# taz.de -- EU-Emissionshandel: Brüsseler Kronjuwelen | |
> Die EU will klimaneutral werden und dafür Treibhausgasemissionen richtig | |
> teuer machen. Wie teuer, das hängt auch von der nächsten Bundesregierung | |
> ab. | |
Bild: Für den Betrieb des Braunkohlekraftwerks Neurath braucht RWE CO2-Emissio… | |
Berlin taz | Von manchen Preisschocks darf eine Bundesregierung überrascht | |
sein. Zum Beispiel, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist. | |
Dann – Überraschung – wird klar, [1][dass Gas aus Russland versteckte | |
Kosten mit sich bringt] und es teurer wird für die Verbraucher:innen | |
als gedacht. Andere Preisschocks wiederum kündigen sich an, haben so viel | |
Zeit, dass sie sogar Postkarten verschicken könnten. | |
Ein solches Beispiel ist der Preis für CO2: „Liebe Bundesregierung – könn… | |
auf einer solchen Postkarte stehen – zum 1. Januar 2027 werde ich die | |
Kosten fürs Heizen um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde Gas erhöhen. Noch | |
bezahlt ihr ja weniger als 10 Cent. Das ist ein bisschen wenig. Den | |
Benzinpreis erhöhe ich auch, vielleicht sogar um 38 Cent pro Liter. | |
Herzlich, dein Europäischer Emissionshandel.“ | |
Was albern klingt, ist kein Witz. Der [2][Europäische Emissionshandel | |
(ETS)] ist quasi das Kronjuwel der europäischen Klimapolitik. Und wie das | |
bei Kronjuwelen so ist, ist auch der ETS gut geschützt, teuer und sorgt für | |
Kopfschmerzen, wenn man zu lange hinschaut. Seine Stärke: Er macht fossile | |
Energie teuer, sodass sich erneuerbare Energien lohnen. Seine Schwäche: Er | |
macht fossile Energie teuer, sodass Menschen ohne Zugang zu Erneuerbaren | |
ärmer werden. So richtig spürbar wird das ab 2027 werden, also mitten in | |
der kommenden Legislaturperiode. | |
Die EU will Klimaneutralität dadurch erreichen, dass Treibhausgasemissionen | |
sündhaft teuer werden und niemand mehr Kohle, Öl oder Gas verbrennen will. | |
Das funktioniert so: Der ETS zwingt Unternehmen dazu, für ausgestoßenes CO2 | |
zu bezahlen. Den Preis legt aber nicht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von | |
der Leyen fest, sondern er bildet sich an einem Markt. Dort werden | |
Zertifikate gehandelt, die erlauben, eine Tonne CO2 auszustoßen. | |
## Die EU versteigert nur eine begrenzte Zahl an Zertifikaten | |
Wer CO2 ausstößt, braucht so ein Zertifikat. Aber die EU versteigert nur | |
eine begrenzte, immer weiter abnehmende Zahl. So will sie ihren CO2-Ausstoß | |
2050 auf 0 bringen. Das bedeutet aber auch: Je mehr CO2 ausgestoßen wird, | |
desto höher wird die Nachfrage nach den Zertifikaten und desto teurer | |
werden sie. In 15 bis 20 Jahren sollen dann gar keine Zertifikate mehr | |
ausgegeben werden, sodass auch kein CO2 mehr ausgestoßen werden darf. | |
Für die Bereiche Strom und Industrie gilt der ETS schon. Für Gebäude und | |
Verkehr gilt noch der von der Bundesregierung festgelegte CO2-Preis von 55 | |
Euro pro Tonne. Wer Gas zum Heizen verkauft oder Benzin an der Tankstelle, | |
muss diesen Preis zahlen und gibt die Kosten an die Verbraucher:innen | |
weiter. Ab 2027 wird aber auch dieser CO2-Preis für Gebäude und Verkehr in | |
einen Emissionshandel überführt, separat vom ETS1 für Strom und Industrie: | |
den ETS2. | |
Wie hoch der Preis für eine Tonne CO2 im ETS2 2027 sein wird, weiß noch | |
niemand. Es werden wohl mehr als 45 Euro sein, aber weniger als 300 Euro. | |
In Benzin übersetzt: 2 Cent weniger pro Liter oder 59 Cent mehr. | |
Für diese riesige Spanne gibt es zwei Gründe. Es ist unklar, wie teuer Öl, | |
Gas und Kohle 2027 sein werden. Werden sie viel teurer als Strom, lohnt es | |
sich zeitlich früher, zum Beispiel auf Wärmepumpen umzusteigen. Dann sinkt | |
die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle und dementsprechend nach | |
