# taz.de -- Fusion-Festival und Israel: Existenzrecht? Verhandelbar | |
> Einst war die Idee des Fusion-Festivals, einen Raum ohne Zwänge zu | |
> schaffen. Doch mit der Debatte um Nahost wurde dieser Vorsatz | |
> aufgekündigt. | |
Bild: Anarchoverortung: Fusion-Besucher in den vergangenen Jahren | |
Fast 70.000 Leute feierten im vergangenen Jahr vier Tage lang beim | |
Fusion-Festival. Einst war die Fusion ein Techno-Rave, inzwischen sind | |
viele Genres vertreten. Die Fusion war aber mehr als das. | |
„Ferienkommunismus“ war ihr Motto, sie verstand sich als temporäre autonome | |
Zone. Eine bessere Welt ohne Zwänge sollte hier für ein paar Tage | |
aufscheinen. | |
Doch jetzt muss man befürchten, dass der emanzipatorische Impetus des | |
Festivals von den autoritären Tendenzen einer neuen Generation linker | |
Aktivist*innen beschädigt wird, die inzwischen auch die Festivalleitung | |
erfasst zu haben scheinen. | |
[1][Im Februar hatte das Festival zwei rote Linien formuliert], „das nicht | |
verhandelbare Existenzrecht Israels und die Verherrlichung oder | |
Unterstützung der Hamas“. Das war richtig, denn innerhalb der so gezogenen | |
Grenzen kann jede Kritik an der israelischen Regierung, der Besatzung der | |
palästinensischen Gebiete nach 1967, der Gewalt von jüdischen Siedlern im | |
Westjordanland gegenüber Palästinensern oder Israels Kriegsführung in Gaza | |
formuliert werden. | |
Doch nun übt sich die Fusion [2][in ihrem Newsletter in „Selbstkritik“, | |
passt also die Beurteilung der Lage an die neue Parteilinie an]: „Viele | |
vermissten zu recht eine dritte rote Linie, die den Krieg in Gaza als | |
Völkermord und die israelische Besatzungspolitik als Apartheid benennt mit | |
einer klaren Abgrenzung gegen all diejenigen, die dies unterstützen, | |
negieren oder verharmlosen.“ | |
## Rote Linien | |
Wer also denkt, dass die vielen durch israelische Bomben getöteten | |
Zivilisten in Gaza durch das Verteidigungsrecht Israels nicht zu | |
rechtfertigen sind, und fordert, dass Kriegsverbrechen aufgeklärt werden | |
müssen, zugleich aber darauf hinweist, dass die arabischen Staatsbürger | |
Israels nicht unter Apartheid leiden, sondern unter Diskriminierung, die | |
sie jedoch nicht etwa davon abhält, Richter, Ärzte oder Kampfpiloten zu | |
werden, wird nun mit dem Verdikt der „Verharmlosung“ rechnen müssen. | |
Es kommt noch schlimmer: „Wir haben uns gescheut, die Begriffe ‚Völkermord… | |
und ‚Apartheid‘ selbst zu verwenden, sehen aber inzwischen, dass wir hier | |
falsche Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten genommen haben.“ Auch die | |
Fusion strickt jetzt an einer linken Version des „Schuldkults“. | |
Kein Wunder, dass sodann die eigene rote Linie infrage gestellt wird. „So | |
undifferenziert und plakativ, wie es aus unserer deutschen Perspektive | |
geschrieben wurde“, schließe das Existenzrecht Israels dasjenige eines | |
palästinensischen Staats de facto aus, heißt es. Durch „die zionistische | |
Großisrael-Politik“ werde „jegliche Perspektive zur Schaffung eines | |
souveränen palästinensischen Staates oder einer | |
israelisch/palästinensischen Ein-Staat-Lösung sabotiert“. Daher sei „für | |
viele palästinensische Fusionist:innen die Anerkennung dieses | |
nationalistischen israelischen Staats problematisch, und sie können dies, | |
zumindest so, wie wir es gefordert haben, nicht teilen“. Das solle man | |
