# taz.de -- Hospize und Corona: „Wir wollen uns nicht abschotten“ | |
> Im Ricam-Hospiz stellt sich die Frage: Wie geht Sterbebegleitung in | |
> Coronazeiten? Von der Politik fühlt sich Hospizleiterin Toska Holtz | |
> übersehen. | |
Bild: Außenansicht des Ricam Hospizes in Berlin-Neukölln | |
taz: Frau Holtz, der Berliner Senat hat strenge Besuchsregelungen für | |
Pflegeheime und Krankenhäuser verordnet. War denn von Anfang an klar, dass | |
das für Hospize nicht gilt? | |
Toska Holtz: Nein, war es nicht. Zunächst galt die Richtlinie des Senats | |
tatsächlich für alle Pflegeeinrichtungen. | |
Das hätte bedeutet: maximal eine Stunde Besuch von einer Person pro Tag. | |
Genau. Dann haben aber die Berliner Hospize gesagt: Leute, das geht so | |
strikt für uns nicht. Wir können und wollen uns nicht abschotten. Zu uns | |
kommen Menschen, die ihren letzten Weg antreten, ihre letzten Tage und | |
Wochen erleben. Wie könnten wir denen sagen, es darf jetzt niemand mehr zu | |
euch?! Das wäre mit unserem Ethos nicht zu vereinbaren. Hospize sind | |
entstanden, um Abschiede menschlich zu gestalten. Und das behalten wir bei. | |
Das heißt, es gelten keinerlei Beschränkungen für Sie, alles läuft wie | |
vorher? | |
Nein. Jedes Hospiz versucht, seinen Weg zu finden auf dem schmalen Grat | |
zwischen dem, was Menschen in diesem Lebensabschnitt brauchen, und dem | |
nötigen Infektionsschutz. Bei uns heißt das: Wenn möglich, sollen Besucher | |
nur zu zweit kommen und alle Hygienevorschriften streng beachten. Seit über | |
einer Woche tragen unsere Mitarbeiter und Besucher auch selbst genähte | |
Masken. Damit haben wir lange gehadert. | |
Weil? | |
Stellen Sie sich einen Patienten vor, der nur noch eingeschränkt Dinge | |
wahrnimmt. Wir wollten unsere Patienten nicht zusätzlich verunsichern und | |
ängstigen. | |
Ein Stückchen Stoff statt eines Lächelns … | |
Das war eine schwere Entscheidung. Aber das sind die Dinge, die wir jetzt | |
abwägen müssen, und es klappt auch gut. Allerdings sind uns die ersten 50 | |
Masken geklaut worden. Es ist uns ein Rätsel, von wem, ich will darüber | |
auch nicht mutmaßen. Zum Glück hat uns jetzt eine Berliner Brauerei Masken | |
und Desinfektionsmittel angeboten. Im Gegensatz zu anderen | |
Gesundheitseinrichtungen haben wir Schutzbekleidung nicht auf Lager – dafür | |
wird uns bislang kein Geld zur Verfügung gestellt. | |
Fühlen Sie sich vergessen? | |
Das ist etwas, was mich, und ich glaube, auch viele andere aus der | |
Hospizarbeit, wirklich stört. Wenn so wie jetzt über zusätzliche Gelder | |
für Pflegekräfte entschieden wird. | |
Sie meinen die 150 Euro Coronabonus, die Mitarbeiter der landeseigenen | |
Krankenhausbetriebe erhalten sollen? | |
Genau. Da fallen Hospize wieder raus. Warum? Weil unsere Patienten eh | |
sterben? Unsere Finanzierung ist so knapp, ich könnte nicht mal an Prämien | |
denken. Und ich befürchte jetzt noch Schlimmeres. | |
Inwiefern? | |
95 Prozent der täglichen Bedarfssätze für die stationären Patienten | |
bekommen wir von den Krankenkassen, 5 Prozent müssen wir über Spenden | |
einwerben – nicht für zusätzliche Aktivitäten, sondern für unsere täglic… | |
Arbeit. Das sind allein für unser eines Haus rund 100.000 Euro im Jahr. | |
Gerade habe ich eine E-Mail an unsere Förderer rausgeschickt, dass wir auch | |
in Coronazeiten auf ihre Unterstützung angewiesen sind. Jede dritte E-Mail | |
ist mit einer Abwesenheitsnotiz zurückgekommen, weil die Geschäfte | |
geschlossen sind. Viele unserer Spender haben nun selbst keine Einnahmen | |
mehr. Das wird auch für uns nicht einfach werden. | |
Was verlangt Ihnen Corona noch ab? | |
Massive und sehr schmerzliche Einschnitte haben wir – wie alle | |
Hospizdienste – im ambulanten Bereich. Also wo Menschen sich entschieden | |
haben, sich zu Hause begleiten zu lassen. Normalerweise kommt da ein- bis | |
zweimal pro Woche ein Ehrenamtlicher und verbringt Zeit mit diesen | |
Menschen, liest vor, geht spazieren, hilft bei Besorgungen, begleitet | |
Angehörige in ihrem Trauerprozess. Das geht nun nicht mehr. Auch im | |
stationären Bereich haben wir aus Schutzgründen die Arbeit der | |
Ehrenamtlichen eingestellt. | |
Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich denn normalerweise bei Ihnen? | |
Wir haben um die 65 fest angestellte und über 100 speziell geschulte | |
ehrenamtliche Mitarbeiter. Die Hingabe und Liebe, mit denen sich die | |
Ehrenamtlichen in ihrer Freizeit engagieren, das flasht mich immer wieder. | |
Diese Ehrenamtlichen stehen bereit, um Menschen im Sterben zu begleiten, | |
und können es nicht, obwohl diese Menschen doch weiterhin sterben. Das ist | |
für alle Beteiligten sehr traurig. | |
Es bedeutet auch, dass Ihre Festangestellten sich nicht zuhauf mit Corona | |
infizieren dürfen, oder? | |
Wir hatten noch keinen Coronafall. Drei Kollegen wurden getestet, | |
glücklicherweise alle negativ. Der Krankenstand ist eh schon hoch, wie | |
überall in der Pflege. Wenn mir jetzt noch viele Mitarbeiter wegfallen | |
würden, dann könnten wir Betten nicht neu belegen. | |
16 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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