| # taz.de -- Antisemitismus in Deutschland: Verletzt in Berlin | |
| > Was bedeutet der alltägliche Judenhass für die Betroffenen? Yorai | |
| > Feinberg und Gemma Michalski berichten über ihr Martyrium. | |
| Bild: Gemma Michalskis Sohn musste nach antisemitischen Attacken die Schule wec… | |
| Berlin taz | Als Yorai Feinberg am 19. Dezember 2017 auf die Straße tritt, | |
| will er eigentlich nur kurz durchatmen. Sein Restaurant hat bei Google | |
| gerade eine negative Bewertung bekommen – von einem Internetaktivisten, der | |
| israelische Einrichtungen schlecht bewertet. Feinberg zündet sich eine | |
| Zigarette an. Es ist kurz vor Weihnachten. Nur noch ein paar Tage, dann | |
| würden sie das Lokal für zwei Wochen schließen und in Urlaub fliegen. | |
| Dann kommt dieser Mann auf ihn zu. Ein älterer Herr mit grauem Haar und | |
| Kunstpelzkragen. Er sieht gepflegt aus, er ist Physiotherapeut in | |
| Charlottenburg, wird Feinberg später erfahren. | |
| „Ihr seid verrückt“, sagt dieser Mann. „Warum?“, fragt Feinberg. „We… | |
| seit siebzig Jahren Krieg gegen die Palästinenser führt.“ Die Diskussion | |
| springt hin und her, der Ton wird immer unfreundlicher, Feinbergs Freundin | |
| filmt. „Ihr seid so brutal“, sagt der Mann. Und zeigt auf die Menora, den | |
| siebenarmigen Leuchter im Schaufenster des Restaurants. „Was wollt ihr denn | |
| noch hier nach 45? Alle wieder zurück in eure blöden Gaskammern. Keiner | |
| will euch hier.“ Der Mann besprüht Yorai Feinberg mit Spucke, während er | |
| spricht, Feinberg weicht zurück. Nach einigen Minuten fährt ein | |
| Polizeiwagen vorbei, Feinberg hält das Auto an. Als der Polizist dem Mann | |
| einen Platzverweis erteilt, dreht der durch. „Du Judensau!“, schreit er und | |
| versucht, am Polizisten vorbeizukommen. Ein Freund von Feinberg stellt das | |
| Video etwas später online und das Restaurant wird über Nacht berühmt. | |
| Als Yorai Feinberg ein paar Wochen später davon erzählt, wirkt er gefasst. | |
| Er sagt, er erlebe so etwas ungefähr einmal im Monat. Anrufer, die ihm | |
| „Grüße von Adolf“ ausrichten. Leute, die „Heil Hitler“ ins Telefon ru… | |
| Oder etwas wie: „Wir sind 50 Palästinenser und wollen einen Tisch | |
| reservieren.“ | |
| ## Feinberg überlegt, Deutschland zu verlassen | |
| Feinberg stammt aus einer polnischen Familie. Sein Vater hat den Holocaust | |
| überlebt; er hat sich als Vierjähriger in einem Erdloch unter einer Scheune | |
| versteckt. All diese Nazisprüche verletzen ihn. Er überlegt schon länger, | |
| Deutschland zu verlassen, sagt er. Und viele jüdische Menschen, die er | |
| kenne, denken wie er. | |
| Jeder Jude, der eine Weile in Deutschland gelebt hat, lerne diesen Hass | |
| kennen, sagt er. „Es gibt Antisemitismus von Rechten, von Linken und von | |
| Muslimen. Ein Problem verdeckt das andere.“ Er spürte den Hass zum ersten | |
| Mal vor etwa zwanzig Jahren, da war er 19 und tanzte in Leipzig Ballett. | |
| Die Tänzer begrüßten ihn immer mit „Heil Hitler“, sagt er. Der erste Sol… | |
| war der Schlimmste: Er habe sich zwei Finger unter seine Nase gelegt und | |
| Hitler imitiert. Alle anderen haben gelacht. „Er war wirklich böse“, sagt | |
| Feinberg. „Und ich war ein ganz kleines Kind.“ | |
| Ein paar Tage, nachdem Feinberg durch das Video berühmt geworden ist, | |