respektieren. Klingt nach Awareness-Seminar, aber was bedeutet das? | |
Werden Aufrufe zur Zerstörung des jüdischen Staats und die Nichtanerkennung | |
eines jüdischen Rechts auf Selbstbestimmung jetzt Platz auf der Fusion | |
haben? Gibt es außer dem jüdischen noch einen anderen Staat, dessen | |
Existenzrecht man jetzt diskutieren darf? | |
## Symptom einer desaströsen Entwicklung | |
Die Aufkündigung des in der Linken [3][mühsam erkämpften Konsenses], dass | |
Israels Existenz nicht verhandelbar ist, ist keine ideologische Fußnote. | |
Sie beschädigt massiv Idee und Praxis emanzipatorischer Politik. Wer die | |
eine rote Linie überschreitet, wird die zweite nicht halten können. | |
Schon jetzt zeigt sich, dass subkulturelle und linke Gruppen wegen der | |
aggressiv-autoritär agierenden Free-Palestine-Bewegung [4][gelähmt sind | |
oder auseinanderbrechen]. Wer nicht „Free Gaza!“ ruft – oder gar mit „F… | |
Hamas!“ antwortet, [5][gilt als Zionist, also als Feind der Menschheit]. | |
Linke Orte, die sich gegen Antizionismus positionieren, [6][werden mit | |
roten Dreiecken markiert, mit denen die Hamas ihre Angriffsziele fixiert]. | |
Die Propagandisten in Moskau und Beijing, die längst auch mit | |
Desinformation über den Gaza-Krieg Chaos stiften, klopfen sich auf die | |
Schenkel. Die Statements der Fusion sind das Symptom einer desaströsen | |
Entwicklung. Hoffentlich kriegt sie noch die Kurve. | |
31 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fusion-festival.de/de/x/news/news-detailansicht/newsletter-febr… | |
[2] https://www.fusion-festival.de/de/x/news/news-detailansicht/palaestina-isra… | |
[3] /Linke-im-Nahost-Konflikt/!6002060 | |
[4] /Leipziger-Musikclub-IFZ-schliesst/!6013818 | |
[5] /Antisemitismus-im-Kulturbetrieb/!5971192 | |
[6] /Pro-Palaestina-Bewegung-in-Berlin/!6012578 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
## TAGS | |
Kolumne Starke Gefühle | |
wochentaz | |
Fusion | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Festival | |
Social-Auswahl | |
Gaza | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schlagloch | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kundgebung zum Gaza-Krieg: Kinderschuhe als Erinnerung | |
Bei einer Gedenkveranstaltung in Berlin zum Weltkindertag wurden die Namen | |
von Kindern verlesen, die in Gaza getötet wurden. | |
Gesundheit im Gazastreifen: Müll – die stille Bedrohung | |
Die hygienische Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Besonders unter | |
Kindern breiten sich Infektionskrankheiten aus. | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Zehntausende auf Israels Straßen | |
Zehntausende demonstrieren in Israel für Geisel-Abkommen. Auch Vermittler | |
drängen auf einen Deal. Rechte Minister drohen, Koalition platzen zu | |
lassen. | |
Kontroversen beim Nahost-Konflikt: Solidarität. Ja, aber … | |
Warum ist Mitgefühl im Nahost-Konflikt so ungleich verteilt? Bei den | |
Debatten spielen vor allem Emotionen eine Rolle, trotz der realen Fakten. | |
Debattenkultur zum Nahostkonflikt: Die Glocke von Gaza | |
Das aktuelle Staatsräson-Verständnis schadet unserem Land. Deutschland | |
sollte bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Misere ein | |
Partner sein. | |
Kulturpolitik im Nahost-Konflikt: (K)ein Raum für Diskurs | |
Der Berliner Senat droht, dem Kulturzentrum Oyoun die Förderung zu | |
streichen, weil es propalästinensischen Gruppen Räume zur Verfügung stellt. |