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# taz.de -- Facebook und die Meinungsfreiheit: Eine Kneipe ist kein Marktplatz
> Sind Online-Netzwerke privat oder quasi-öffentlich? Davon hängt ab, ob
> auf staatlich verbriefte Rechte wie Meinungsfreiheit geachtet werden
> muss.
Bild: Stammtischparolen gibt es ohne Ende auf Facebook, aber das macht das Port…
Facebook und andere soziale Medien sollen gegen Hass im Netz vorgehen,
gegen Gewalt- und Todesdrohungen, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus.
Dieser alten Forderung wollte der ehemalige Justiz-, jetzt Außenminister
Heiko Maas 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gerecht
werden. Es regelt, dass soziale Netzwerke Inhalte, die nicht mit den
deutschen Gesetzen konform gehen, tilgen müssen.
[1][Zufrieden sind viele mit diesem Gesetz nicht]; Facebook nicht, weil es
nicht reguliert werden will. Und viele Nutzer*innen nicht, weil sie ihre
Meinungsfreiheit beschnitten sehen. Denn der Konzern beseitigt längst nicht
nur Hate Speech – auch satirische oder dokumentierende Beiträge werden
immer wieder mit Verweis auf die deutsche Rechtslage gelöscht.
Große Aufregung herrschte etwa, weil Facebook Posts löschte, die einen
Beitrag der Satire-Website Der Postillon teilten. Oder auch das Video, das
den [2][antisemitischen Übergriff auf das Berliner Restaurant Feinberg]
zeigte. „Overblocking“ nennt man das auch, lieber einmal zu viel gelöscht
als einmal zu wenig, um auf der sicheren Seite zu sein – denn bei Verstoß
gegen das NetzDG drohen hohe Geldstrafen von mehreren Millionen Euro. Aber
darf der Konzern das? Oder haben Nutzer*innen einen Anspruch darauf, dass
Facebook ihre Meinung mit der Welt teilt?
Diesen Standpunkt zumindest vertreten viele Nutzer*innen. Von „Zensur“ ist
die Rede. Von einer Missachtung der Meinungsfreiheit. Man könnte es aber
auch so sehen: Facebook ist ein rein privates Unternehmen. Als solches darf
es selbst entscheiden, welche Inhalte es bevorzugen und welche es
vernachlässigen will. So, wie auch jede Kneipenbesitzerin das Hausrecht
über ihre Räume hat. Und somit selbst entscheidet, ob sie einen Gast, der
sich danebenbenimmt – aber nichts Strafbares tut –, rauswirft oder ob er
sein Bier weitertrinken darf. Es geht um die Frage: Ist Facebook diese
Kneipe – oder doch eher der Marktplatz oder ein anderer öffentlicher Raum?
## Alles läuft über Facebook
Tatsächlich ist Facebook inzwischen so groß, so mächtig, so umfassend, dass
das Leben vieler Menschen durch die Plattform strukturiert wird. Leute
schicken Nachrichten über den Messenger, statt SMS zu schreiben, planen
ihre Freizeit, nutzen das Netzwerk für Arbeitskontakte und vieles mehr.
Inzwischen kann man über Facebook sogar telefonieren. Vieles passiert
öffentlich, und selbst Posts, die nur für Freund*innen sichtbar sind,
erreichen meist mehrere hundert Menschen – mindestens. Wer hat Geburtstag,
welche Veranstaltung findet wann wo statt, was steht in der Zeitung. Sogar
Politik wird in den sozialen Medien gemacht: Politikerinnen posten etwas,
Medien zitieren diese Aussagen und posten ihre Texte wiederum auf Facebook.
Wer nicht mitmacht, kann auch nicht mithalten.
„Man kann Facebook wegen seiner Dominanz und marktbeherrschenden Stellung
nicht behandeln wie ein herkömmliches privatwirtschaftliches Unternehmen“,
findet Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. „Bei
einem sozialen Netzwerk mit 30 Millionen aktiven Nutzern allein in
Deutschland ist es nicht so wie beim Autokauf, wo man sich ganz einfach
zwischen den Modellen verschiedener Hersteller entscheiden kann“, sagt sie.
„Die Frage ist: Will ich sozial vernetzt sein?“ Wer sich gegen Facebook
entscheide, sei damit aus gesellschaftlich sehr relevanten Bereichen
ausgeschlossen. Und da wird es interessant.
In Deutschland ist es der Staat, der unmittelbar verpflichtet ist,
Grundrechte wie etwa die Meinungsfreiheit nicht nur zu wahren, sondern sie
auch aktiv zu schützen. Private Personen oder Unternehmen sind nicht
verpflichtet, auf ihrem Gelände etwa Demonstrationen zu gestatten. Doch
durch seine Macht stellt auch das private Unternehmen Facebook inzwischen
in gewisser Weise grundlegende Infrastruktur zur Verfügung.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg selbst betont immer wieder, die „Mission“
des Netzwerks sei es, „die Welt zu verbinden“.
## Der Schutz der Kommunikation
Warum das bedeutsam sein könnte, zeigt ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011. Damals hatten die
Richter*innen entschieden, dass das Demonstrationsrecht auch dann noch an
Bahnhöfen und Flughäfen gilt, nachdem diese (teil-)privatisiert wurden.
