# taz.de -- Megan Rapinoes letzte Fußball-WM: Miss Soccers Abschied | |
> Megan Rapinoe ist über den Fußball zum Leitbild des progressiven Amerika | |
> geworden. Die lesbische Kickerin nutzt und hinterfragt ihre Privilegien. | |
Bild: Selbstermächtigung auf dem Fußballplatz: Megan Rapinoe | |
Es ist nun ziemlich genau zwölf Jahre her, und Megan Rapinoes Haare waren | |
noch blond, doch jeder, der hinschauen wollte, konnte schon am 2. Juli 2011 | |
genau sehen, was für eine Athletin Rapinoe einmal werden würde. Es war das | |
zweite Vorrundenspiel der USA bei Rapinoes erster Weltmeisterschaft, es | |
ging im Rhein-Neckar-Stadion in Sinsheim gegen Kolumbien, und Rapinoe | |
schoss nur Minuten nach ihrer Einwechselung das erste WM-Tor ihrer langen | |
Karriere. | |
Doch anstatt gemäß Branchenbrauch in die Arme ihrer Mannschaftskameradinnen | |
zu springen, rannte Rapinoe an den Eckpfosten, packte sich ein Mikro und | |
schmetterte den Fans [1][Springsteens „Born in the USA“] entgegen. | |
Der Song war für sie der authentischste Ausdruck ihres Verhältnisses zu dem | |
Land, das sie auf dem Spielfeld repräsentierte, jene oft missverstandenen | |
Ballade dessen, was es heißt, in Amerika zu leben, wenn man zu den | |
Entrechteten und Machtlosen gehört. „Born down in a dead man’s town. First | |
kick I took was when I hit the ground. You end up like a dog that’s been | |
hit too much.“ Einer lesbischen Frau aus einer verarmten ländlichen Gegend | |
im Norden Kaliforniens sprachen Springsteens Worte aus dem Herzen. | |
Vom ersten Moment ihrer großartigen Karriere, die mit dem heute beginnenden | |
WM-Turnier ihren Abschluss findet, hat Megan Rapinoe die Plattform, die der | |
Sport ihr bietet, als Chance begriffen, sich mitzuteilen. Rapinoe hat immer | |
die Medienpräsenz, die ihr Talent ihr bescherte, als Verpflichtung | |
begriffen, den Mund aufzumachen. Ob man als Sportlerin politisch sein darf, | |
war für sie nie eine Frage, auch wenn das vor zwölf Jahren noch alles | |
andere als selbstverständlich war. Dass sich Politik und Sport nicht | |
trennen lassen, war ihr immer schon klar.# | |
## Affront gegen Trump | |
So wird Megan Rapinoe am Ende dieses Turniers ihren neuen Lebensabschnitt | |
als die Athletin beginnen, die sich nie hat den Mund verbieten lassen, die | |
immer für ihre Überzeugungen geradegestanden ist und dabei keine Rücksicht | |
auf Schaden für Image und Karriere genommen hat. Kolumnisten haben sie | |
deshalb den Muhammad Ali oder den Kareem Abdul-Jabbar unserer Zeit genannt, | |
mindestens jedoch sei sie auf Augenhöhe mit Colin Kaepernick. | |
Mit letzterem verbindet sie, dass sie nur Wochen, nachdem Kaepernick | |
begann, aus Protest gegen oppressive Polizeigewalt bei der Nationalhymne | |
niederzuknien, das Gleiche tat. Sie war die erste weiße Athletin in den | |
USA, die Solidarität mit den schwarzen Kollegen zeigte, und sie animierte | |
ihre Kolleginnen in der Nationalmannschaft dazu, sogar bei Länderspielen | |
mit der Geste aufzutreten. | |
Ihr endgültiges Coming-out als die Athletin, die keine Ruhe gibt, hatte | |
Megan Rapinoe freilich während der Fußball-Weltmeisterschaft 2019. Sie war | |
das Gesicht einer Mannschaft, die nicht davor zurückschreckte, den eigenen | |
Verband auf gleiche Entlohnung wie die Männer zu verklagen. Und sie | |
kündigte noch vor dem ersten Erstrundenspiel an, im Fall eines WM-Gewinns | |
nie und nimmer Donald Trump die Hand zu schütteln. | |
Dass sie und ihr Team ihre Haltung mit dem WM-Titel untermauerten und sich | |
tatsächlich in die Position manövrierten, [2][Trump einen Korb zu geben], | |
war für ihre Fans und für das gesamte liberale Amerika eine ungeheure | |
