# taz.de -- Folgen deutscher Asylpolitik: Einladung von der Diktatur | |
> Zwei Asylsuchende in Berlin und Eberswalde haben sich das Leben genommen, | |
> wohl aus Angst vor Abschiebung. Initiativen kritisieren Anhörungspraxis. | |
Bild: Alpha Oumar Bah hatte große Angst vor Abschiebung, seine Familie in Guin… | |
BERLIN taz | Wieder hat sich ein junger Mann aus Angst vor Abschiebung das | |
Leben genommen. Wie der Berliner Flüchtlingsrat und andere Organisationen, | |
darunter Moabit hilft, Migrantifa und Black Lives Matter Berlin, am Montag | |
bekannt gaben, beging ein 27-jähriger Mann aus Guinea in der Nacht von | |
Dienstag auf Mittwoch vorige Woche in seiner Gemeinschaftsunterkunft in | |
Spandau Selbstmord. Auslöser seien offenbar die Vorladungen | |
ausreisepflichtiger Geflüchteter bei einer Guinea-Delegation gewesen, die | |
das Landesamt für Einwanderung (LEA) zur Ausstellung von Reisedokumenten | |
angeordnet hatte. | |
Alpha Oumar Bah lebte mehr als drei Jahren in Berlin in einer | |
Geflüchtetenunterkunft und verdiente seinen Lebensunterhalt bei einer | |
Reinigungsfirma. Der Flüchtlingsrat und die an der Erklärung beteiligten | |
Vereine fordern „eine genaue Aufarbeitung der Umstände seines Todes und | |
dessen Zusammenhang mit dem psychischen Druck und der Auswegslosigkeit | |
durch die aktuelle Berliner Abschiebepolitik“. | |
Ein Sprecher der Innenverwaltung wollte auf Anfrage keinen Zusammenhang | |
zwischen den Anhörungen, einer möglicherweise drohenden Abschiebung und dem | |
Suizid sehen. Der junge Mann sei noch im Asylverfahren gewesen und daher | |
aktuell vor Abschiebung geschützt. „Mithin kann er auch keine Aufforderung | |
zur Vorsprache bei der Delegation erhalten haben.“ Die bei der Delegation | |
vorgeführten Berliner Fälle seien „fast ausschließlich“ Straftäter gewe… | |
Wenige Tage zuvor hatte sich in Eberswalde ein Mann aus Tschad, Salah | |
Tayyar, das Leben genommen. Sein Asylantrag war abgelehnt worden. Im April | |
hätte er noch einen Termin vor Gericht gehabt, aber er habe wohl nach acht | |
Jahren in Deutschland keine Chance mehr auf einen rechtlich sicheren | |
Aufenthalt gesehen, erklärte die Gruppe Barnim für alle, die für Sonntag | |
eine Kundgebung organisiert hatte. Laut Medienberichten nahmen daran rund | |
200 Menschen teil. | |
## Nationalitätenzuordnung per Dialekt | |
Die Guinea-Anhörungen in Berlin hatten schon vor dem Selbstmord [1][für | |
scharfe Kritik gesorgt]. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte bei einem | |
Pressetermin im [2][Görlitzer Park] erklärt, der Delegation würden „Dealer… | |
ohne Papiere vorgestellt, damit diese zügig abgeschoben werden könnten. Auf | |
Kritik stieß nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Praxis der | |
„Botschaftsanhörung“ selbst. Wie oft bei solchen Delegationen sei auch hier | |
unklar, mit welcher Legitimation die Mitglieder arbeiteten, erklärte Nora | |
Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin. Auch sei die Praxis, Menschen anhand | |
ihrer Sprache, des Dialekts und teils auch wegen ihres Aussehens einer | |
Nationalität zuzuordnen überaus fragwürdig. | |
Das findet auch Balde Aissatou Cherif vom Verein Guinée Solidaire. Die | |
Beamten aus Guinea seien gar nicht in der Lage, jeden Dialekt, jede Sprache | |
richtig einzuordnen, die zudem oft über Landesgrenzen hinweg gesprochen | |
würden. „Sie haben keine Qualifikation mich zum Beispiel zu beurteilen“, | |
sagte sie. Zudem herrsche in Guinea eine Diktatur. „Willkürliche Übergriffe | |
gegen Zivilist*innen und Demonstrant*innen, ethnische | |
Auseinandersetzungen oder exzessive Gewaltanwendung von Sicherheitskräften | |
sind dort an der Tagesordnung“, erklärte sie. | |
Hierzulande habe daher schon die Ankündigung der Delegation Panik in der | |
guineischen Community ausgelöst, sagt Cherif. Nicht wenige Geflüchtete mit | |
Duldung seien aus Angst vor Abschiebung untergetaucht, auch Freunde von | |
Alpha Oumar Bah aus dem Heim. „Aber der junge Mann hatte Arbeit und wollte | |
das nicht.“ Freunde hätten ihr berichtet, dass er wegen der Situation viel | |
geweint habe. | |
„Er war am Limit! Er wollte auf keinen Fall zurück, seine Familie in Guinea | |
hat alles auf ihn gesetzt, er hat jeden Monat Geld überwiesen.“ Das wisse | |
sie von Oumar Bahs Vater, den sie am Wochenende telefonisch über den Tod | |
seines Sohnes informieren musste. Cherifs Verein [3][sammelt nun über eine | |
Onlineplattform Geld] für die Überführung des Leichnams und zur | |
Unterstützung seiner Familie. | |
22 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Fragliche-Abschiebepraktiken/!5757646 | |
[2] /Drogenhandel-in-Berlin-Kreuzberg/!5738936 | |
[3] https://www.gofundme.com/f/2b9amiz4uo?member=9449700&sharetype=teams&am… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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