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# taz.de -- Debatte um Sterbehilfe: Ärzte als Suizid-Beistand
> In einem Gesetzentwurf zur Sterbehilfe plädieren Wissenschaftler dafür,
> die Rolle von Medizinern zu stärken. Initiativen von Politikern fehlen
> bisher.
Berlin taz | Es war ein Urteil von gesellschaftlicher Tragweite, das die
Bundesverfassungsrichter Ende Februar verkündeten: Jeder Mensch habe
[1][das Recht, selbstbestimmt zu sterben] – auch mit Hilfe Dritter. Damit
kippte das oberste deutsche Gericht das seit Dezember 2015 bestehende
Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe und erklärte den entsprechenden
Strafrechtsparagrafen 217 für nichtig. Dem Gesetzgeber, so die Richter, sei
es aber durchaus möglich, das Recht auf Selbstbestimmung im Sterben in
einer Regelung zu verankern.
Diesem Hinweis sind nun vier Hochschullehrer gefolgt, die sich seit Jahrem
mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigen: Der Palliativmediziner Gian
Domenico Borasio und der Medizinethiker Ralf Jox, beide von der Universität
Lausanne, sowie der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz und der
Medizinethiker Urban Wiesing von der Uni Tübingen. Sie veröffentlichten am
Montag einen Gesetzesvorschlag, der, so die Autoren, „den Freiraum für
selbstbestimmtes Sterben absichern“ und zugleich „nicht-freiverantwortliche
Suizide verhindern“ will.
Anders als bei der Tötung auf Verlangen, bei der ein Mensch einen anderen
auf dessen Wunsch hin tötet und die in Deutschland mit Freiheitsstrafe bis
zu fünf Jahren bedroht ist, handelt es sich bei der Suizidassistenz um eine
Beihilfe zur Selbsttötung. Diese ist etwa dann gegeben, wenn eine Person
einer anderen ein todbringendes Medikament besorgt und überlässt, die
sterbewillige Person dieses Medikament aber selbstständig einnimmt.
Die vier Wissenschaftler schlagen in ihrem Gesetzesentwurf vor, es
Ärztinnen und Ärzten explizit zu erlauben, „Hilfe zur freiverantwortlichen
Selbsttötung“ zu leisten, sofern sie die [2][Freiwilligkeit,
Ernsthaftigkeit und Beständigkeit] des Suizidwunsches geprüft und den
Suizidwilligen zuvor „umfassend und lebensorientiert“ aufgeklärt haben.
Außerdem müsse ein zweiter unabhängiger Arzt hinzugezogen werden. Zwischen
dem Aufklärungsgespräch und der Sterbehilfe selbst sollen mindestens zehn
Tage liegen. Werbung für Suizidhilfe soll verboten werden.
Und, so die Autoren in ihrer Begründung: „Da andere Berufsgruppen oder
Laien nicht über die notwendigen fachlichen Kompetenzen zur Durchführung
der komplexen und anspruchsvollen Aufgabe, der medizinischen Aufklärung,
der Suizidberatung und Suizidhilfe verfügen, wird ihnen zum Schutz der
Betroffenen die Durchführung der Suizidhilfe strafrechtlich verwehrt.“ Von
der Strafbarkeit ausgenommen werden sollen aber Angehörige oder
Nahestehende.
## Klaubt Spahn sich Experten zusammen?
Tötung auf Verlangen freuzugeben, lehnen die Wissenschaftler indes strikt
ab. Sie wollen die Suizidprävention stärken. Eine Dokumentationspflicht
soll vor Missbrauch schützen und außerdem erstmals verlässliche Daten etwa
darüber liefern, wie viele Personen einen Wunsch nach Suizidhilfe äußern
und wie viele von ihnen diesen Wunsch dann tatsächlich nach Beratung
umsetzen oder auch nicht.
Der Gesetzentwurf der Wissenschaftler ist der zweite Vorschlag zur
Neuregelung der Suizidhilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Bereits im Mai hatte der Humanistische Verband Deutschlands einen eigenen
Entwurf vorgelegt. Aus den Reihen von Regierung oder Parlament gibt es
bislang keine ausformulierten Entwürfe.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), ein Befürworter der
Strafbarkeit von Suizidhilfe, hatte Ende Mai erklärt, das Urteil des
Verfassungsgerichts solle erst noch ausgewertet werden. Man wolle abwarten,
ob die Bundestagsabgeordneten selbst aktiv würden, etwa durch
Gruppenanträge. Wenig später wurde dann öffentlich, dass Spahn seinerseits
bereits im April etwa 30 verschiedene Institutionen, Vereine und Verbände
mit der Bitte um „Vorschläge zu wesentlichen Eckpunkten einer möglichen
Neuregelung der Suizidassistenz“ angeschrieben hatte. Mehrheitlich stehen
diese von Spahn ausgewählten Experten der Suizidhilfe skeptisch gegenüber.
22 Jun 2020
## LINKS
[1] /Nach-dem-Urteil-des-Verfassungsgerichts/!5668528
[2] /Kommentar-Sterbehilfe-und-Kapitalismus/!5587558
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Sterbehilfe
Jens Spahn
Gesundheitspolitik
Hospiz
Schwerpunkt Coronavirus
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