# taz.de -- Erhitzung über Israel und den Tempelberg: Furor und Fische | |
> Das Kabinett um Netanjahu ist ein Gruselkabinett. Doch die Kritik an der | |
> Politik des kleinen Landes schäumte diese Woche etwas zu sehr. | |
Bild: Israelische Polizisten sichern den Tempelberg | |
Über die Feiertage haben Sie sicher schöne Dinge getan. Bücher gelesen, | |
lecker gegessen, bisschen gespendet. Ich war im Tierpark. Hellabrunn | |
natürlich, da finde ich den Weg zum Affenhaus am schnellsten, und am | |
schönsten ist er auch. | |
So schön, wie ein Ort halt sein kann, an dem Tiere in Gefangenschaft leben. | |
Aber was soll ich machen: Es war ein herrlicher Tag mit Freunden, meine | |
Tochter liebt Tiere. Andere Gaudi, wie etwa verschneite Pisten | |
runterzubrettern, ist für immer vorbei. | |
Ich selbst halte mich ja eigentlich auch für einen Tierfreund, immerhin | |
esse ich seit Jahrzehnten kein Fleisch. So weit, so heuchlerisch. Als ich | |
diese Woche las, dass [1][ein kleines Gorillababy in Hellabrunn | |
eingeschläfert werden musste], zerriss es mir natürlich das Herz. Dasselbe | |
Herz, das doch relativ kalt blieb, als in Berlin neulich ein Aquarium | |
platzte und mehr als tausend Fische elend verendeten. Taten die mir gar | |
nicht leid? Doch, aber so nah wie Affen sind sie mir dann doch nicht. | |
Wenigstens bin ich mit meiner Durchmogelei nicht allein. Auch das zeigte | |
die Woche sehr deutlich. So las ich mit Erstaunen, dass sich in Deutschland | |
[2][die Zahl der Kriegsdienstverweigerer drastisch erhöht hat]. Einer der | |
Hauptgründe – Überraschung! – ist offenbar der Ukraine-Krieg. Ehrlich | |
gesagt war mir Kriegsdienstverweigerung nur aus Zeiten bekannt, als es noch | |
die Wehrpflicht gab. Dass Leute sich aber erst für ein Berufsheer | |
verpflichten, dann aber nicht auf andere Menschen schießen wollen, ist doch | |
recht erstaunlich – geradezu süß. Und natürlich bin ich sehr dafür, wenn | |
Menschen zu dieser Erkenntnis kommen, und finde, sie sollten jedes | |
Verständnis und jede Unterstützung bekommen. | |
Gleichzeitig landet man, wenn man weiterdenkt, natürlich irgendwann bei der | |
Frage der Sinnhaftigkeit des Militärs insgesamt. Wenn das vergangene, | |
furchtbare Jahr eines gezeigt hat, dann doch, dass es in einer Welt von | |
Bullys und Despoten eben nicht ganz verkehrt ist, wehrhaft zu bleiben. Oder | |
zynisch gesagt: Schön, wenn die ukrainischen Männer Putin in Schach halten, | |
solange müssen wir es nicht selbst tun. | |
Dann ist es doch intellektuell bequemer, sich über etwas aufzuregen, bei | |
dem man aber ganz sicher richtig liegt: die neue israelische Regierung. | |
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Kabinett um Netanjahu ist ein | |
Gruselkabinett. Ich verzweifle daran, nicht nur politisch. Doch so sehr | |
mich die Knessetwahl enttäuscht, so sehr geht mir der Furor auf die Nerven, | |
mit dem der Rechtsruck hier verdammt wird. Es ist nicht die Kritik selbst, | |
es ist der Eifer, mit dem sie vorgebracht wird, der mir verdächtig | |
erscheint. | |
Es gibt ähnliche Entwicklungen in Europa. Länder mit rechtsextremer | |
Regierung wie Italien, Länder, in denen die unabhängige Justiz massiv | |
ausgehebelt wird, wie Ungarn. Länder also, mit denen wir engere | |
wirtschaftliche Beziehungen haben und in die wir öfter in Urlaub fahren. | |
Das mediale Fauchen darüber aber klingt dann doch etwas rationaler. Warum? | |
Wenn man nicht heucheln will, findet man die Antwort schon in der | |
gespreizten Erklärung, Deutschland habe eine besondere Verantwortung für | |
Israel. Das ist natürlich richtig, aber so, wie sie gebraucht wird, klingt | |
sie manchmal ein bisschen nach: „Ich bin kein Rassist, aber …“ | |
In Wahrheit liegt doch unter der ganzen schäumenden Empörung die | |
Erleichterung, dass diejenigen, die vor 80 Jahren Opfer des deutschen | |
Faschismus waren, auch nicht nur „gut“ sind. Als wäre das, was die | |
Generation unserer Großeltern getan hat, dadurch ein bisschen weniger | |
schlimm. Die Wut auf die Opfer von einst, die das eben nicht mehr sind und | |
nie mehr sein wollen, wirkt allerdings weltweit. Wie sollte man sonst | |
erklären, dass von allen Idiotien, die uns gerade um die Ohren pfeifen, | |
eine – zugegeben dumme – Provokation wie der Besuch des neuen israelischen | |
Polizeiministers Itamar Ben-Gvir auf dem Tempelberg die ist, die diese | |
Woche eine Einberufung des UN-Sicherheitsrats erfordert? | |
Wahrscheinlich leben wir einfach alle mit einer kälteren und einer wärmeren | |
Seite in unserem Herzen. | |
7 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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