# taz.de -- Flüchtlingslager Moria in Griechenland: Zwischen Elend und Abschre… | |
> Nach dem Brand in Moria haben Organisationen viele Spenden gesammelt. Die | |
> Lage vor Ort ist aber weiter katastrophal. | |
Bild: Wasserstation im Flüchtlingscamp Kara Tepe auf Lesbos | |
BERLIN taz | Vor rund drei Monaten [1][ist das wohl schlimmste | |
Flüchtlingslager Europas abgebrannt]: Moria auf der griechischen Insel | |
Lesbos. Millionen an Spenden und Steuergeldern sind seitdem mobilisiert | |
worden, damit die 8.000 Flüchtlinge auf der Insel es künftig besser haben. | |
Doch davon kann bislang keine Rede sein: Im hereinbrechenden Winter leben | |
die Schutzsuchenden im neuen Camp in windschiefen Zelten, die immer wieder | |
überflutet werden. | |
Das neue Lager Kara Tepe ist ein einstiger Schießübungsplatz des Militärs. | |
Die Menschen dort schlafen auf Geröll. Da es keine Duschen gibt, müssten | |
sich alle im Freien mit kaltem Wasser waschen, berichtet der afghanische | |
Flüchtling Omid Alizadah. Auch Frauen und Kinder müssten für die | |
Essenausgabe, zweimal am Tag, stundenlang anstehen. | |
Und die Spenden? Alizadah erzählt von einer „Handwaschstation“, die von | |
einer Hilfsorganisation in Kara Tepe aufgebaut worden sei. Dort stehe ein | |
Freiwilliger und fordere zum Händewaschen auf oder zeige, wie das gemacht | |
wird. | |
Alizadahs Entrüstung ist am Telefon zu hören: „Wenn die Leute Wasser | |
hätten, könnten sie das schon selbst!“ Er zählt auf, was dringend gebraucht | |
wird: fließend Wasser, Strom, Medikamente. „Es wäre eine gute Zeit, hier | |
Geld auszugeben“, sagt er. | |
## Geld ist nicht das Hauptproblem | |
Geld sollte eigentlich da sein: Schon lange sammeln etliche | |
Hilfsorganisationen für Geflüchtete auf den griechischen Inseln. [2][Dann | |
brannte das Camp Moria am 8. und 9. September ab], die Spendenbereitschaft | |
stieg. Mit „Nothilfe erforderlich: Wir brauchen Sie, jetzt!“ rief etwa | |
Movement on the Ground, eine niederländische Nichtregierungsorganisation | |
(NGO), schon am zweiten Tag nach dem Brand zu weiteren Spenden auf. | |
Sie war nicht die einzige. [3][Auch die EU kündigte weitere Hilfen für die | |
Flüchtlinge in Griechenland an]x. Doch die Insassen des neuen Camps auf | |
Lesbos sagen, es sei dort jetzt schlimmer als zuvor in Moria. Wie geht das | |
zusammen? | |
Die taz hat 18 auf Lesbos aktive Hilfsorganisationen gefragt, wie viele | |
Spenden sie seit dem Brand gesammelt haben und wofür sie diese ausgeben | |
konnten. Neun NGOs antworteten. Sie gaben an, seit dem Brand 5,8 Millionen | |
Euro gesammelt zu haben. Vier Millionen Euro davon sollen bereits für | |
Nothilfe, Notunterkünfte und konkrete Hilfsprojekte ausgegeben worden sein. | |
## Im Lager fehlt es fast an allem | |
Doch den 8.000 Geflüchteten auf Lesbos fehlt es noch immer an fast allem. | |
Das sagen mehrere voneinander unabhängige Quellen. „Ich bin auch der | |
Meinung, dass das Geld nicht bei den Geflüchteten ankommt“, schreibt etwa | |
Alice Kleinschmidt von der deutschen NGO Borderline Europe der taz. | |
Dabei wurde durchaus schon einiges geliefert: Das UN-Flüchtlingshilfswerk | |
UNHCR hat nach eigenen Angaben etwa eintausend Familienzelte, rund fünfzig | |
neue Toiletten, zehn vorgefertigte Lagerhallen und sechs Generatoren im | |
neuen Camp auf Lesbos aufgestellt und dazu mehrere tausend Bettdecken, | |
Schlafsäcke, Plastikmatten und Wasserkanister für Regenwasser verteilt. | |
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat auf Lesbos vor allem 1.800 sogenannte | |
Wash & Dignity Kits verteilt, das sind Kisten mit Seifen, Waschmitteln, | |
Wasserreinigern, Eimern, Unterwäsche und Menstruationsbinden. Außerdem | |
kümmert Unicef sich momentan um 72 alleinerziehende Mütter, ihre 116 Kinder | |
und 30 unbegleitete Kinder in einem Abschnitt des Lagers für Familien. | |
Das Internationale Rote Kreuz und der Rote Halbmond geben an, seit dem | |
Brand in Moria dort 940.000 Euro ausgegeben zu haben. Finanziert wurden | |
eine mobile Gesundheitsstation, Zelte, Winter- und Hygiene-Kits und ein | |
Spezialteam, um für sauberes Wasser und Sanitäranlagen zu sorgen. Die | |
anderen sechs Hilfsorganisationen, die der taz geantwortet haben, haben | |
kleinere Spendenbeträge gesammelt und ausgegeben. | |
Der Griechische Flüchtlingsrat sammelte nach dem Feuer 35.000 Euro Spenden. | |
Damit konnte die NGO ihr Team auf Lesbos mit eine:m Sozialarbeiter:in und | |
eine:m Farsi-Übersetzer:in verstärken. Die Caritas Hellas gibt an, seit dem | |
Brand 150.000 Euro Spenden bekommen zu haben. Damit habe sie auf Lesbos und | |