| werfen zwei Männer ihm Böller vor die Tür. Einer ruft an und sagt, dass er | |
| tote Juden essen will. Und als Feinberg und seine Freundin aus dem Urlaub | |
| zurückkommen, finden sie vor dem Eingang eine Papiertüte voller Kot. | |
| *** | |
| Es waren schwierige Wochen für Juden in Berlin und in Deutschland. Da waren | |
| die Jugendlichen, die zwei Hebräisch sprechende Kinder auf einem Spielplatz | |
| mit Böllern bewarfen. Die versuchten, die Haare anzuzünden, dann wegrannten | |
| und riefen: „Allahu akbar!“ | |
| Da war die Demonstration vor der US-Botschaft, bei der einige Teilnehmer | |
| Israelfahnen verbrannten und „Tod den Juden“ riefen – so berichten es | |
| Zuschauer. Die Menge applaudierte. | |
| Da war der Vorfall an einer Schule: Ein jüdischer Junge wurde von seinen | |
| Mitschülern angegriffen, als es um den Nahostkonflikt ging. „Ihr seid | |
| Kindermörder“, riefen sie. „Euch sollte man die Köpfe abschneiden.“ Und: | |
| „Ich schwöre, Hitler war gut, denn er hat die Juden umgebracht.“ Zu seiner | |
| Sicherheit wird der jüdische Junge seine Pausen jetzt getrennt von den | |
| anderen verbringen. Er leidet unter Albträumen. | |
| Und das sind nur die Fälle, die bekannt geworden sind. | |
| ## Wie die Statistik der Antisemiten verzerrt wird | |
| Benjamin Steinitz, der Leiter der Recherche- und Informationsstelle | |
| Antisemitismus, sammelt all diese Fälle in seiner Chronik. Für das Jahr | |
| 2017 verzeichnet er in Berlin 500 antisemitische Vorfälle, darunter zehn | |
| Angriffe, dreizehn Bedrohungen, neunzehn Sachbeschädigungen und über 450 | |
| Mal verletzendes Verhalten. Betroffene können ihre Erfahrungen bei ihm | |
| online melden. Die Polizei zählt für das vergangene Jahr deutschlandweit | |
| 1.453 antisemitische Straftaten, darunter 32 Gewalttaten. Sie geht in 95 | |
| Prozent der Taten von einem rechtsextremen Hintergrund aus. | |
| Das stimmt allerdings so nicht. Denn: Antisemitische Straftaten, bei denen | |
| ein Täter nicht bekannt ist, werden, wenn keine weiteren Hinweise | |
| vorliegen, als rechtsextrem eingestuft. Das passiert in der Regel bei den | |
| Propagandadelikten, die den Großteil der Straftaten ausmachen. Steht | |
| irgendwo „Tod den Juden“, gilt das als Straftat aus dem rechten Milieu und | |
| wird entsprechend gezählt. Steinitz geht deshalb von einer Verzerrung aus. | |
| „Sobald Personen Angaben über die Täter machen können, verändert sich das | |
| Verhältnis sofort“, sagt Steinitz. „Dann ist in der Regel das Verhältnis | |
| zwischen rechtsextremen und nicht-rechtsextremen Tathintergründen | |
| ausgeglichen.“ | |
| Steinitz holt Luft. Er weiß, dass das ein schwieriges Thema ist. Er möchte | |
| nicht so verstanden werden, als ob er die Rechtsextremen nicht sehen würde. | |
| Aber er möchte ihren Anteil an den Straftaten auch nicht übertreiben. | |
| Gleichzeitig, sagt er, instrumentalisiere die AfD das Thema, um gegen | |
| andere Minderheiten vorzugehen. Beides müsse man berücksichtigen, wenn man | |
| über Antisemitismus spricht. | |
| Benjamin Steinitz kennt auch das Video von Yorai Feinberg und dem Pöbler. | |
| „Interessant war die Reaktion des Mannes auf die Menora. Ein Kerzenhalter | |
| wird als brutal empfunden, als Angriff auf ein behütetes Dasein. Im Prinzip | |