Genugtuung. Eine Genugtuung, die in Rapinoes berühmt gewordener Jubelgeste | |
mit den offenen Armen und dem leicht erhobenen Kinn eine perfekte | |
Spiegelung fand. | |
Seither ist Rapinoe als öffentliche Figur dem Sport um Längen entwachsen. | |
Sie ist Mode- und Stilikone. Sie ist Identifikationsfigur der | |
LGBTQ-Bewegung. Und sie ist umgarnte Fürsprecherin der amerikanischen | |
Linken. Progressive Politikerinnen wie Elizabeth Warren und Alexandria | |
Ocasio Cortez buhlen um ihre Unterstützung, Joe Biden hat ihr einen Orden | |
verliehen. Und viele möchten sie selbst in einem politischen Amt sehen. | |
## Ständiges Zweifeln | |
Rapinoe selbst ist sich bei all dem ihrer selbst jedoch weitaus unsicherer, | |
als ihr Auftreten dies erkennen lässt. Vergleiche mit Muhammad Ali und | |
Kareem Abdul-Jabaar würde sie weit von sich weisen und stets darauf | |
hinweisen, dass sie sich ihre Haltung nur leisten kann, weil sie weiß ist. | |
Sie ist sich dessen bewusst, dass sich ihr Aktivismus für sie ausgezahlt | |
hat – und sie hadert damit. Und wenn sie heute, stehend und mit hinter dem | |
Körper verschränkten Armen, die Nationalhymne hört und an Opfer von | |
Polizeigewalt denkt, stocken ihr die Gedanken, und sie fragt sich, ob sie | |
deren Namen nicht zu ihrem eigenen Nutzen missbraucht. | |
Rapinoe fragt sich unentwegt, ob das, was sie tut, das Richtige ist und ob | |
es ausreicht. Als eine schwarze Bürgerrechtsaktivistin sie am Flughafen | |
ansprach, verwickelte sie diese in ein langes Gespräch darüber, wie sie, | |
als Weiße, denn wirklich am sinnvollsten die Bühne nutzen kann, die der | |
Sport ihr bereitet hat. | |
Die Antwort war, dass allein die Frage schon genug ist. „Megan zeigt, dass | |
man nicht alles wissen muss, um etwas zu tun“, sagte die Aktivistin dem | |
mitreisenden Reporter. Und vielleicht ist das die wichtigste Botschaft, die | |
Megan Rapinoe dem Sport hinterlässt. | |
20 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=SHIOcg4I3dk | |
[2] https://www.newsweek.com/trump-slams-uswnt-rapinoe-says-woman-purple-hair-p… | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
## TAGS | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Megan Rapinoe | |
Frauenfußball | |
Fußball | |
GNS | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Kolumne Oben | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Kolumne Oben | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die WM im Steno: Das USAus | |
Die Titelverteidigerinnen verzweifeln an Schweden, die im Elfmeterschießen | |
gewinnen. Die USA sind raus. Und die Bundestrainerin ist weiter an Bord. | |
Teamarbeit bei der Nationalhymne: Singen für den besseren Kick | |
Nach der schlechtesten WM-Vorrunde der USA wird über die stillen | |
Spielerinnen bei der Nationalhymne diskutiert – eine alt bekannte elende | |
Debatte. | |
Fußball in den USA: Frauenpower nicht nur auf dem Platz | |
Der Männerfußball ist eurozentrisch, bei den Frauen gibt es zwei | |
Machtzentren. Die US-Profiliga präsentiert sich als stärkste Spielklasse | |
der Welt. | |
Die achtfache WM-Armbinde: Einen hinter die Binde kippen | |
Eine Vielzahl an Slogans hat die Fifa für die Kapitäninnen dieser WM | |
entworfen. Ein paar mehr hätten es schon sein können. | |
Missglückter Einkauf vor der WM: Oben ohne | |
Trikots von Weltstars der Fußball-WM, wie das von Marta, sind in | |
Deutschland fast nur digital und nicht für Männer erhältlich. Schade | |
eigentlich! | |
Zustand des Frauenfußballs vor WM: Glitter auf Morast | |
Am Donnerstag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen, der Andrang | |
ist riesig. Aber ist Frauenfußball wirklich Weltsport, groß und relevant? |