugfahrt durch mehrere Nationalparks erreicht. Ein abgelegener und etwas | |
| verfallener Ort, der vielleicht schon bessere Tage gesehen hat – und | |
| womöglich nicht mal die. Von der WM ist hier nichts zu sehen. Keine | |
| Plakate, keine Fahnen – auch kein Hinweis darauf, dass das deutsche Team | |
| hier gastiert. Die Gesprächspartner:innen in Wyong zeigen sich | |
| überrascht, dass die Deutschen hier sind. Das hatten sie nicht mitbekommen. | |
| Die deutschen Spielerinnen betonen bemüht, wie wohl sie sich hier fühlten. | |
| Kürzlich habe sie mit Felicitas Rauch auf der Terrasse gesessen, erzählt | |
| Svenja Huth, da sei eine Gruppe golfender Rentner zu ihnen gekommen. „Wir | |
| sind sofort ins Gespräch gekommen und haben ein Bild gemacht. Sie meinten, | |
| dass sie uns die Daumen drücken und es toll fänden, wenn Deutschland gegen | |
| Australien spielen würde.“ Nach Angaben des DFB sind auch die ersten beiden | |
| deutschen Spiele fast ausverkauft. | |
| In einem Sportpub in Wyong sitzen zwei ältere Herren beim Bier. Noch ist | |
| nicht viel los. Nein, das Eröffnungsspiel haben sie nicht geschaut, aber | |
| eine Zusammenfassung. „Ich glaube, die WM wird was verändern“, sagt der | |
| eine. „Die Australier lieben Sam Kerr. Wenn sie zurückkommt, und wenn sie | |
| über die Vorrunde hinauskommen, wird das Turnier was bewegen.“ Auch im | |
| Ligabetrieb? Der Mann hält das für möglich, sein Freund ist skeptischer. | |
| Sie sind wohlwollend. Aber die WM gucken werden sie nicht. Am Abend wird | |
| der Pub rappelvoll. | |
| Es läuft Australian Football der Männer. | |
| 21 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frauenfussball-in-Australien/!5945091 | |
| [2] https://www.smh.com.au/topic/matildas-jfe | |
| [3] https://www.zdf.de/nachrichten/sport/fussball-frauen-wm-2023-klima-unterkun… | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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