| provozieren Juden allein dadurch, dass sie oder jüdische Symbole sichtbar | |
| sind.“ | |
| Viele Juden ergreifen deshalb schon lange Vorsichtsmaßnahmen: Sie lassen | |
| sich die Jüdische Allgemeine in einem neutralen Umschlag schicken. Stellen | |
| die Menora nicht in ihr Fenster. Verstecken ihre Kippa unter einem Käppi. | |
| Tragen die Kette mit dem Davidstern unter ihrem T-Shirt. Und viele erzählen | |
| nicht, dass sie Juden sind. Sie leben dadurch unbehelligt, aber unsichtbar. | |
| ## „Man darf die Opfer nicht alleine lassen“ | |
| Das drücke sich auch oft in Maßnahmen aus, die nach einem Mobbingfall | |
| ergriffen werden, sagt Steinitz. „Oft werden die jüdischen Menschen dann | |
| aus der Situation entfernt, um die Projektionsfläche wegzunehmen.“ Das ist | |
| auch bei dem Fall im Wedding passiert: Der Junge geht nicht mehr auf den | |
| Pausenhof. Dazu kommt, sagt Steinitz, dass jüdische Schüler, Lehrer und | |
| Angestellte in der Regel alleine sind. „Diese Erfahrung an sich ist | |
| herausragend, auch ohne dass etwas passiert. Wenn dann das Problem beim | |
| Betroffenen verortet wird, verstärkt das die Erfahrung, alleine zu sein. | |
| Wichtig ist deshalb, die Betroffenen empathisch zu unterstützen. Man darf | |
| sie bei der Verarbeitung nicht alleine lassen.“ | |
| *** | |
| Gemma Michalski ist genau das passiert: Sie wurde mit ihrem Problem alleine | |
| gelassen. | |
| Sie ist die Mutter eines jüdischen Jungen, der im Frühjahr vergangenen | |
| Jahres so lange an einer Schule in Berlin-Friedenau gemobbt und geschlagen | |
| wurde, bis seine Eltern entschieden, ihn von der Schule zu nehmen. Die | |
| Schulleitung hat das Problem ausgesessen und sich bis heute nicht bei den | |
| Michalskis entschuldigt. | |
| Gemma Michalski kommt aus England, man hört auch im Deutschen ihren | |
| britischen Akzent, besonders wenn sie aufgeregt ist. Das Schlimmste war | |
| nicht einmal das Mobbing, sagt sie – sondern der Umgang der Pädagogen | |
| damit. Sie erinnert sich gut an ein Gespräch mit der Sozialarbeiterin der | |
| Schule: „Wir waren dort, als schon alles verloren war; nachdem mein Sohn | |
| schon wochenlang gepeinigt worden war, am Schluss wurde er sogar zum Schein | |
| hingerichtet, mit einer Softairpistole, die mein Sohn für eine echte Waffe | |
| hielt. Ich habe der Sozialarbeiterin gesagt, dass dieses Mobbing | |
| antisemitisch war. Einer der Täter kommt aus einer palästinensischen | |
| Familie und er war supernett zu meinem Sohn, bis er erfahren hat, dass er | |
| Jude ist. Die Sozialarbeiterin sagte dazu nur: Ja, der ist wirklich sehr | |
| nett. Ich sagte: Außer dass er ein gewalttätiger Rassist ist, meinen Sie? | |
| Und sie antwortete nur: Frau Michalski, wir haben viele Facetten. Und ich | |
| so: What? Das ist so, als ob ich sexuell belästigt werde und jemand sagt | |
| dazu nur: Der Typ ist echt witzig. Selbst wenn es stimmt, ist es so | |
| herzlos, so etwas zu sagen! Danach war mir klar: Sie ist bestimmt eine | |
| super Sozialarbeiterin, aber sie mag Juden einfach nicht.“ | |
| Als die Michalskis ihre Geschichte öffentlich machten, bekamen sie sehr | |
| viel Post. Sogar fremde Menschen am Flughafen sprachen sie an. Viele | |
| erzählten ihnen ähnliche Geschichten: von jüdischen Kindern, die in der | |