CO2-Zertifikaten. Das Ergebnis: Der CO2-Preis ist niedriger. | |
## Deutschland: Ein Viertel der EU-Emissionen für Heizen und Verkehr | |
Die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten sinkt auch dann, wenn Regierungen | |
Klimaschutz betreiben. Werden Fernwärme- und Busnetze ausgebaut oder | |
Wärmepumpen gefördert, wird weniger CO2 ausgestoßen und die Preise sinken. | |
Zu einem bedeutenden Teil hängt der CO2-Preis 2027 also von der nächsten | |
Bundesregierung und ihren Klimazielen ab. | |
Im Bereich Heizen und Verkehr ist Deutschland für rund ein Viertel der | |
EU-Emissionen verantwortlich. „Die deutschen Emissionen im Verkehr sind in | |
den letzten Jahrzehnten kaum gesunken“, sagt Lea Nesselhauf, die bei der | |
Denkfabrik Agora Energiewende arbeitet. „Auch bei der Wärmewende geht es | |
längst nicht so schnell voran wie in anderen Ländern, zum Beispiel Dänemark | |
oder Schweden.“ Die Wärmewände hat Deutschland jahrzehntelang versäumt. | |
Darunter leidet wegen des hohen CO2-Preises ab 2027 der ganze Kontinent. | |
Die Parteien haben Vorschläge, um Haushalte in Deutschland und Europa in | |
den nächsten Jahren zu entlasten. Die Grünen-Politikerin Julia Verlinden | |
sagt: „Das Wichtigste ist, dass wir die Menschen bei den nötigen | |
Investitionen unterstützen, um schnellstmöglich unabhängig zu werden von | |
fossilen Energien.“ Fördergelder dafür sollen für Menschen mit niedrigeren | |
Einkommen höher ausfallen. | |
„Mit dem CO2-Kosten-Aufteilungsgesetz haben wir bereits Vorsorge geschaffen | |
für diejenigen, die zur Miete wohnen und deswegen keinen Einfluss auf die | |
Heizung haben, dass hier auch die Vermieter*innen in die Pflicht | |
genommen werden“, so Verlinden. Zugleich müsste mit staatlichen | |
Investitionen, etwa in erneuerbare Fernwärme und den ÖPNV-Ausbau, eine | |
klimafreundliche Infrastruktur geschaffen werden. | |
## Linkspartei will Mieterhöhungen vermeiden | |
Die Linkspartei fordert, dass Vermieter:innen nicht aufgrund von | |
Heizungstausch oder Sanierung die Miete erhöhen könne. Die CDU setzt auf | |
Steuersenkungen als Ausgleich für höhere CO2-Preise. Lukas Köhler von der | |
FDP will die Flexibilität des ETS besser nutzen: Zum Beispiel könnten in | |
den kommenden Jahren mehr Zertifikate ausgeschüttet werden, um Unternehmen | |
mehr Zeit für Investitionen zu geben und Anreize für saubere Technologien | |
zu schaffen. Entscheidend sei, „dass die Gesamtmenge an Zertifikaten | |
gedeckelt bleibt und die Klimaziele garantiert erreicht werden“. | |
Die SPD-Abgeordnete Nina Scheer sagt, der ETS sei ein ergänzendes | |
Klimaschutzinstrument. Sie hält ein Klimageld für nötig, „um den weiteren | |
Anstieg des CO2-Preises handhabbar zu machen“. Darin ist sie sich einig mit | |
Grünen, CDU, FDP und Linkspartei. Monatlich soll jeder Einzelperson ein | |
fester Betrag überwiesen werden, bezahlt mit den Einnahmen aus dem ETS. | |
Ärmere Haushalte, die meist weniger CO2 ausstoßen als reichere, erhalten so | |
mehr Geld zurück, als sie wegen des CO2-Preises ausgegeben haben. | |
Linkspartei und Grüne wollen zudem das Klimageld sozial staffeln, sodass | |
Ärmere mehr und Reichere weniger bekommen. | |
Die Ideen sind da, doch in Europa formiert sich Widerstand. Tschechien, die | |
Slowakei und Polen wollen den Start des ETS2 verschieben. „In Polen heizen | |
noch 3 Millionen Haushalte mit Kohle“, sagt Politikberaterin Nesselhauf. | |
„Die Voraussetzungen in den Mitgliedsstaaten – Infrastruktur, Kaufkraft, | |
eventuell bereits existierender CO2-Preis – sind extrem unterschiedlich.“ | |
Schwedische Heizungen beispielsweise wurden 2021 zu über 80 Prozent mit | |
Elektrizität oder Fernwärme betrieben, beides lässt sich gut | |
dekarbonisieren. In Irland erzeugten Öl-, Kohle- und Gasheizungen 90 | |
Prozent der Wärme. Kaufkraftbereinigt liegt der Durchschnittslohn in | |