Geklagt hatte eine Aktivistin, die am Frankfurter Flughafen gegen
Abschiebungen demonstriert und deswegen Hausverbot bekommen hatte. Das
verstoße gegen das Versammlungsrecht sowie das Recht auf freie
Meinungsäußerung, entschied das Gericht in Karlsruhe. Als mehrheitlich von
der öffentlichen Hand beherrschtes Unternehmen sei die Fraport AG genau wie
eine Behörde unmittelbar an die Grundrechte gebunden.
Nun ist Facebook nicht mehrheitlich von der öffentlichen Hand beherrscht
und war nie staatlich. Doch in einem Absatz des Urteils heißt es
überraschenderweise, dass die Grundrechtsbindung privater Unternehmen der
Grundrechtsbindung des Staates je nach Fall „nahe oder auch gleich kommen“
könne. „Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in
Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der
Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in
Funktionen eintreten, die – wie die Sicherstellung der Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen – früher dem Staat als Aufgabe der
Daseinsfürsorge zugewiesen waren.“ Inwieweit das für „private Unternehmen
gilt, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der
allgemeinen Kommunikation schaffen“, bedurfte zu diesem Zeitpunkt
allerdings noch keiner Entscheidung.
„Die Ausführungen des Gerichts sind vor dem Hintergrund der wachsenden
Bedeutung sozialer Netzwerke als allgemeine Informations- und
Kommunikationsinfrastrukturen zu verstehen“, sagt Tobias Gostomzyk,
Professor für Medienrecht an der TU Dortmund. Zusammen mit einem Kollegen
ist er 2017 in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Entwurf
des NetzDGs verfassungsrechtliche Probleme aufweist, insbesondere mit Blick
auf die Meinungsfreiheit. „Diese Netzwerke privatwirtschaftlicher
Unternehmen werden damit anderen Netzen gleichgestellt, die zunächst in
staatlicher Hand waren und dann privatisiert wurden – wie etwa die
Telekommunikation oder die Post.“
## Grundsatzentscheidung steht noch aus
Bisher gibt es nur diesen „deutlichen verfassungsrechtlichen Wink mit dem
Zaunpfahl“, wie Gostomzyk sagt. Ob es in absehbarer Zeit eine
Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geben wird, die auch
Facebook einschließen würde, ist fraglich. Dazu müsste ein solcher Fall
erst einmal den Karlsruher Richter*innen zur Entscheidung vorgelegt werden,
etwa als Verfassungsbeschwerde von Facebook gegen das NetzDG. „Ein Gesetz
darf uns nicht zwingen, unverhältnismäßig in die Grundrechte von Nutzern
des sozialen Netzwerks einzugreifen“ – so könnte die Argumentation des
Konzerns für eine Klage lauten.
Dass Facebook diesen Schritt gehen wird, sei aber derzeit unwahrscheinlich,
sagt Gostomzyk: „Das soziale Netzwerk scheint sich eher zu arrangieren.
Darauf deutet zumindest die Umsetzung des Gesetzes hin, verbunden mit der
Werbung um Vertrauen durch eine kostspielige Imagekampagne.“
Eines sollte man bei der Diskussion für oder wider Meinungsfreiheit auf
Facebook nicht vergessen: Von diesem Grundrecht sind nicht nur Satire oder
progressive Meinungen gedeckt. Falls die Plattform der Meinungsfreiheit
verpflichtet ist, heißt das auch, dass rechte Stimmen ihre Inhalte ohne
Einschränkung durch eine Netiquette oder AGB verbreiten dürfen – wenn sie
nicht den Rahmen des rechtlich Zulässigen übertreten. Björn Höckes Dresdner
Hetzrede zum Berliner Holocaustmahnmal etwa – Sie erinnern sich, „Denkmal
der Schande“ und die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um
180 Grad“ – erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung in den Augen
der Staatsanwaltschaft nicht und dürfte bleiben.
Erst vergangene Woche gab das Landgericht Berlin einem Nutzer Recht, der
eine einstweilige Verfügung gegen die Löschung eines Kommentars und die
Sperrung seines Facebookkontos beantragt hatte – ein juristischer
Präzedenzfall in Deutschland. „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein
Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über
‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt�…
hatte der User einen Artikel der Basler Zeitung über Viktor Orbán
kommentiert, Facebook hatte den Post mit Verweis auf die
Gemeinschaftsstandards gelöscht. Der Post bedient rechtspopulistische und
gegen Geflüchtete gerichtete Stereotype. Die Argumentation des Anwalts: Das
sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Gericht begründete seine
Entscheidung nicht.
Rechte Trolle haben in den sozialen Medien längst ein aggressives Klima
geschaffen. Dies ist einer der Punkte, an denen Kritik an Facebook immer
wieder ansetzt und das Netzwerk zum Handeln aufruft. Allein: Soll Facebook
einerseits der Meinungsfreiheit verpflichtet sein, hat es auf der anderen
Seite bei solchen Aussagen wenig Spielraum. „Das so etwas dann auch stehen
bleibt, finde ich richtig – so doof ich die Äußerungen auch finde“, sagt
die Linken-Politikerin Domscheit-Berg. „Aber meine Gegenrede dazu darf dann
eben auch stehen bleiben.“
21 Apr 2018
## LINKS
[1] /Kritik-am-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5474062
[2] /Antisemitismus-in-Deutschland/!5482392
## AUTOREN
Dinah Riese
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