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# taz.de -- Forscherin über Frauen auf dem Rad: „Radverkehr muss komfortabel…
> Frauen bewegen sich anders auf dem Fahrrad als Männer, sagt die
> Mobilitätsforscherin Katja Leyendecker. Dazu braucht es eine geeignete
> Infrastruktur.
Bild: Überall Autos: Eine Frau überquert eine Straße im Hamburger Stadtteil …
taz: Frau Leyendecker, was hat Radfahren mit Gender zu tun?
Katja Leyendecker: Die Frage, wie wir uns bewegen, ist auf jeden Fall davon
abhängig, welcher Gender-Kategorie man sich zuordnet oder besser gesagt:
zugeordnet wird. Das hat einerseits mit den Rollenerwartungen zu tun, die
die Gesellschaft an Frauen hat, und andererseits damit, dass Radwege für
Frauen, insbesondere Frauen mit Kindern, sehr unpraktikabel konstruiert
wurden oder schon gar nicht vorhanden sind.
Wie können wir den Radverkehrsanteil von Frauen erhöhen?
Der [1][Radverkehr] darf nicht mehr hintenangestellt werden. Die
Stadtplanung ist vielerorts noch immer auf den Autoverkehr ausgelegt, das
muss sich ändern. Wir brauchen eine flächendeckende Gestaltung des
Radwegenetzes, wie in den Niederlanden. Denn je fahrradfreundlicher eine
Stadt ist, desto mehr Frauen sind auch mit dem Rad unterwegs.
Inwiefern hat das mit binären Geschlechterrollen zu tun?
In den Datensätzen spiegelt sich wider, dass Frauen mit Kindern wegen
dieser ungleichen Flächenverteilung stark benachteiligt werden. Jetzt kann
man natürlich argumentieren: Und wie ist das dann bei kinderlosen Frauen
wie mir? Aber auch ich möchte ja, dass das Ganze einfacher gestaltet ist.
Wenn wir mehr Frauen zum Radfahren bewegen wollen, müssen bestimmte
Kriterien oder Bedürfnisse erfüllt sein.
Zum Beispiel?
Einerseits auf der objektiven Ebene: Wir brauchen genug Platz, die
[2][Infrastruktur von Wegen], die Frauen zurücklegen, muss ausgebaut
werden. Andererseits auf der subjektiven Ebene: Es muss sich sicher
anfühlen, man sollte nicht mit Autos mithalten müssen, um im Straßenverkehr
voranzukommen.
Aber gilt das nicht auch für Männer?
Ja, allerdings unterscheidet sich das [3][Mobilitätsverhalten] von Frauen
und Männern. Wenn wir vom traditionellen Bild der Rollenverteilung
ausgehen, das heutzutage immer noch vorherrscht, ist der Mann vor allem für
den wirtschaftlichen Teil zuständig, und die Frau kümmert sich um die
Kinder. Dadurch ergeben sich natürlich andere Bewegungsmuster: Frauen legen
häufiger Versorgungswege zurück, um beispielsweise die Kinder wegzubringen
oder einzukaufen, wohingegen Männer – ganz vereinfacht gesagt – häufig nur
zur Arbeit und wieder zurück fahren.
Die Wege von Frauen sind also komplizierter?
Ich würde nicht sagen komplizierter, sondern vielfältiger, sozialer. Es
werden kleinteiligere Wegeketten statt weitgehend geradliniger Strecken
zurückgelegt, und es sind oft Kinder oder vollgepackte Einkaufstaschen mit
dabei. Das ist mit dem Fahrrad nicht immer leicht zu bewerkstelligen.
Müssen wir Frauen einfach zu einem anderen Mobilitätsverhalten erziehen?
Auf keinen Fall, denn es hängt wirklich davon ab, ob „Frauenwege“
ausreichend berücksichtigt wurden in der Stadtgestaltung. In den
Niederlanden ist das Geschlechterverhältnis von Radfahrenden ungefähr
ausgewogen, 55 Prozent aller Radfahrenden sind Frauen. In Deutschland gibt
es ein größeres Ungleichgewicht, genauso wie in England, wo nur circa 30
Prozent der Radfahrenden Frauen sind – bei einem Gesamtanteil des
Radverkehrs von nur zwei Prozent, wohlgemerkt. Es liegt also nicht an den
Frauen, sondern an den Verkehrsbedingungen.
Stimmt das mit Ihren Erfahrungen aus der Radaktivist*innen-Szene überein?
Was mich in der Szene gestört hat, war, dass dieses „Rad fahren macht Spaß�…
total in den Vordergrund gerückt wurde, obwohl meine Erfahrung genau das
Gegenteil war. Denn wenn wir aus sozialen und umweltgerechten Forderungen
heraus Radverkehr steigern wollen, dann muss der vor allem komfortabel
sein. Der Spaß kommt dann automatisch.
