| # taz.de -- Duzkultur in der Konsumwelt: Duz' mich nicht, du Kaufhaus! | |
| > Während der Kunde früher König war, wird er heute zum Kumpel degradiert. | |
| > Das geht so nicht, findet unser Autor. | |
| Bild: Schaufensterpuppen im Schaufenster des Karstadt-Kaufhauses in Dortmund | |
| Ich habe mich nie als jemand gesehen, über den sich Loriot lustig macht. | |
| Aber neuerdings ist mir, wenn ich einkaufen gehe, mein Nachname wichtig. | |
| „Mein Name ist Wilhelmi und ich kaufe hier ein.“ Der Wunsch nach | |
| Förmlichkeit entsteht bei mir aus Trotz. | |
| „Wie hat es dir bei uns gefallen?“, fragt ein Schriftzug über dem Ausgang | |
| von [1][Karstadt]. In der Straßenbahn geht es im gleichen Tonfall weiter: | |
| „Du erhältst das Deutschlandticket bei uns“, lese ich da. Und schließlich | |
| schafft es eine E-Mail meines Getränkelieferanten durch den Spamfilter. Die | |
| Betreffzeile: „Wir vermissen dich!“ Mit Ausrufezeichen. Aus dem | |
| komfortablen „Kölsch gegen Euro“-Transfer, dem ich für ein paar Tage nicht | |
| nachgekommen bin, ist eine schuldbeladene Einforderung geworden und aus | |
| meiner anfänglichen, diffusen Genervtheit echte Empörung. | |
| [2][Wer geduzt wird], ist Freund – und Freundschaft ist mitunter Arbeit. | |
| Freunde geben eine Runde aus, aber müssen genauso nach Mitternacht von der | |
| Polizeiwache abgeholt werden. Freunde haben Rechte und Pflichten | |
| zueinander. Meine Freunde dürfen mich vermissen und es mir vorwurfsvoll | |
| sagen. Mein Getränkelieferant hat mein Geld zu nehmen und mich ansonsten in | |
| Ruhe zu lassen. | |
| Das Duzen breitet sich aus in der Wirtschaftswelt. Mit [3][Ikeas] Gekumpel | |
| ging es vermutlich los und Big Tech hat sich endgültig das | |
| nervig-anbiedernde „Du“ auf die Image-Fahne geschrieben. Alles wird | |
| entspannter – angeblich. Dagegen ist das Siezen eine nicht zu | |
| unterschätzende Kulturtechnik, die mehr und mehr in Vergessenheit gerät. | |
| Aus der förmlichen Anrede entsteht eine Distanz zwischen Kunde und Anbieter | |
| und aus dieser Distanz eine Qualität: Der Verkäufer als Experte und | |
| Verantwortungsperson und der Kunde als König. Das „Du“ aber verschleiert | |
| diese Unterscheidung. Die Frage, ob Standards eingehalten wurden und mein | |
| Geld gut angelegt ist, weicht der Frage nach Befindlichkeiten. Was die | |
| Befindlichkeiten der Unternehmen mit einschließt. Aus dem hofierenden | |
| „Waren wir Ihnen genug?“ wird die helikopterelternhafte Aufforderung | |
| „Schreib, wenn du zuhause bist“. | |
| Schon klar, das „Du“ folgt unserem Wunsch nach Nähe, Wärme und | |
| Kommunikation auf Augenhöhe. Doch das kommerzielle „Du“ gaukelt diese Nähe | |
| nur vor. Am Point of Sale wird das „Du“ zu einem subtilen Mittel der | |
| Unterdrückung, zur „Tyrannei der Intimität“, wie es der Soziologe Richard | |
| Sennett formulierte. Dem Kunden wird ohne das „Sie“ der Königsstatus | |
| entzogen und gleichzeitig wird von ihm verlangt, dies als Schritt zur | |
| Gleichberechtigung zu feiern. Die Revolution von oben. | |
| Der größte Trick, den der Teufel je angewendet hat, war, die Welt glauben | |
| zu lassen, es gäbe ihn nicht. Der größte Trick des (Geld-)Adels ist es, zu | |
| behaupten, es gäbe keine Paläste. Denn dann kann man sie nicht mehr | |
| stürmen. Und der größte Trick der Konzerne ist das kumpelhafte „Du“. | |
| Wenn das eigentliche Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunde verschleiert | |
| wird, verliert nur der Kunde, nur seine Rolle ändert sich. Er muss sich | |
| plötzlich positionieren, dem Vermisstwerden des Getränkelieferanten | |
| nachkommen. Das ist Markenloyalität ohne Gegenleistung. Ja, manchmal muss | |
| man trotz Unlust seine Großmutter anrufen, aber die interessiert sich im | |
| Gegenzug auch dafür, wie es ihrem Enkel geht und bringt – umsonst! – | |
| Schokolade mit. Der Getränkelieferant leistet derlei nicht. Er fordert nur: | |
| Gib Geld! Wird Zeit! | |
| Ich habe darauf keine Lust. Ich will mit Firmen nicht befreundet sein. Ich | |
| will Verkäufer, die mir eine gute Zeit bereiten, und ein Produkt, das sein | |
| Geld wert ist. Für Karstadt und Co also immer noch „Herr Wilhelmi“, so viel | |
| Zeit muss sein. | |
| 27 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lukas Wilhelmi | |
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