| Schule gemobbt wurden. Von jüdischen Erzieherinnen, die ihre Religion | |
| verheimlichen. Von Schulleitern, die mit Konsequenzen drohten, wenn die | |
| Eltern ihre Anschuldigungen nicht zurückziehen. | |
| Die taz hat Dutzende von ihnen gefragt, ob sie ihre Geschichte erzählen | |
| würden. Alle haben abgelehnt – aus Angst vor einer Retraumatisierung, wenn | |
| die Ereignisse lange zurückliegen, aus Angst vor einer Eskalation, wenn die | |
| Ereignisse noch andauern. Und immer wieder aus Angst, als Opfer betrachtet | |
| zu werden. | |
| *** | |
| Marina Chernivsky ist Pädagogin und Therapeutin. Seit vielen Jahren ist sie | |
| für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland tätig – seit einem | |
| halben Jahr bietet sie auch eine Einzelfallberatung an und wird förmlich | |
| belagert. Viele jüdische Eltern wenden sich an sie, weil ihre Kinder an | |
| Schulen gemobbt werden. | |
| „Manche jüdische Familien fragen sich, ob Schulen noch sicher sind“, | |
| erzählt sie. Jüdische Kinder erleben immer häufiger Provokationen und | |
| Gewalt. Viele Eltern schicken ihre Kinder deshalb auf Privatschulen. Ihre | |
| Arbeit sei es aber, weiter mit den Schulen zu verhandeln. | |
| ## Geschichtsunterricht, der nicht hilft | |
| Sie empfindet den Geschichtsunterricht über das Dritte Reich als merkwürdig | |
| abstrakt. So, wie das Thema momentan gelehrt wird, kann es sogar | |
| antisemitische Gefühle hervorrufen, sagt Chernivsky. „Ich mag Juden nicht“, | |
| hat ihr einmal eine Schülerin gesagt. „Warum?“, hat Chernivsky gefragt. | |
| „Weil ich Hitler nicht mag“, sagte die Schülerin. „Und wegen den Juden g… | |
| es Hitler und Krieg. Und Krieg ist schlecht. Deshalb mag ich Juden nicht.“ | |
| „Je mehr Geschichte, desto weniger Antisemitismus – diese Formel geht nicht | |
| auf“, sagt Chernivsky. Stattdessen müsse man sich außerhalb des | |
| Geschichtsunterrichts damit auseinandersetzen. „Jugendliche brauchen mehr | |
| Raum für eigene Geschichten und Diskriminierungserfahrungen, sonst wehren | |
| sie die Themen ab“, sagt sie. Marina Chernivsky hat immer wieder | |
| beobachtet, dass Jugendliche, die sich selbst ausgegrenzt fühlen, auch | |
| andere ausgrenzen. So wie die Debatte gerade geführt werde, verschärfe sie | |
| deshalb das Problem. „Sie gibt muslimischen Jugendlichen das Gefühl einer | |
| kollektiven Täterschaft.“ Und das kann eine sich selbst erfüllende | |
| Prophezeiung sein. | |
| *** | |
| Dervis Hizarci versucht das Gefühl der Ausgrenzung umzukehren. Er ist | |
| Lehrer und unterrichtet an einer Oberschule in Berlin-Kreuzberg. Wenn er | |
| mit seinen Schülern über Diskriminierung spricht, fragt er sie zuerst, was | |
| sie selbst erlebt haben. | |
| Hizarci ist Muslim und Kind türkischer Einwanderer. Die Erlebnisse mit | |
| Islamophobie waren für ihn der Anlass, sich mit Antisemitismus zu | |
| beschäftigen. „Ich habe früh erlebt, dass ich fremdmarkiert wurde“, sagt | |
| er. Seine Lehrer in Neukölln sagten ihm in den Neunzigern: „Wir sind hier | |
| nicht auf dem türkischen Basar.“ Und immer wieder: „Wir sind hier in | |
| Deutschland.“ Er hat dann angefangen, sich mit Rassismus zu beschäftigen. | |
| Hat alles dazu aufgesogen. Hat die Parallelen zwischen Islamophobie und | |
