# taz.de -- Ein Jahr Krieg in der Ukraine: „Wir sind alle Ukrainer“ | |
> Am Freitagabend demonstrierten tausende Menschen in Berlin für | |
> Solidarität mit der Ukraine. Präsident Wolodomir Selenski sendete eine | |
> Videobotschaft. | |
Bild: Ein Jahr Krieg: Solidarität mit der Ukraine am Brandenburger Tor | |
BERLIN taz | „Ich bin eine von Zehntausenden, die auf der Straße lagen, | |
nachdem die Bomben einschlugen. Ich bin eine von Zehntausenden, die während | |
der russischen Besatzung Wasser in Kanister füllen wollten – und dabei von | |
russischen Okkupanten angeschossen wurden.“ Kateryna Syknomlynova hat | |
wässrige Augen und den Schock im Gesicht. Um sie herum ist es nicht still | |
auf dem Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor. Dennoch schafft sie | |
es, die Aufmerksamkeit auf sich zu vereinen. | |
Gegen Ende der Solidaritätsdemonstration am Freitagabend in Berlin steht | |
die ehemals [1][in Mariupol] lebende Ukrainerin auf der Bühne und erzählt | |
von den Ereignissen, nachdem Russland die Stadt besetzt hatte. Von den über | |
10.000 Teilnehmer:innen haben die Demo zu diesem Zeitpunkt schon viele | |
verlassen. Bekannte Namen gehörten zu den Redner:innen: Der | |
Grünen-EU-Politiker Reinhard Bütikhofer, die noch amtierende Regierende | |
Bürgermeisterin Berlins Franziska Giffey, der ukrainische Präsident | |
Wolodomir Selenski. | |
Und dennoch sind es die Worte der geflüchteten Kateryna Syknomlynova, die | |
am lautesten nachhallen. „Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch. | |
Dennoch müssen mehr Waffen geliefert werden, um den Krieg so schnell wie | |
möglich zu beenden.“ | |
Am [2][Freitag gedachte die Welt des ersten Jahrestags] des russischen | |
Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Protest, der zur Solidarität mit der | |
Ukraine aufrief, startete zunächst vor dem – nach Kriegsausbruch | |
symbolträchtig umbenannten – Café Kyiw (ehemals Café Moskau), zog dann | |
weiter zur russischen Botschaft und endete am Platz des 18. März vor dem | |
Brandenburger Tor. | |
## „Dies ist ein Tag der Trauer“ | |
Mit „Slava Ukraini“ waren die Teilnehmer:innen begrüßt worden und es | |
schallte ein aberlautes „Heroyam Slava“ zurück. Ruhm der Ukraine – den | |
Helden Ruhm. Auch im weiteren Verlauf des Abends wurde der Satz so häufig | |
und energisch wie kein zweiter wiederholt. An diesem grauen Tag erschien | |
die Menge in gelb-blau, unzählige Ukraine-Flaggen wurden geschwenkt, auch | |
EU- und Nato-Fahnen mischten sich unter. Die Menschen waren voller | |
Emotionen; ambivalent zwischen Freude über die Menge an | |
Teilnehmer:innen und Solidarität einerseits und Wut auf die | |
Kriegstreiber andererseits. | |
„Dies ist ein Tag der Trauer über die zehntausend Toten und Vertriebenen. | |
Ein Tag des Zorns gegen Putin, der einen Krieg losgetreten hat, wie es ihn | |
seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Und es ist ein Tag der | |
Hoffnung, dass dies das letzte Jahr des Krieges ist, der mit einem Sieg der | |
Ukraine endet“, fasste es Ralf Füchs als einer der ersten Redner:innen | |
am Nachmittag unter großem Applaus zusammen. Er ist Mitbegründer des | |
Zentrums Liberale Moderne, das Anfang Februar zur Soli-Demo aufgerufen | |
hatte – [3][noch bevor Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer] zu ihrer | |
„Friedensdemo“ aufriefen, die am Samstag stattfinden soll. | |
An eben diese beiden sendete wenig später der Grünen-Ko-Vorsitzende Omid | |
Nouripour einen Gruß. „Wer Frieden will, der fährt nicht nur nach Moskau, | |
sondern auch nach Kyjiw.“ Er zählte die Kriegsverbrechen in Charkiw und | |
Mariupol auf und resümierte, was viele als schnelle Friedensoption ansehen | |
würden, basiere auf einem Zerrbild: „Das ist kein Frieden, das ist | |
Putinismus.“ | |
[4][Friede sei nur möglich, wenn Russland sich zurückziehe.] Eine | |
Unterstützung der Ukraine sei auch eine Verantwortung aus dem Zweiten | |
Weltkrieg, in dem die Wehrmacht auch in der Ukraine Gräueltaten verübte. | |