Chios unter anderem tausend Schlafsäcke verteilt und 40 Chemietoiletten | |
aufgestellt. | |
## Flüchtling wundert sich, wo die Hilfsgelder verbleiben | |
Die 162 nationalen Verbände der Caritas arbeiten selbstständig, doch einige | |
kooperieren für Projekte. So hat die Caritas International den griechischen | |
Verband mit 75.000 Euro unterstützt und 450.000 Euro für ein Jahr für ein | |
Projekt gegeben, das anerkannten Asylbewerber:innen auf Lesbos, Chios und | |
in Athen hilft. | |
Die kleineren NGOs Lesvos Solidarity und Refugee4Refugees schrieben nur, | |
keine Kapazitäten zur Beantwortung der Anfrage zu haben. Intersos wollte | |
gar keine Angaben machen. Drop in the Ocean sowie Help International haben | |
gar nicht auf die Fragen reagiert. | |
Von den Hilfen „kommt bei den Menschen bisher wenig an“, sagt Omid | |
Alizadah. Er engagiert sich im Moria Corona Awareness Team, einer von | |
Geflüchteten selbst organisierten Gruppe. Sie informiert über Facebook, | |
gibt Erste-Hilfe-Kurse und Tipps, sich zu schützen. „Es wurden auch Masken | |
gespendet, aber nur Wegwerfmasken“, sagt er. „Wir brauchen aber zehn Mal so | |
viele und wiederverwendbare.“ | |
## Keine Transparenz und Kontrolle der Mittelverwendung | |
Sein Wunsch: Die Versorgungslücken vor Ort müssten erkannt und schnell | |
geschlossen werden – eine Handwaschstation reiche nicht, der Winter ist | |
schon da. Etwa 8.000 Geflüchtete leben heute auf Lesbos. Die eingesammelten | |
vier Millionen entsprechen pro Kopf 500 Euro. Warum gibt es diese | |
Diskrepanz zwischen Spendenhöhe und der Situation vor Ort? | |
Ein Teil der Antwort: Letztlich tragen die griechischen Behörden die | |
Verantwortung für die Situation im Lager und nicht NGOs. Griechenland hat | |
erhebliche Mittel für die Flüchtlingsversorgung aus Brüssel bekommen – | |
lässt sich aber nicht in die Karten schauen. Das griechische Ministerium | |
für Migration und Asyl, die für das Lager Kara Tepe zuständig ist, hat | |
nicht auf die taz-Anfrage reagiert. | |
Efi Latsoudi ist Referentin der NGO Refugee Support Aegean, die von Pro | |
Asyl aus Deutschland finanziert wird. Am Telefon klingt sie aufgebracht. | |
Der Mangel in den Lagern sei offensichtlich, aber es fehlten Daten, sagt | |
sie. Wohin Spenden genau fließen? Das sei nur sehr schwer zu beantworten. | |
Die 2016 mit dem Nansen-Preis des UNHCR ausgezeichnete Latsoudi betont, wie | |
undurchsichtig die Lage ist: „Wer ermittelt den Bedarf, wer koordiniert? Es | |
gibt keine Kontrollinstanz.“ Und das, vermutet sie, sei politisch gewollt. | |
„Im Zentrum dieser Flüchtlingskrise gibt es eine Menge Korruption“, | |
behauptet Latsoudi, nennt aber keine Details. | |
## Athen will „attraktive“ Aufnahmebedingungen verhindern | |
Griechenland hat von der EU von 2015 bis heute 2,8 Milliarden Euro für die | |
Flüchtlingsversorgung bekommen. Das ist im Verhältnis zur Zahl der | |
Aufgenommenen mehr, als jedes andere Land der Welt pro Kopf bekommen hat. | |
Gleichzeitig ist die größte Sorge der Regierung in Athen, die | |
Aufnahmebedingungen könnten auf weitere Flüchtlinge anziehend wirken. | |
„Der Aufwand und die Steine, die den Organisationen in den Weg gelegt | |
werden, werden weitgehend unterschätzt. Es ist ja auch kaum möglich, Zugang | |
zum Camp zu bekommen, um die Menschen mit Essen zu versorgen“, sagt Erik | |
Marquardt, ein Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Er steckt hinter | |
der Kampagne #LeaveNoOneBehind. Organisiert wird sie vom Verein | |
Civilfleet-Support, in dessen Vorstand Marquardt ist. | |
„Nach dem Brand haben wir uns gefragt, wie wir vor Ort schnell Projekte | |
planen können. Es war aber einige Zeit völlig unklar, wie lange das neue | |
Zeltlager eigentlich steht und ob es Sinn macht, dort Strukturen | |
aufzubauen“, sagt er. „Es reicht nicht, möglichst schnell Geld zu sammeln, | |
es muss auch in funktionierende Projekte fließen“ – etwa in die ersehnten | |
Duschen: „Wir werden nun warme Duschen in Containern für die Menschen aus | |
dem neuen Moria auf Lesbos liefern und sie neben dem Camp aufbauen, da die | |
Behörden immer noch keine eingerichtet haben.“ | |
Die Krux: zu helfen, ohne den allgemeinen Zustand zu legitimieren. „Wir | |
wollen uns nicht am Aufbau eines neuen Elendslagers beteiligen, sondern | |
nachhaltige Verbesserungen erreichen“, sagt er. | |
15 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fluechtlingslager-auf-Lesbos-ausgebrannt/!5708028 | |
[2] /Neuer-Brand-im-Lager-Moria/!5713507 | |
[3] /Nach-Brand-in-Moria/!5713419 | |
## AUTOREN | |
Kåre Holm Thomsen | |
Tobias Hausdorf | |
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