| Antisemitismus erkannt, sich mit deutsch-jüdischer Geschichte beschäftigt, | |
| im Jüdischen Museum gearbeitet. | |
| ## Der Muslim, der bei Makkabi Fußball spielt | |
| Schließlich ist er bei der Kiga eingetreten, der Kreuzberger Initiative | |
| gegen Antisemitismus. Und er spielt Fußball beim jüdischen Verein Makkabi | |
| Berlin. „Meine Freunde haben mich gefragt, warum ich für die spiele“, sagt | |
| er, „und nicht für uns.“ Hizarci sagte ihnen, dass es ein Statement ist. | |
| Und dass er nichts davon hält, die Gesellschaft in „wir“ und „die“ | |
| aufzuteilen. | |
| Spielen sie in Berlin gegen Vereine mit arabischen und türkischen | |
| Fußballern, hört Hizarci manchmal blöde Sprüche. Dann flucht er auf | |
| Türkisch zurück. Bei den richtig schlimmen Spielen von Makkabi Berlin, bei | |
| denen die Polizei kommen musste, war Hizarci nicht dabei. Einmal floh seine | |
| Mannschaft in die Umkleide, weil sie vom 1. FC Neukölln bedroht wurde. „Wir | |
| stechen euch ab“, hatten die Gegner immer wieder gerufen. Es gibt Tag und | |
| Nacht, sagt Hizarci. Im Dezember wurden sie von einem türkisch geprägten | |
| Verein zum Tee eingeladen, obwohl die Stimmung gerade ziemlich aufgeheizt | |
| war wegen Trump. „Wie soll man das gewichten?“ | |
| *** | |
| Vier Wochen nachdem ein spuckender Mann ihm den Tod gewünscht hat, sieht | |
| Yorai Feinberg wieder einigermaßen glücklich aus. Über eintausend | |
| Nachrichten hat er in der Zwischenzeit erhalten, erzählt er. Martin Schulz | |
| hat angerufen. Der israelische Botschafter war da. Auch Araber und Türken | |
| sind gekommen, eine Muslima hat ihm Blumen gebracht. „Die Solidarität war | |
| unglaublich“, sagt Feinberg. „Ich wollte selbst fast weinen.“ Für ihn, s… | |
| er, hat das die Balance wieder hergestellt. | |
| *** | |
| Wer sind diese Menschen, um die es hier geht? | |
| Wie betrachtet zum Beispiel der Internetaktivist, der bei dem Restaurant | |
| von Yorai Feinberg die schlechte Bewertung hinterlassen hat, sein Tun? Er | |
| ist 36, Medizintechniker und in Deutschland geboren. Seine Eltern sind | |
| Palästinenser. Im Dezember hat er auf seinem Blog zum Protest vor der | |
| US-Botschaft aufgerufen. Das war die Demonstration, auf der dann | |
| israelische Flaggen verbrannt wurden. | |
| Der Blogger ist ein unauffälliger Mann mit grauem Mantel und leiser Stimme. | |
| Er will nicht, dass sein richtiger Name veröffentlicht wird. Weil das Thema | |
| so heikel ist, wie er sagt. | |
| ## Die Falafel sollen nicht geschmeckt haben | |
| Warum hat er das Restaurant von Yorai Feinberg schlecht bewertet? „Bestimmt | |
| nicht, weil er jüdisch ist“, sagt der Blogger. Er erzählt eine komplizierte | |
| Geschichte: dass er zuerst nicht gesehen hat, dass das Restaurant | |
| israelisch ist – sonst wäre er nicht hineingegangen. Als er drin war, haben | |
| ihm aber die Falafel nicht geschmeckt. Und die anderen israelischen | |
| Restaurants in Berlin, die er auch alle schlecht bewertet hat? Die | |
| Geschichte wird noch komplizierter; er will eine Liste erstellt haben, um | |
| ein gutes israelisches Restaurant zu finden, wie er sagt. Er habe sich dann | |
| eine Kufiya umgewickelt und alle hintereinander abgeklappert. Einmal wurde | |
| ihm gesagt, dass er ein Antisemit sei; einmal wurde er angeblich nicht | |
