# taz.de -- Fußballfieber in Australien: Wie der Ball ans Ende der Kugel kam | |
> Wer denkt, Fußball finde nur auf dem Feld statt, liegt falsch. | |
> Krankheitsbedingt hat unsere Autorin außerhalb der Stadien das Turnier | |
> ganz neu erlebt. | |
Bild: Hat nicht gereicht: Sam Kerr und Mackenzie Arnold (r.) nach dem verlorene… | |
Es gibt im Englischen den schönen Begriff [1][watershed moment]. Ein | |
Augenblick, nach dem nichts mehr so sein wird wie zuvor. Den watershed | |
moment, als Fußball in Australien groß wurde und Frauenfußball ein | |
Weltspektakel, habe ich quasi über Bande erlebt. Wegen einer Kopfverletzung | |
just [2][am Tag nach dem Eröffnungsspiel] habe ich den Großteil dieser WM | |
in Krankenhäusern und Arztpraxen verbracht. | |
Man könnte meinen, ohne Stadion erlebe man nichts von einem Turnier, aber | |
das ist falsch – man sieht die WM in Vignetten, in unzähligen Gesprächen an | |
der Grasnarbe. Arzttermine verliefen üblicherweise so: Erst das Wichtige, | |
und dann das wirklich Wichtige – also WM-Analyse. Ich muss auch bei | |
Männerturnieren länger zurückdenken, um mich an eines zu erinnern, das so | |
allgegenwärtig und so populär war. | |
Diese Vignetten waren so berührend wie unterhaltsam. Ein Arzt erging sich | |
in langen Theorien zur Verletzung von Sam Kerr, ernsthaft überzeugt, die | |
sei bloß Fake. Kerr als Wunderwaffe. Ein philippinischer Arzt, aufgewachsen | |
in Manila, erzählte von seinem stolzesten Moment, dem 1:0-Sieg der | |
Philippinen über Neuseeland. Und verbreitete dann so enthusiastisch auf dem | |
Flur, da im Zimmer liege eine WM-Journalistin, dass mir ungefähr jede | |
Pflegerin erst mal von ihren Ticketkäufen berichtete. Ich fühlte mich wie | |
eine Stellvertreterin Sam Kerrs. | |
Es sind immer noch mehr Männer, die den Fußball-Smalltalk pflegen, aber | |
längst nicht nur. Die Neurologin will nach Gesprächsende erst mal wissen, | |
was ich vom Ausscheiden der USA halte. Und all das mit einer | |
selbstverständlichen Ernsthaftigkeit, die es in Europa bei Frauenturnieren | |
nicht gibt. Bei der WM in Frankreich dominierte ein gönnerhaftes „Mehr | |
Sichtbarkeit für die Frauen“-Narrativ. In Australien sagen sie eher | |
berauscht: „Public Viewing beim Fußball, kannst du dir das vorstellen?“ | |
## Es dauert nur | |
Das sickert auch aus den Großstädten heraus. Eine Taxifahrt zwischen Kanwal | |
und Wyong. Hier leben die Leute, die sich die explodierenden Mieten in | |
Sydney nicht mehr leisten können, zwei Stunden Pendelweg in die Stadt. Wir | |
fahren in meinen Vorort, den der Fahrer abfällig „Smackhead Village“ nennt, | |
wegen der vielen Drogensüchtigen. Er ist ein bisschen ein Hillbilly-Typ, | |
sehr nett und sehr frei von politischer Korrektheit. Er schimpft viel über | |
seine Ex und klagt darüber, was man heute alles nicht mehr sagen dürfe, um | |
es dann trotzdem zu sagen. Aber natürlich guckt er auch WM. „Diese vollen | |
Stadien, das ist toll für die Mädels“, sagt er und meint das. | |
Er will wissen, wie Frauenfußball in Deutschland so dastehe. Und er erzählt | |
von seinen beiden Töchtern, die jetzt Rugby spielten. Mädchen beim Rugby! | |
Er mache sich große Sorgen, wegen der Verletzungen. „Sie sagen mir: Papa, | |
du hast doch früher auch Rugby gespielt. Klar, aber wir waren Jungs.“ Ich | |
sage vorsichtig, was man so sagt in solchen Fällen. „Ja, ja“, sagt er, „… | |
weiß schon. Ich komme auch noch an den Punkt. Es dauert nur.“ Es gibt gute | |
Nachrichten von der Grasnarbe bei diesem Turnier. | |
17 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.collinsdictionary.com/de/worterbuch/englisch/watershed-moment | |
[2] /Fussball-WM-der-Frauen-2023-in-der-taz/!5944606 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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