| # taz.de -- Arbeit im Hospiz: Kinder trauern anders | |
| > Katharina Kreuschner begleitet Familien, deren Kinder wohl bald sterben | |
| > werden. Wegen der Coronakrise fehlt eines besonders: der persönliche | |
| > Kontakt. | |
| Bild: Familien, in denen ein Kind erkrankt, isolieren sich oft, sagt Katharina … | |
| Katharina Kreuschner, 33, hat vor drei Jahren einen Kinderhospizdienst | |
| aufgebaut. Ihr Büro liegt in Berlin-Pankow, knapp 500 Meter vom Weißensee | |
| entfernt. „Dort ist das Leben noch in Ordnung“, sagt sie und lächelt. Was | |
| klein anfing, ist heute dank einer Aktion-Mensch-Förderung zu einer | |
| Institution mit mehr als 30 Ehrenamtlichen und zwei Mitarbeitenden in | |
| Vollzeit geworden. Kreuschner trifft mich in ihrem Büro bei der | |
| karitativen, evangelischen Stephanus Stiftung zum Interview, mit 1,5 Meter | |
| Sicherheitsabstand; auch ihre Arbeit hat sich durch die Coronakrise | |
| verändert. | |
| Ein ambulantes Kinderhospiz begleitet neben Kindern, die eine | |
| lebensverkürzende Krankheit haben, auch jene, die gerade ein Eltern- oder | |
| Geschwisterteil verlieren oder bereits verloren haben. Dort wird also | |
| Trauerarbeit geleistet, die Familien werden oftmals über Jahre hinweg | |
| unterstützt – vor, während und nach dem Tod eines Familienmitglieds. | |
| Dass ein Kind stirbt, das in einem ambulanten Hospiz begleitet wird, komme | |
| dagegen selten vor: „Dank medizinischem Fortschritt sterben die Kinder | |
| selten“, sagt Kreuschner. Während der Coronakrise findet die Arbeit des | |
| Kinderhospizes hauptsächlich online statt. Nur in seltenen Fällen werden | |
| die Familien noch zu Hause besucht. Weil die sterbende Person oft zur | |
| Coronarisikogruppe gehört, isolieren sich die Familien nun noch mehr als | |
| sonst. | |
| Der Kinderhospizdienst der Stephanus Stiftung stellt den Familien, bei | |
| denen Vater, Mutter, Tochter oder Sohn krank sind, einen ehrenamtlichen | |
| Mitarbeitenden zur Seite. Eine Ansprechperson sozusagen, die die Familie | |
| unterstützt – sei es bei Freizeitaktivitäten, Papierkram oder | |
| Behördengängen. Alle Ehrenamtlichen wurden vorher mehr als 130 Stunden von | |
| Kreuschner ausgebildet, um auf schwierige Situationen vorbereitet zu sein – | |
| und um nicht zur zusätzlichen Belastung für die Familie zu werden. Sie | |
| entscheidet auch darüber, wer bei welcher Familie eingeteilt wird. Die | |
| Begleitung durch Ehrenamtliche des Hospizes sorge für Entlastung: „Manche | |
| Familien blühen dann wieder auf und haben Zeit für andere wichtige Dinge.“ | |
| ## Unterschiedliches Trauern | |
| In Deutschland gibt es bundesweit [1][rund 200 stationäre Hospize], in | |
| denen sterbende Personen ihre letzten Tage verbringen, 17 davon für Kinder | |
| und Jugendliche. Ein großer Teil der Hospizarbeit findet aber ambulant | |
| statt, also in gewohnter, familiärer Umgebung. 1.500 solcher Hospizdienste | |
| gibt es in Deutschland, bei 200 davon handelt es sich um Kinderhospize. 900 | |
| werden durch Krankenkassen gefördert – alle anderen arbeiten rein | |
| ehrenamtlich. | |
| Falls ein Familienmitglied dann stirbt, können die Kinder sechs Monate | |
| später eine Trauergruppe besuchen – während die Trauer bei Erwachsenen in | |
| der Regel sofort einsetze, dauere es bei Kindern nämlich oft bis zu einem | |
| halben Jahr. Kinder durchlaufen dabei zwar die gleichen Phasen wie | |
| Erwachsene, aber: „Kinder trauern so, als würden sie immer wieder in eine | |
| Pfütze springen“, sagt Kreuschner. Das könne sich in einem kurzen Wutanfall | |
| äußern, nach dem dann aber für kurze Zeit wieder alles in Ordnung sei. Der | |
| Schmerz käme in Wellen, zwischen denen die Kinder sich erholen und Energie | |
| sammeln können. „Kinder trauern ökonomischer als Erwachsene.“ | |
| In der Gruppe, die Kreuschner konzipiert hat und die mittlerweile von ihrem | |
| Kollegen Christian Ruffert geleitet wird, haben Kinder die Möglichkeit, den | |
| Verlust indirekt zu verarbeiten. Ein Kind müsse viel tun, um den Tod eines | |
| geliebten Menschen zu verstehen. Die Gruppe folgt immer dem gleichen | |
| Ablauf: Zu Beginn versammeln sich die Kinder in einem Sitzkreis, während | |
| die sogenannte Gefühlsraupe, ein Kuscheltier, herumgereicht wird. „Die | |