| hineingelassen. Aber schließlich sagt er: „Man bewertet ja nicht nur das | |
| Essen, sondern auch das, was dahintersteckt.“ Und: „Das ist nicht | |
| israelisches, sondern arabisches Essen.“ Hört man ihm eine Weile zu, dann | |
| wird alles diffuser: „Ich verabscheue Antisemitismus. Ich gehöre ja selbst | |
| einer Minderheit an. Eine Gesellschaft ohne Rassismus – das ist auch ein | |
| Schutzmechanismus für mich selbst.“ | |
| Nach unserem Gespräch löscht der Blogger seine schlechten Bewertungen der | |
| israelischen Restaurants. | |
| Bleibt der Balletttänzer, der Yorai Feinberg vor zwanzig Jahren | |
| drangsaliert haben soll. „Er hatte ganz schwarze Haare“, sagt Feinberg. „… | |
| hat sie sich auf eine Seite geglättet und sich zwei Finger als Schnauzbart | |
| unter die Nase gehalten. Er sah wirklich wie Hitler aus, er hatte auch so | |
| verrückte Augen.“ An eine Szene erinnert er sich besonders gut: „Wir | |
| standen zwischen Dusche und Ballettsaal und er hat so gesprochen wie Hitler | |
| – ich glaube, es ging um den totalen Krieg. Mir war übel und ich habe ihm | |
| gesagt, dass er damit aufhören soll. Das war eine große Sache, weil das | |
| Ballett sehr hierarchisch ist; er war Solist und ich nur ein kleiner Eleve. | |
| Er hat angefangen zu schreien: Was ist los mit euch Leuten? Alles ist | |
| Antisemitismus!“ | |
| „Ich kenne diesen Menschen nicht“, sagt der frühere Solist, als wir im Caf… | |
| sitzen. „Solche Vorwürfe sind ja gerade modern.“ Schließlich rufen wir | |
| Yorai Feinberg an. Der Tänzer schlägt sofort einen vertraulichen Ton an, | |
| nennt ihn beim Vornamen. „Du solltest dir gut überlegen, gegen wen du da | |
| etwas sagst“, bellt er ins Telefon. „Du weißt doch, dass das nicht stimmt!… | |
| Schließlich findet er eine Art Ausweg: Damals habe er sich mit Charlie | |
| Chaplins „Der große Diktator“ beschäftigt. Vermutlich habe er Chaplin | |
| imitiert. „Du kennst doch den Unterschied zwischen Ernst und Satire, | |
| oder?“, sagt er zu Feinberg. Einige Sekunden später schmeichelt er: „Wenn | |
| du das so empfunden hast“, lange Pause, „dann tut mir das leid. Das war | |
| niemals persönlich irgendein Angriff gegen dich.“ | |
| Der Solist stottert. Als er mit Feinberg spricht, wird das Stottern | |
| manchmal zu einem Fauchen. Als er aufgelegt hat, folgen noch einige | |
| Satzbruchstücke: Mutmaßlich fiel ein falsches Wort. Und dann noch die | |
| schwierige deutsche Sprache, Feinberg hat das wohl nicht richtig | |
| verstanden. Aber er bleibt dabei: Eine solche Situation, wie Feinberg sie | |
| geschildert hat, gab es nicht. „Offensichtlich war der Typ vor Yorais | |
| Restaurant mit seinem Gerede von den Gaskammern nicht massiv genug, um | |
| jemanden zu beeindrucken. Deshalb hat er sich das ausgedacht“, sagt er. „Es | |
| gibt ja so viele Restaurants, da braucht man etwas Publicity.“ | |
| Er hat Feinberg vorgeschlagen, sich zu treffen und sich auszusprechen. | |
| Feinberg will nicht. „Er war böse und er bleibt böse“, sagt er. „Ich bi… | |
| müde von diesen Leuten.“ | |
| In einer vorherigen Version des Artikels wurde der Vorname des Bloggers | |
| genannt. Wir haben ihn nachträglich anonymisiert. | |
| 15 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Steffi Unsleber | |
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