Griechenland bei 2.000 Euro, in Deutschland bei 4.000 Euro. | |
Damit ärmere EU-Länder nicht völlig überfordert werden, soll es auch auf | |
EU-Ebene eine Art Klimageld geben – den Social Climate Fund SCF. Ein Teil | |
der Einnahmen aus dem ETS2 wird damit von Ländern mit hohen Einkommen zu | |
Ländern mit niedrigen Einkommen umverteilt. | |
## Leicht umsetzbare Maßnahmen längst ausgeschöpft | |
Dennoch werden viele Menschen in Europa bei einem hohen CO2-Preis am Ende | |
des Monats weniger Geld in der Tasche haben. „Ambitionierter Klimaschutz | |
ist eine Herausforderung – die leicht umsetzbaren Maßnahmen haben wir | |
längst ausgeschöpft“, sagt Michael Pahle. Er ist Emissionshandel-Experte | |
beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Ich glaube auch nicht, | |
dass eine Verschiebung sinnvoll ist oder beiträgt, die Maßnahmen sozial | |
verträglicher zu gestalten“, sagt er. Schließlich sei spätestens Ende 2022 | |
klar gewesen, dass der ETS2 2027 an den Start gehen würde: „Da kann man | |
viel machen.“ | |
Wenn ein paar EU-Staaten den ETS2 verschieben wollen, müssen sie dafür eine | |
qualifizierte Mehrheit zusammenbekommen und die EU-Kommission überzeugen. | |
Aber: „Die Kommission hat ein sehr großes Interesse am Gelingen des ETS2“, | |
sagt Levi Henze vom Thinktank Dezernat Zukunft. | |
Dieses Interesse wird auch Deutschland stützen. [3][Vor allem eine | |
CDU-geführte Regierung.] Eine Parteisprecherin nennt den ETS insgesamt „das | |
Leitinstrument“ der Klimapolitik. Und es gibt noch einen weiteren Grund: | |
Der Bund braucht die Einnahmen aus dem CO2-Handel. Allein für 2027 sind | |
schon Milliarden verplant. | |
11 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Fracking-und-Fluessiggas/!6056816 | |
[2] /Steigender-CO2-Preis-ohne-Klimageld/!6028395 | |
[3] /Klimaschuetzer-zu-Wahlprogrammen/!6052182 | |
## AUTOREN | |
Jonas Waack | |
## TAGS | |
Emissionshandel | |
Europäische Union | |
Klimaschutzziele | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Klima | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Solarenergie | |
Klima | |
Klima | |
Robert Habeck | |
Emissionshandel | |
CO2-Emissionen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne Transformation: Öko-Stahl in Sicht | |
2027 wird in Duisburg der erste Hochofen fertig, der grünen Stahl | |
herstellen kann. Bisher fehlt der dafür benötigte grüne Wasserstoff aber | |
noch. | |
Fortschritte bei der EU-Energiewende: Anteil der Fossilen auf Rekordtief | |
Fast die Hälfte des Stroms in der Europäischen Union stammt aus | |
erneuerbaren Energien. Vor allem der Ausbau von Solarenergie schreitet | |
schnell voran. | |
Verbände stellen Forderungen an Politik: Keine Angst vor Klimaschutz | |
Die Klima-Allianz aus über 150 Verbänden zeigt Einigkeit beim Kampf für die | |
Umwelt. Sie fordert Investitionen und Besteuerung von Superreichen. | |
Klima im Wahlkampf: Gegenwind für den Klimaschutz | |
2045 will Deutschland klimaneutral sein, fünf Jahre vor der ganzen EU. FDP | |
und Industrie stellen das infrage – und schaden damit sich selbst. | |
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz: Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des… | |
Der deutsche Wirtschaftsminister verweist auf die Erfahrungen in | |
Deutschland. Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung sollen dem Umbau der | |
Wirtschaft dienen. | |
Abwanderung von Firmen aus Deutschland: Emissionshandel ist nicht schuld | |
Der EU-Emissionshandel allein treibe keine deutsche Firma ins Ausland, so | |
die Bundesbank. Er führe aber zu mehr Klimaschutz. | |
CO2-Zertifikate werden teurer: EU verschärft Emissionshandel | |
Nach langen Verhandlungen haben sich Europäisches Parlament und | |
Mitgliedsstaaten geeinigt. Der Zertifikatehandel wird teurer und erweitert. |