Nouripour rief dazu auf, dass nie mehr „dreckige Deals“ mit Russland und | |
leidtragenden Dritten in der Mitte abgeschlossen werden dürften. Und dazu, | |
dass Verhandlungen nur mit dem ukrainischen Präsidenten am Tisch möglich | |
seien. | |
## Friedensverhandlungen, ja. Aber wie? | |
[5][Ein Jahr nach Kriegsbeginn waren Friedensverhandlungen] auch unter den | |
Teilnehmer:innen ein zentrales Thema. Die protestierende Gabriele | |
sagte, sie sei sich zunächst nicht sicher gewesen, ob sie bei dieser Demo | |
mitlaufen solle oder am Folgetag bei Wagenknecht und Schwarzers | |
Gegenveranstaltung. Sie findet es schade, dass sich Menschen aufteilen, die | |
eigentlich das gleiche Ziel verfolgen: „Wir alle wollen Verhandlungen, | |
nicht nur diejenigen, die hier sind.“ Auch sie tue sich mit | |
Waffenlieferungen schwer. Dennoch drückt sie ihr Entsetzen über den | |
russischen Einmarsch aus: „Wofür haben wir denn Grenzen?“ Für sie ist kla… | |
dass Solidarität nötig ist: „Wir sind alle Ukrainer.“ | |
Auch viele Ukrainer:innen waren unter den Demonstrierenden. Unter ihnen | |
Natalya, die vor einem Jahr aus Charkiw nach Berlin geflohen ist. Sie | |
wählte ihre Worte bedacht; umso mehr Wucht entfalteten sie beim sprechen. | |
Die Frage, wie dieser Krieg ausgehe sei nicht nur für die Ukraine, sondern | |
für ganz Europa „catastrophically important.“ An all diejenigen, die eine | |
Niederlage der Ukraine für einen vorübergehenden Frieden in Kauf nehmen | |
wollten, sendete sie eine Warnung: In diesem Fall stehe Russland sehr bald | |
auch an ihrer Haustür. Die Welt habe den Fehler gemacht, Russland zu | |
unterschätzen, nun lebe man mit den Konsequenzen und müsse daraus lernen. | |
Man sehe doch, was Russland auch in Georgien und Tschetschenien getan habe. | |
Mit dieser Sorge war sie auf der Demo nicht allein. Viele fürchteten die | |
Expansionsgier Putins und alle waren sich nach wie vor einig: Die Ukraine | |
verteidigt nicht nur ihre Souveränität, sondern auch Demokratie, Freiheit | |
und Rechtsstaatlichkeit Europas und der Welt. Daher müssten mehr Waffen | |
geliefert werden. Präsident Selenski stellte in seiner am Brandenburger Tor | |
übertragenen Rede in Aussicht, er sei sich sicher, dass die Ukraine den | |
Krieg dieses Jahr gewinnen werde. | |
Botschafter Oleksii Makeiev ergänzte, Deutschland habe zwar lange gezögert, | |
aber liefere nun endlich. Und wenn man den Krieg gewinne, werde es ein | |
gemeinsamer Sieg sein. Obwohl einige Vorredner:innen das zögerliche | |
Handeln der Bundesregierung und die fehlende Hilfsbereitschaft | |
kritisierten, folgten auf Makeievs versöhnlichen Worte aus dem Publikum | |
„Danke, danke, danke“-Rufe. | |
## Gespaltene Bewegung | |
Vor genau einem Jahr, am 24. Februar 2022, überfiel die russische Armee die | |
Ukraine im Osten des Landes und versuchte die Hauptstadt Kyjiw einzunehmen. | |
Mittlerweile findet der Krieg seit Monaten mit wenigen Geländegewinnen vor | |
allem im Osten und Süden des Landes statt. Ein Ende der Kampfhandlungen ist | |
bisher kaum in Sicht. | |
Sowohl innerhalb von Deutschland als auch auf der ganzen Welt gibt es | |
derzeit Diskussionen zwischen Befürwortern von Friedensverhandlungen | |
zwischen beiden Kriegsparteien und solchen, die diese ablehnen, solange | |
Russland das ukrainische Territorium nicht verlässt. Auch die [6][vielen | |
verschiedenen Proteste] in Berlin an diesem Wochenende sind Ausdruck der | |
Zerstrittenheit in dieser Debatte. | |
25 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kaempfe-im-Osten-der-Ukraine/!5910559 | |
[2] /Ein-Jahr-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5915507 | |
[3] /Wagenknecht-und-die-Rechten/!5915376 | |
[4] /Ex-Praesident-Hollande-ueber-den-Krieg/!5915497 | |
[5] /Sicherheitskonferenz-und-Friedensdemos/!5913898 | |
[6] /Proteste-bei-Sicherheitskonferenz/!5916885 | |
## AUTOREN | |
Dariusch Rimkus | |
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