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# taz.de -- Erkenntnisse aus der WM: Ab jetzt alle zusammen
> Die Fußball-WM war als eine WM der Stars angekündigt. Doch während
> Heldinnen oft tragisch ausschieden, kam es zum Triumph des Kollektivs.
Bild: Letzter Auftritt einer Großen: US-Star Megan Rapinoe verschießt im Acht…
Einen Moment lang sah es aus, als würde diese WM doch noch zur Saga einer
einsamen Heldin werden. Da nämlich, als Sam Kerr im Halbfinale gegen
England mit einem [1][überragenden Distanzschuss], den nicht viele auf der
Welt so zu schießen vermögen, ihre Australierinnen unwiderstehlich schön
zum Ausgleich brachte.
Was wäre das für eine Geschichte gewesen nach der Wadenverletzung, nach all
dem Hoffen und Bangen. Aber nein, es war auch ihr nicht vergönnt, zur
Überfigur zu werden. England ging erneut in Führung, eine müde Kerr vergab
zwei hochkarätige Chancen. Und in Australien kritisierte mancher nachher,
man habe sie unverantwortlich früh nach der Verletzung über 90 Minuten
spielen lassen, zu hohem Druck ausgesetzt.
Die tragische [2][Figur Kerr] passte zu einem Turnier, dem keiner der
großen Namen einen Stempel aufdrücken konnte. In einer Welt mit obszön
bezahlten Männerfußball-Superhelden, Armadas voller Marvel-Superhelden und
autoritären vorgeblichen Politsuperhelden war dieses Turnier ein angenehmes
Gegenbild: ein Triumph der Kollektive. Der unerwarteten Randfiguren. Ein
Sieg des Spektakels Fußball. Und der Beleg, dass das mindestens ebenso gute
Unterhaltung ist.
## US-Team scheiterte an der eigenen Arroganz
Das Turnier wurde damit auch eine Art Gegenstück zur letzten WM. 2019 war
unzweifelhaft eine Heldinnen-WM, die der [3][Ikone Megan Rapinoe]. Ihr
Charisma und ihr wahrhaft großer Aktivismus, ihre überragenden
Flankenläufe, ihr erfolgreicher Kleinkrieg gegen Donald Trump, das
Führungstor im Finale: Die triumphal ausgebreiteten Arme Megan Rapinoes
werden für immer das Symbol jener WM bleiben.
Bei dieser WM 2023 aber blieb Rapinoe wie so viele Stars blass. Das
favorisierte US-Team scheiterte im Viertelfinale auch an der eigenen
Arroganz, während Rapinoe auf ihrer Abschiedstournee zur
Einwechselspielerin degradiert blieb. Beim Aus im Elfmeterschießen lachte
sie selbst bitter über die Ironie dieses Scheiterns – Rapinoe verschoss zum
ersten Mal in ihrer Profikarriere einen Elfmeter. Bisweilen wirkte die WM
wie eine schwarzhumorige Serie, die ihre Superstars konsequent scheitern
ließ. Oder ihnen bittere Nebenrollen verschaffte.
Die große Marta fand bei ihrer letzten WM so wenig ins Spiel der
Brasilianerinnen, dass man glatt vergessen konnte, dass sie überhaupt
teilgenommen hatte. Von Ada Hegerberg und ihren chronisch zerstrittenen
Norwegerinnen bleibt nicht mehr als eine kuriose Selbstauswechslung
Sekunden vor Spielbeginn in Erinnerung.
## Erfolg hatte, wer klug im Kollektiv spielte
Beth Mead und Fran Kirby fehlten verletzt, die große Defensivkünstlerin
Mapi León und Patri Guijarro fehlten in streikendem Protest. Und die mit
enormen Hoffnungen beladene Weltfußballerin Alexia Putellas blieb nach
ihrer schweren Verletzung ein Schatten ihrer selbst, und an Spaniens
Finalmärchen auch dann, wenn sie spielte, kaum beteiligt. Ähnlich wie bei
Kerr kam ihr Team ohne sie klar.
Ob England oder Spanien, Kolumbien oder Schweden, Japan oder Australien:
Erfolg hatte, wer klug im Kollektiv spielte. Wie aus der Zeit gefallen
wirkte dagegen das deutsche Spiel, mit peinlich durchsichtigen Flanken auf
die unzerstörbare Heldin Alex Popp. Und es sagt durchaus auch etwas, dass
vor dem Finale die erfolgreichsten drei Torschützinnen des Turniers zu
ausgeschiedenen Teams gehören. Erfolg hatte, wer variabel war.
Die Einzelschicksale waren oft schmerzhaft. Diese WM schuf damit aber auch
Raum für neue, leisere und vielfältigere Geschichten. Die spanische Zeitung
El País schrieb: „Geschichte schreiben bedeutet, dass Mädchen nicht mehr
nur Alexia sein wollen. Sie wollen auch Aitana, Salma, Jenni, Olga, Cata,
Alba sein.“
## Mit Coolness den Ball vom Kasten ferngehalten
Es war die WM der kometenhaft aufgestiegenen Ex-Leichtathletin Salma
Paralluelo, sinnbildlich für Spaniens hochbegabte junge Generation, es
war die WM von Entdeckung Teresa Abelleira und die der genialen Aitana
Bonmatí, die sich endlich aus dem Schatten von Putellas spielte. Es war die
WM der irren schwedischen Torfrau Zećira Mušović, die kaum jemand auf dem
Zettel hatte, mit ihrer Coolness den Ball fast schon qua Willenskraft vom
Kasten fernhielt und Schweden gegen die USA im Alleingang in die nächste
Runde trug.
Es war die WM der 23-jährigen Hinata Miyazawa, die unglaubliche fünf Tore
erzielte, und eine Showbühne für Mina Tanaka und ihre wunderschönen
Schnittstellenpässe. Und auch die WM der wieder hervorragenden
niederländischen Torhüterin Daphne van Domselaar. Im recht humorlos
auftretenden englischen Team waren es erneut die beiden seit Kindertagen
befreundeten Alessia Russo und Ella Toone, die selbst ernannte Partycrowd,
die die Spielfreude und oft die Tore besorgten.
Und nicht zuletzt war es ein Turnier der Unterschätzten und Übersehenen.
Wer schon hatte vorher vom kolumbianischen Wunderkind Linda Caceido gehört?
Wer von der 18-jährigen Ana María Guzmán, die in Kolumbiens Defensive so
abgezockt spielte, als mache sie den Job seit zehn Jahren, und der man
ebenfalls einen Wechsel in eine große Liga nachsagt?
## Eine WM der diversen Geschichten
Im australischen Team wurde die flinke Dribblerin Mary Fowler, geboren in
Papua-Neuguinea und eine der wenigen Indigenen in der Auswahl, zum Idol
nicht nur indigener Kids in Australien, sondern auch vieler Fans im
pazifischen Raum. In Papua-Neuguinea gab es ihretwegen WM-Rudelgucken. Auch
der erst 20-Jährigen von Manchester City dürfte eine große Karriere
bevorstehen.
Und niemand sollte die weltweite Wirkung von Marokkos Verteidigerin
Nouhaila Benzina unterschätzen, die als erste WM-Spielerin der Geschichte
mit Hidschab auflief – unter anderem ausgerechnet gegen Frankreich, das den
Hidschab auf dem Fußballplatz verbietet. Es war eine WM der diversen
Geschichten, der multipolaren Triumphe. Gut so.
18 Aug 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Alina Schwermer
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