Und auch die Selbstverständlichkeit?
Definitiv. Wenn ich mir England angucke: Da bist du als Radfahrerin
inmitten der ganzen Autos eigentlich nur dann einigermaßen gut einzuordnen,
wenn du in voller Montur bist. Wohingegen du dich in den Niederlanden
einfach aufs Rad schwingen, losfahren und wieder absteigen kannst, ohne
dich als Radfahrer*in zu erkennen zu geben. Da ist das einfach
selbstverständlicher.
Warum schafft die Politik nicht einfach mehr Radwege?
Die Politik interpretiert die Forderung nach einer anderen Raumgestaltung
oft als Kampfansage. Um das verkürzt darzustellen: Die Politik ist
natürlich stark an die Wirtschaft geknüpft, und an der Autoindustrie hängen
nun einmal viele Arbeitsplätze. Deshalb ist es schwierig für die Politik,
Ansagen zu machen, solange sie keine andere Herangehensweise entwickelt und
für Stadtgestaltung keine anderen Narrative findet als „Autos first“. Und
genau deshalb brauchen wir eine aktive Zivilgesellschaft, um die Politik
auf solche Themen aufmerksam zu machen und uns Gehör zu verschaffen.
Wie kam es dazu, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigten?
Man könnte sagen, aus der Not heraus. Ich habe 23 Jahre lang in Newcastle
gelebt, wo es mit Radwegen noch viel schlechter aussieht als mancherorts in
Deutschland. Und irgendwann stellte ich fest, wie sehr ich mich eigentlich
abmühte mitten im Autoverkehr. Die Stadt wollte zwar eigentlich mehr
Menschen zum Radfahren bewegen, aber es passierte nichts. Das war so eine
typische Ja-Sager-Politik. Und dann habe ich eine Petition gestartet und
mich schließlich mit einer Freundin zusammengetan, um eine Radfahr-Kampagne
aufzuziehen, woraufhin auch andere Städte aktiv geworden sind.
Und wie kamen Sie dann auf das Frauenthema?
Ausgangspunkt war, dass das Thema Raumverteilung noch gar nicht angekommen
war. Es hieß immer: „Radfahren geht doch auch auf der Straße.“ Und da
fühlte ich mich in der Debatte als Frau dann oft missverstanden – sowohl
auf der politischen Ebene als auch auf der Diskussionsebene innerhalb der
Initiative. Und so fing ich an, mich auch frauenpolitisch einzusetzen.
Was haben Sie gemacht?
Wir haben klare Forderungen aufgestellt, die wir dann diskutiert haben, und
dadurch hat sich der Aktivismus in England über die Jahre hinweg auch sehr
stark gewandelt: von einer liberal-rechtlichen Forderung zur
strukturell-räumlichen Forderung. Daran waren meiner Erfahrung nach viele
Frauen maßgeblich beteiligt. Zuvor war die Domäne Radaktivismus eher
männlich belegt und durch die Frauenstimmen wurde auf einmal eine andere
Diskussions- und Debattenkultur eingeführt. Es ging plötzlich
diplomatischer zu, Zuhören spielte eine größere Rolle als vorher.
Wie sieht Ihre Vorstellung von einem gleichberechtigten öffentlichen
Verkehrsraum aus?
Wenn wir den Raum so umgestaltet haben, dass Eltern mit Kinderanhängern
oder Lastenrädern unbeschwert Rad fahren können, dann haben wir’s
geschafft. Denn dann wird es auch für andere Gruppen einfacher: Senioren,
Kinder, behinderte Menschen, also auch verschiedenartige Fahrradmodelle und
-bauarten.
Ist das eine Utopie?
Tiefgreifende Veränderungen beginnen ja im Prinzip immer mit einer Utopie.
Aber ich habe über die letzten Jahre gemerkt, dass es einen Trend gibt,
Raumverteilung und Radwegebau endlich als soziales Problem wahrzunehmen.
Natürlich auch unter dem Aspekt, dass wir klimafreundlicher werden, wenn
wir den individuellen Autoverkehr verringern. Paradebeispiel ist da
natürlich Berlin mit dem „Volksentscheid Fahrrad“, der vor zwei Jahren
große Wellen geschlagen hat und auch in anderen Städten Veränderungen
angestoßen hat. Er zwingt die Stadt Berlin, in die Fahrradinfrastruktur zu
investieren. Da findet auf jeden Fall eine Mobilitätswende statt.
Auch in Newcastle?
Einmal haben sie einen 500 Meter langen, richtig guten Radweg gebaut. Wie
es davor oder danach weitergeht, egal, aber immerhin ist etwas passiert.
20 Sep 2020
## LINKS
[1] /Streit-um-den-Strassenraum/!5711151
[2] /Buergerprojekte-fuer-mehr-Nachhaltigkeit/!5706742
[3] http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/
## AUTOREN
Lena Toschke
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