# taz.de -- Weg zur Sterbebegleitung: Kein Helfersyndrom | |
> Macht es traurig, sich ständig mit dem Tod zu befassen? Zeugt es von | |
> einem ausgeprägten Helfersyndrom? Beides nicht, sagt eine | |
> Sterbebegleiterin. | |
Bild: In unserer westlichen Welt wird das Thema sterben und Tod oftmals verdrä… | |
Vergangene Woche beim Kaffeetrinken erzählte ich einer Freundin davon, dass | |
ich jetzt eine Kolumne über den Tod schreibe. Sie schaute mich an und | |
sagte: Ist das nicht schwer, sich so viel mit dem Tod zu beschäftigen? Und | |
traurig? Diese Frage bekomme ich ständig zu hören. Vor allem, wenn es um | |
meine Tätigkeit als Sterbebegleiterin geht. Meine Antwort lautet: Nein. | |
Ganz im Gegenteil. | |
Menschen scheinen sich in zwei Gruppen zu teilen, wenn sie mit dem Tod | |
konfrontiert werden. Die einen müssen sich nähern, um zu begreifen. Die | |
anderen machen sich so schnell wie möglich vom Acker. Ich gehöre zur ersten | |
Kategorie, aber ich muss gestehen: Ganz freiwillig hat das auch nicht | |
angefangen. Mich hat der Suizid meines Ex-Freundes zur Sterbebegleitung | |
gebracht. Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat mich gezwungen, nach dem | |
Leben zu fragen. | |
Mir zu überlegen, wie ich meine Zeit nutzen will, wofür ich zu kämpfen und | |
was ich zu tolerieren bereit bin. Dieser Prozess hat eine revolutionäre | |
Kraft, die zugegebenermaßen beängstigend ist. Sie dennoch zuzulassen, hat | |
mich stärker gemacht – und glücklicher. | |
Es ist ein westliches Phänomen, sich nicht mit dem Tod beschäftigen zu | |
wollen. In Kulturen, in denen der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang | |
gesehen wird, gilt er als selbstverständlicher Teil des Lebens. Und die | |
Tabuisierung der Endlichkeit ist ein Symptom zunehmend säkularisierter | |
Gesellschaften, Jugendwahn inklusive. Nun bin ich selbst westlich | |
sozialisiert und fühle mich keinem Glauben verpflichtet. Trotzdem denke | |
ich, dass es uns guttun würde, wenn wir keinen riesigen Bogen um das | |
Lebensende machen würden. | |
## Egoistische Gründe | |
Ganz zu Anfang meiner Ausbildung sagte die Leiterin unseres | |
[1][Hospizdienstes, dass] wir wahrscheinlich allesamt ein kleines | |
Helfersyndrom hätten. Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht und bin | |
zu dem Schluss gekommen, dass er auf mich nicht zutrifft. Meine Gründe sind | |
egoistisch. Für mich ist die Beschäftigung mit dem Tod so was wie ein | |
lebensveränderndes Hobby geworden. | |
Die erste Person, die ich begleitet habe, war eine alleinerziehende Mutter, | |
die nicht die Kraft fand, die Belange ihrer 12-jährigen Tochter zu regeln. | |
Und die schließlich doch noch einmal aus der Bewusstlosigkeit erwachte, um | |
genau das zu tun. Danach begleitete ich einen anarchistischen älteren | |
Herrn, der eine diebische Freude daran hatte, im Hospiz vor aller Augen | |
seine Haschischpfeife zu rauchen. Für mich ist jede Begegnung mit dem | |
Sterben ein Stück in einem Puzzle, das immer größer und bunter wird. | |
Der Tod hat grausame Seiten und leichte, und alles dazwischen. Darin | |
gleicht er dem Leben mehr, als wir denken. Lange Zeit hatte ich wegen | |
meines fehlenden Helfersyndroms ein schlechtes Gewissen. Darf man am Leid | |
anderer wachsen? Ich stellte meiner Ausbilderin diese Frage. Sie lächelte | |
und sagte: „Es gibt so viele unterschiedliche Gründe zu helfen, wie es | |
Menschen gibt. All diese Gründe sind okay.“ | |
1 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Caroline Kraft | |
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