# taz.de -- Falsche Bilder vom Sterben: Der Joint am Abend | |
> Was wir alle brauchen, um einen guten Tod zu haben, sind Spezialisten für | |
> Lebensqualität. Und Überraschung: Im Hospiz gibt es sie. | |
Bild: Gegen jedes Klischee: Patientenzimmer des Vivantes Hospiz im Wenckebach-K… | |
Neulich sagte der Palliativmediziner Prof. Sven Gottschling im Interview, | |
dass die meisten Leute sich unter einem Hospiz ein schwarzes Haus ohne | |
Fenster vorstellen, das man nur verlässt, wenn man ein Zettelchen am Fuß | |
hat. Ich dachte, er übertreibt. Letzte Woche habe ich dann einen Film | |
gesehen, in dem ein junger Mann ins Hospiz kam – und musste meine Meinung | |
revidieren. Das Haus hatte zwar Fenster, aber durch die kam sehr wenig | |
Licht. Und die Wände waren tatsächlich schwarz gestrichen. Vielleicht | |
anthrazit. | |
Macht aber nichts, weil der junge Mann kaum mehr bei Bewusstsein war, als | |
er dorthin kam, und am nächsten Morgen war er auch schon tot. Ein Freund | |
des Verstorbenen, der zu spät kam, [1][um sich noch einmal zu | |
verabschieden,] wurde von einer Nonne in einen weiß gekachelten Raum | |
geführt, wo sie salbungsvoll ein Tuch über dem Toten zurückschlug. | |
Manchmal vergesse ich wirklich, dass es solche medial vermittelten Bilder | |
sind, die in unserer Gesellschaft herumgeistern. Sie sind nicht nur falsch, | |
sie verhindern auch Aufklärung – darüber, was Sterben wirklich bedeutet. | |
Und welche Möglichkeiten es heutzutage gibt. Todkranke sind in | |
unterschiedlicher körperlicher Verfassung. Nicht jeder, der ins Hospiz | |
kommt, stirbt am nächsten Tag. Es stirbt sich nicht schneller im Hospiz, | |
aber definitiv besser. | |
Ich arbeite ehrenamtlich für einen ambulanten Hospizdienst. Das heißt, wir | |
begleiten Schwerstkranke, die zu Hause sterben, manchmal auch im Pflegeheim | |
oder im Krankenhaus. Stationäre Hospize habe ich einige gesehen, aber keins | |
von ihnen hatte schwarze Wände. Im Gegenteil. [2][Im Neuköllner Ricam | |
Hospiz] stand ich mal auf einer Dachterrasse mit Blick über Berlin, die | |
einem Luxushotel alle Ehre gemacht hätte. | |
## Der Hund am Fußende des Bettes | |
Weiß gekachelte Wände, zurückgeschlagene Tücher? Fehlanzeige. Und ob Sie’s | |
glauben oder nicht: Im Hospiz arbeiten ganz normale Menschen. Sie sind das | |
Beste, was Ihnen am Lebensende passieren kann. Sie sind nämlich keine | |
Spezialisten für den Tod. Sie sind, wie Prof. Gottschling so schön sagte, | |
Spezialisten für Lebensqualität. | |
Sie hören Ihnen zu. Lindern Schmerzen und Symptome. Halten Ihre | |
überforderten Angehörigen in Schach und nehmen Ihnen schwierige Gespräche | |
ab. Sie machen fast alles möglich, um Ihnen gute Momente in den letzten | |
Wochen Ihres Lebens zu bescheren. Sie bringen Sie an den einen Ort, den sie | |
noch mal sehen wollen vor Ihrem Tod. Lassen Ihnen Ihren Joint am Abend. | |
Machen kleine Eiswürfel aus Ihrem liebsten Riesling, wenn Sie alleine nicht | |
mehr trinken können. Lassen Ihre engsten Freund*innen im Zimmer campieren | |
und Ihren Hund am Fußende des Bettes schlafen. Sie bleiben da, wenn es | |
schwer wird, halten Unaushaltbares mit Ihnen aus. | |
Dass wir sterben, können wir nicht verhindern. Aber wir können entscheiden, | |
wie wir sterben wollen. Dafür müssen wir uns informieren – und uns von den | |
Bildern im Fernsehen nicht abschrecken lassen. | |
2 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Begleitprozess-nach-dem-Tod/!5777527 | |
[2] /Hospize-und-Corona/!5676353 | |
## AUTOREN | |
Caroline Kraft | |
## TAGS | |
Schluss jetzt | |
Hospiz | |
Sterben | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Theater | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Schluss jetzt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Interkulturelle Hospize in Deutschland: Am Ende ein Stückchen Heimat | |
Das Hospiz Ipek bei Berlin ist interkulturell ausgerichtet. Solche Orte für | |
Menschen mit Migrationsgeschichte gibt es erst seit wenigen Jahren. | |
Klinikclown über seine Arbeit: „Ich bin ein Gefühlsteiler“ | |
Klinikclown Andreas Bentrup findet, dass nicht das Lachen das Wichtigste | |
ist. Sondern die Fähigkeit, die Gefühle der Menschen zu spiegeln. | |
Trauer in der Pandemie: „Dann hab ich Papa einfach umarmt“ | |
Rund 80.000 Coronatote werden inzwischen gezählt. Abschied zu nehmen ist | |
schwer, wenn Menschen sich nicht nah sein dürfen. Vier Angehörige erzählen. | |
Weg zur Sterbebegleitung: Kein Helfersyndrom | |
Macht es traurig, sich ständig mit dem Tod zu befassen? Zeugt es von einem | |
ausgeprägten Helfersyndrom? Beides nicht, sagt eine Sterbebegleiterin. |