Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fotoschau übers Radfahren auf dem Rad: Vehikel der Veränderung
> Das Radfahren mit einem subkulturellen Anspruch: Die durch Berlin
> rollende Fotoschau „Easy Rider Road Show“ zeigt die Freiheit auf Rädern.
Bild: Schauen aus wie The Wild Ones: die Mitglieder vom Chilango Low Bike Club
Berlin taz | Warum es sich lohnt, das Auto dieses Wochenende stehenzulassen
und sich stattdessen auf den möglicherweise etwas angestaubten Drahtesel zu
schwingen? Die Easy Rider Road Show, eine mobile Fotoausstellung über
Fahrräder auf Fahrrädern, tourt im August und September jedes Wochenende
kreuz und quer durch Berlin: Auf Lastenrädern sind fotografische Projekte
zu bestaunen, deren Protagonist*innen das Fahrrad wahlweise als
Freiheitsversprechen, Glücksbringer, punkigen Pogo oder utopisches Vehikel
interpretieren.
Die Ausstellung widmet sich Subkulturen, deren Nabe das pedalgetriebene
Zweirad ist. Nun sind Subkulturen ohnehin spannend, und wenn sie dann noch
um das klimaneutralste und lebenswerteste aller Fortbewegungsmittel kreisen
(von den eigenen Beinen einmal abgesehen), sind sie Grund genug, alles
stehen und liegen zu lassen, aufs Rad zu hüpfen und nach New York,
Mexiko-Stadt, London oder wenigstens bis nach Kreuzberg zu radeln und
anzuheuern, bei den „Bike Wars“ beispielsweise.
Dort treten die punkigen Wettstreiter*innen auf selbst
zusammengeschweißten Rädern solange gegeneinander an, bis nur noch eine*r
sattelfest sitzt. Die übrigen Räder werden in ihre Einzelteile zerlegt.
Schönes bauen, ohne Angst, es zu verlieren oder kaputtzumachen, lautet die
Devise der Bike Wars – viele milliardenschwere Unternehmen täten gut daran,
sich ein Beispiel zu nehmen.
Der erste Bike War fand 2006 im Rahmen des Karnevals der Subkulturen statt
– eine Alternativveranstaltung zum Umzug des Karnevals der Kulturen.
Inspiriert wurden die Berliner Bike Wars vom New Yorker Bike Kill, dessen
Anhänger*innen bereits in den neunziger Jahren begonnen haben,
Hochräder zu bauen, die sich an viktorianischen Modellen aus der Frühzeit
des Fahrrads orientierten.
In seiner Anfangszeit, vor mehr als zweihundert Jahren, fungierte das
Fahrrad nämlich als Spielzeug reicher Leute, bis die Frauenbewegung es sich
zu Nutzen machte: Mithilfe des Fahrrads konnten Frauen allein und autonom
unterwegs sein und sich dank der praktischen Notwendigkeit des Radfahrens
zugleich von einengenden Kleiderordnungen befreien. Das Fahrrad war also
immer schon mehr als nur Verkehrsmittel: Es ist ein Vehikel der
Veränderung.
Veränderung bewegen wollen auch die Londoner BikeStormz: „knifes down,
bikes up“, Messer runter, Räder hoch, lautet ihr Motto, um Jugendliche von
den Versuchungen der Straße fernzuhalten und zu akrobatischem Cruisen zu
animieren. Mittlerweile genießen die zweijährig stattfindenden BikeStormz
den Status eines nationalen Ereignisses: Tausende junge, zumeist männliche
Radfahrer fahren zusammen, virtuose moves vollführend, wie den Wheelie, bei
dessen Ausführung gilt, das Vorderrad immerzu in der Luft zu halten. Als
positiven Nebeneffekt lernen die Jugendlichen ihre Stadt kennen, von der
sie kaum mehr als die Straßen ihres Viertels gesehen haben. Radfahren, das
zeigen die Schwarz-Weiß-Fotografien junger, ganz unterschiedlicher Menschen
von Adam Corbett, ist freiheitsstiftend, zugänglich und universell.
Damit auch in Berlin noch mehr Menschen zum klimafreundlichen Gefährt
greifen, bedarf es jedoch der entsprechenden Strukturen: Wer mehr
Fahrradwege säe, sagt zum Beispiel Johanna Schelle von dem Berliner Projekt
Radbahn, ernte auch mehr Fahrradfahrer*innen. Immerhin verfüge statistisch
betrachtet jeder Berliner Haushalt über mehr als ein Fahrrad. Die Idee zur
Radbahn entstand 2015: Zwischen Tauentzienstraße und Oberbaumbrücke soll
unter und entlang der Hochbahn der Berliner U-Bahn-Linie U1 ein begrünter
Radweg entstehen.
Autofreie Tage hat man auch in Mexiko-Stadt eingeführt: An Sonntagen sind
die Hauptstraßen für den Autoverkehr gesperrt. Umso mehr Aufsehen erregen
die vom französischen Fotografen Jeoffrey Guillemard porträtierten
Mitglieder des Chilangos Lowbike Club, wenn sie auf ihren tiefergelegten,
verchromten, mitunter vergoldeten Lowridern die Straßen einnehmen: mit
Spiegeln an Lenkrädern, Bananensatteln und nachgeahmten Auspuffrohren
entsprechen die Chilangos in ihrer Rad-Ästhetik dem Stereotyp Gangster.
Tatsächlich sind sie ein weiteres Beispiel dafür, dass es selten ratsam
ist, von der Ästhetik auf den Inhalt zu schließen: Denn die Mitglieder,
Männer und Frauen, lehnen Klankriminalität und Drogen ab, unterstützen sich
innerhalb ihrer Gemeinschaft und scheuen sich auf ihren sonntäglichen
Ausflügen nicht, auf ängstliche Passant*innen zuzugehen und den
fahrenden Beweis dafür zu liefern, dass Bewohner*innen armer Viertel
nicht automatisch Kriminelle sind.
In diesem Sinne bietet die Easy Rider Road Show – ein Projekt des Museums
der Subkulturen in Kooperation mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin –
Gelegenheit, den eigenen Hintern hochzukriegen und dabei über die
dokumentarische Arbeit verschiedener Fotograf*innen Vorreiter*innen
kreativer Lebensweisen kennenzulernen, die sich abseits kapitalistischer
Normzwänge und kurzlebigen Konsums bewegen.
14 Aug 2021
## AUTOREN
Marielle Kreienborg
## TAGS
Fahrrad
Stadtmuseum Berlin
Subkultur
Verkehrswende
Fahrrad
Frauen
Mobilitätswende
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorabdruck eines Fahrradromans: Geschichten aus der Verkehrswende
In „Die Zahl 38.185“ ist Aachen Kriegsschauplatz. Radler und Autofahrer
befehden sich so obsessiv, dass einige sogar in Therapie müssen. Nur
Satire?
Hochschulforschung in Darmstadt: Stadt der Zukunft
Die Hochschule in Darmstadt will eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung.
Dafür arbeiten Forscher gemeinsam mit Verwaltung und Aktivisten.
Forscherin über Frauen auf dem Rad: „Radverkehr muss komfortabel sein“
Frauen bewegen sich anders auf dem Fahrrad als Männer, sagt die
Mobilitätsforscherin Katja Leyendecker. Dazu braucht es eine geeignete
Infrastruktur.
Im Berliner Verkehr ist die Hölle los!?: Friede den Straßen
Ein ebenso integrations- wie verkehrspolitischer Appell unserer Autorin.
Die ist Autofahrerin – aber vor allem auch leidenschaftliche Fußgängerin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.