| Kinder haben damit die Möglichkeit, alles loszuwerden, was sie | |
| beschäftigt“, sagt Kreuschner. Oft habe das nichts mit den Verstorbenen zu | |
| tun, sondern mit alltäglichen Problemen – dass sie Streit mit einer | |
| Freundin hatten oder nicht auf einen Geburtstag konnten. | |
| ## Angst vor dem Vergessen | |
| Nach einer Schweigeminute gibt es dann verschiedene Stationen, an denen die | |
| Kinder etwas basteln, spielen oder malen können – etwa einen Gedenkstein, | |
| den sie am Friedhof ans Grab legen können. Am Ende der Trauergruppe | |
| entscheiden sich die Kinder gemeinsam für eine Frage, die sie über das | |
| verstorbene Familienmitglied beantworten möchten. Bei der letzten | |
| Trauergruppe wollten sie darüber sprechen, wie der Vater, die Mutter, die | |
| Schwester oder der Bruder mit der Coronakrise umgegangen wären. „Tränen | |
| fließen dabei überraschenderweise eigentlich nie.“ | |
| Die Trauerarbeit sei wichtig, weil viele Eltern Angst hätten, dass ihre | |
| Kinder die verstorbene Person vergessen. Diese Angst sei nicht ganz | |
| unbegründet: „Kinder können sich schließlich, vor allem wenn sie noch jung | |
| sind, nicht an alles erinnern.“ Deshalb will Kreuschner mit der Arbeit im | |
| Kinderhospiz einen Teil dazu beitragen, dass die Kinder ihren Schmerz so | |
| gut wie möglich verarbeiten. Während die Kleinen in der Gruppe beschäftigt | |
| sind, leitet Kreuschner eine Trauergruppe für Erwachsene. Dort bietet sie | |
| einen Raum, in dem sich Menschen mit gleichen Erfahrungen treffen und | |
| austauschen können. „Dort setze ich zwar bestimmte Dinge in Kontext und | |
| erkläre die Trauerphasen, manchmal schweige ich aber auch einfach nur.“ Der | |
| Austausch mit anderen Trauernden helfe schon oft. | |
| Aber was bewegte sie dazu, ein ambulantes Kinderhospiz aufzubauen? „Ich | |
| habe Menschen im Krankenhaus unter Bedingungen sterben sehen, unter denen | |
| niemand sterben sollte“, erzählt Kreuschner. Nach ihrer Ausbildung zur | |
| Sprachtherapeutin arbeitete sie nebenbei im Krankenhaus. Später studierte | |
| sie Religionspädagogik und Palliativpflege und arbeitete ehrenamtlich | |
| bereits im Familienhospiz der Stephanus Stiftung. | |
| ## Keine Ablenkung | |
| „Mir ist aufgefallen, dass sich Familien, in denen ein Elternteil oder Kind | |
| erkrankt, isolieren.“ Das eigene Umfeld komme mit der Diagnose oft nicht | |
| klar, die Familien seien häufig auf sich allein gestellt: „Eine Person, die | |
| von außen kommt, kann in dieser Zeit eine große Stütze sein.“ Der Bedarf | |
| sei da, besonders dann, wenn ein Elternteil oder Kind stirbt und sich das | |
| familiäre Leben komplett verändern müsse. „Menschen funktionieren vor dem | |
| Tod, also bei der Pflege, noch gut“, sagt Kreuschner. Danach breche vieles | |
| ein. | |
| Der Tod ist ein Einschnitt, mit dem auch die Unterstützung vieler | |
| Einrichtungen endet. „Der Tod ist in Kreuschners beruflichem Alltag | |
| allgegenwärtig, er begleitet sie auch nach der Arbeit, bei Partner und | |
| Tochter. Die Arbeit im Kinderhospiz habe ihr bewusst gemacht, wie plötzlich | |
| sich Dinge im Leben ändern können. | |
| Komplett von ihrer Arbeit abzuschalten, sei schwierig, Ablenkung finde sie | |
| selten. „Ich mache mir durch meine Arbeit mehr Sorgen als andere Eltern“, | |
| sagt sie und lacht verlegen. Sie wird unruhig, fast unsicher. Beim | |
| Schwimmen oder Fahrradfahren mit ihrer Tochter sei sie übervorsichtig. „Der | |
| Tod ist bei mir oft präsent.“ | |
| Während der Coronakrise finden die Kurse für neue Ehrenamtliche nun online | |
| statt, genau wie die Kindertrauergruppe, mit Kindern und Ehrenamtlichen, | |
| zugeschaltet vor ihren Laptops. „Ich habe für jedes Kind eine Gefühlsraupe | |
| gebastelt und ihnen per Post zugeschickt“, sagt Kreuschner. Parallel findet | |
| die Trauergruppe mit Erwachsenen statt. „Die Onlinetreffen können den | |
| persönlichen Kontakt absolut nicht ersetzen“, sagt sie. Die Krise werde zu | |
| einer zusätzlichen Belastung für Familien, die ohnehin schon in einer | |
| schwierigen Situation sind. | |
| 21 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ndr.de/geschichte/Den-Schwachen-hilf-Geschichte-der-Hospize-,ho… | |
| ## AUTOREN | |
| Steven Meyer | |
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