| # taz.de -- Forscherin über Demos gegen rechts: „Das ist kein kurzer Empöru… | |
| > Die Massendemonstrationen gegen rechts werden bleiben, meint | |
| > Protestforscherin Lisa Bogerts. Wichtig sei aber, auch im ländlichen Raum | |
| > zu mobilisieren. | |
| Bild: Der „Aufstand der Anständigen“ am 2. Februar 2025 in Berlin | |
| taz: Am Wochenende haben in Berlin und anderen Städten wieder | |
| [1][Hunderttausende gegen rechts demonstriert]. Wie entstehen solche | |
| Massendemonstrationen? | |
| Lisa Bogerts: In der Protestforschung gibt es verschiedene | |
| Erklärungsmodelle dafür, wie so große Proteste erfolgreich mobilisiert | |
| werden. Die Menschen müssen ja nicht nur ein Problem sehen, sie müssen auch | |
| glauben, dass Protest das richtige Mittel ist, um zur Lösung dieses | |
| Problems beizutragen. Und Sie müssen glauben, dass jetzt genau der richtige | |
| Zeitpunkt ist, um dafür auf die Straße zu gehen. | |
| taz: Und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt? | |
| Bogerts: Die Wahlen spielen natürlich eine Rolle. Ein anderer | |
| Erklärungsfaktor ist das, was man einen moralischen Schock nennt. Also, | |
| dass ein bestimmtes Framing eines Problems als besonders empörend empfunden | |
| wird. Das war letztes Jahr das [2][Geheimtreffen in Potsdam] und dieses Mal | |
| der Versuch der CDU, ihren Antrag [3][mithilfe der AfD durchzubringen] und | |
| das Abstimmungsverhalten im Bundestag. Das stellt in der öffentlichen | |
| Wahrnehmung einen großen Tabubruch dar. | |
| taz: In Berlin waren es laut Polizei 160.000 Demonstrant*innen, laut | |
| Organisator*innen 250.000. Wie aussagekräftig sind | |
| Teilnehmer*innenzahlen überhaupt? | |
| Bogerts: Man kann Teilnehmerzahlen bei so großen Demos nicht zählen, | |
| sondern nur schätzen. Da ist also [4][viel Raum für Ungenauigkeiten]. Die | |
| Polizei schätzt im Vergleich zu unabhängigen Forschungszahlen die | |
| Teilnehmer geringer und die Veranstalter höher. Hier kann man zur | |
| Orientierung den Mittelwert nehmen. | |
| taz: Warum ist es in Zeiten von KI nicht möglich, exakte Zahlen zu | |
| bestimmen? | |
| Bogerts: Es gibt auch bildbasierte Methoden, die, unterstützt von KI, die | |
| Zahl ermitteln. Das ist aber wegen des Risikos, dass solche Aufnahmen auch | |
| zur Überwachung oder gar Strafverfolgung eingesetzt werden, umstritten. | |
| taz: Was können Massenproteste überhaupt bewirken? | |
| Bogerts: Der Erfolg von Protest wird öffentlich sehr streng eingeschätzt. | |
| Es wird geschaut: Haben die Proteste die Politik konkret verändert? In | |
| unserer Studie haben wir herausgefunden, dass die Demonstrierenden letztes | |
| Jahr gar nicht die Absicht hatten, Wähler von rechtsextremen und | |
| rechtspopulistischen Parteien umzustimmen oder die Politik zum Handeln zu | |
| bewegen. Es ging darum, öffentlich ein Signal zu senden: Wir sind die | |
| Mehrheit, die Zivilgesellschaft ist wachsam. Und wir wollen Menschen zur | |
| Wahl motivieren, die traditionell nicht wählen gehen. | |
| taz: Und so ist es jetzt auch wieder? | |
| Bogerts: Ja. Die CDU steht [5][unter Druck, sich zu rechtfertigen]. | |
| taz: Also sind die Proteste ein Erfolg? | |
| Bogerts: Ja. Man mag sich nicht ausdenken, was ohne diese Proteste wäre. | |
| Vielleicht wären die Umfragewerte für rechtsextreme Parteien noch besser. | |
| taz: Wie geht es jetzt weiter? War das nur ein kurzer Empörungsmoment? | |
| Bogerts: Ein kurzer Empörungsmoment war es nicht. Wir sprechen in der | |
| Protestforschung von Wellen. Es gibt natürlich schon lange eine Bewegung | |
| gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Aber spätestens seit Anfang letzten | |
| Jahres kann man von der [6][ersten Welle] dieser ganz gezielten | |
| prodemokratischen Proteste reden. Im Sommer hatten wir die zweite Welle im | |
| Rahmen der Europa- und Kommunalwahlen. Und jetzt haben wir eine dritte | |
| Welle. | |
| taz: Haben die Proteste eine neue Qualität? | |
| Bogerts: Ja. Hier sind neue Bündnisse entstanden mit Akteuren, die sich | |
| vorher so in der Form nicht zusammengetan haben: Große | |
| Wirtschaftsunternehmen, Medienhäuser, sehr viele öffentliche | |
| Persönlichkeiten, auch aus dem konservativen und bürgerlichen Spektrum. Das | |
| ist keine rein linke Bewegung, die hier auf die Straße geht. Und man kann | |
| davon ausgehen, dass, falls es bei den Wahlen zu einem Erstarken der | |
| extremen Rechten kommt, es diese Bewegung auch weiter geben wird, um diese | |
| unter Druck zu setzen. | |
| taz: Spielen Städte wie Berlin hier eine besondere Rolle? | |
| Bogerts: Berlin ist das politische Zentrum. Demos am Bundestag oder dem | |
| Konrad Adenauer Haus machen natürlich einen anderen Eindruck auf die | |
| Entscheidungsträger*innen, als wenn es irgendwo anders ist. Gleichzeitig | |
| muss auch abseits von urbanen Zentren wie Berlin, Hamburg oder Köln | |
| mobilisiert werden. Hier gibt es traditionell eher progressivere und | |
| weniger konservative oder gar rechtspopulistische Wählerschaften. Es ist | |
| sehr wichtig, auch in ländlichen Gebieten zu mobilisieren, in kleineren | |
| Städten und insbesondere dort, wo demokratiefeindliche Akteure ein Klima | |
| verbreiten, das es viel schwieriger macht, für die Zivilgesellschaft | |
| öffentlich Gesicht zu zeigen. | |
| 4 Feb 2025 | |
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