# taz.de -- Fairer Supermarkt in Berlin-Wedding: Einkaufen im eigenen Geschäft | |
> Bei der SuperCoop im Wedding arbeiten alle Kund*innen mindestens drei | |
> Stunden im Monat mit. Zugleich sind sie auch Inhaber*innen des | |
> Ladens. | |
Bild: Was im Regal steht, dürfen im SuperCoop alle mitentscheiden | |
BERLIN taz | Zwei Frauen stehen hinter der Kasse und eine davor. „Ist heute | |
mein erstes Mal“, lächelt die, die auf dem Bildschirm herumtippt. Sie weiß | |
nicht, wie sie [1][236 Gramm Tara] für das mitgebrachte Glas abziehen soll. | |
Auch ihre Kollegin ist ratlos. Die Kundin wechselt die Seite und zeigt, wie | |
es geht: Alltag in der SuperCoop im Wedding. Alle hier sind gleichermaßen | |
Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Miteigentümer*innen. | |
Rund 2.000 Artikel führt der Laden in den Osram-Höfen – frisches Gemüse aus | |
Brandenburg, Ostmost-Schorle und Kaffee von der wenige Kilometer entfernten | |
Rösterei Flying Roasters, aber auch eine gute Auswahl französischer Weine | |
und Klopapier. Der Großteil der Produkte ist bio, doch es gibt auch | |
konventionelle Nudeln für 79 Cent. Etwa 800 Leute gehören bereits zur | |
Genossenschaft. | |
Wer Mitglied werden und hier einkaufen will, zahlt einmalig 100 Euro und | |
verpflichtet sich, drei Stunden im Monat mitzuarbeiten. Dafür sind | |
Biogemüse und -obst billiger als bei Alnatura und Biocompany, und jeder | |
kann vorschlagen, was noch ins Sortiment aufgenommen werden soll. An der | |
großen Tafel am Eingang hängen lange Strichlisten für gewünschte Produkte. | |
SuperCoop hat im September eröffnet. Das älteste Vorbild des Ladens steht | |
seit fast 50 Jahren in New York, Britta Sembach hat dort ein paar Jahre | |
lang mitgearbeitet und eingekauft und steht nun auch im Wedding ab und an | |
an der Kasse. | |
„Die [2][Park Slope Food Coop] war für mich der wichtigste Ort in meiner | |
USA-Zeit: eine soziale Institution, wie ein Dorf in der Stadt“, schwärmt | |
sie. Nicht nur habe sie dort viele Menschen jenseits ihrer Blase | |
kennengelernt. Zu wissen, dass ihr Salat ein paar Blöcke weiter auf einem | |
Dach gewachsen sei oder der Hummus von einem arabischen Produzenten um die | |
Ecke stamme, hat ihr ebenfalls gefallen. „Auch hier bei der SuperCoop muss | |
ich mir keine Gedanken machen, ob das Shampoo vielleicht Mikroplastik | |
enthält“, sagt die 53-Jährige. | |
Eugénie Wateau ist eine der vier jungen Frauen, die die SuperCoop | |
organisieren. Es ist kühl im Laden, sie hat ihre Jacke anbehalten und sitzt | |
am improvisierten Schreibtisch in der Nähe des Eingangs. „Als wir | |
angefangen haben, hatte keine von uns Ahnung vom | |
Lebensmittel-Einzelhandel,“ sagt die 30-Jährige, die bei Paris aufgewachsen | |
ist. Was alle teilten, war die Überzeugung, dass es dringend eine | |
sozialökologische Transformation braucht. Dazu zählen faire Preise für | |
Landwirt*innen sowie Produkte, die weder die Gesundheit der | |
Herstellenden noch die Erde ruinieren. | |
Zugleich sind die vier aber auch Überzeugungstäterinnen in puncto | |
Inklusion. Auf keinen Fall wollten sie einen Hipster-Shop aufbauen und der | |
[3][Gentrifizierung] Vorschub leisten. Ganz bewusst haben sie sich für den | |
Wedding als Standort entschieden. Wer möchte, kann den | |
Genossenschaftsanteil in Raten zahlen; ein paar Mitglieder sind bereit, das | |
Beitrittsgeld für eine andere Person zu übernehmen. Sich von den drei | |
Stunden Mitarbeit im Monat freizukaufen ist aber ausgeschlossen. | |
Viele Mitglieder arbeiten deutlich mehr. Zum Beispiel Nina Bender. Neben | |
ihrer Schicht am Samstagmorgen engagiert sich die Grafikdesignerin in der | |
Arbeitsgruppe, die sich um Diversität kümmert. „Es darf kein Privileg sein, | |
sich gut zu ernähren“, sagt Bender. Die AG hat Flyer in mehreren Sprachen | |
verfasst und überlegt, wie Menschen mit wenig Geld der Einkauf ermöglicht | |
werden kann. Nina freut sich, in der SuperCoop mit Leuten | |
zusammenzuarbeiten, die sie sonst nie kennengelernt hätte. Und sie ist | |
stolz, dass nun Lupinenkaffee im Angebot ist, den sie selbst vorgeschlagen | |
hatte. | |
Die Rechnung bei der SuperCoop ist transparent: Auf alle frischen und | |
unverpackten Produkte werden 26 Prozent aufgeschlagen, auf Haltbares 23 | |
Prozent. Diese Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis finanziert | |
die Miete sowie die Löhne von vier Vollzeitkräften und einem Minijobber. | |
Gerade läuft eine Kampagne, um Geld für die nächste Phase des Ladens zu | |
sammeln. „Nur als Vollsortimenter haben wir auf Dauer eine Chance“, sagt | |
Johanna Kühner, die sich um die Finanzen kümmert. Sie kalkuliert | |
konservativ und kann auf Erfahrungen von Läden in Frankreich zurückgreifen. | |
„Die haben ihre Bücher ganz solidarisch für uns geöffnet“, erzählt die | |
24-Jährige. Ziel ist, dass die SuperCoop Ende kommenden Jahres mindestens | |
1.700 Mitglieder hat, die für 110 Euro im Monat einkaufen – dann sind die | |
Kosten gedeckt. | |
Derzeit misst der Laden 250 Quadratmeter, und es gibt kaum Lagerfläche. Das | |
wird sich im Mai ändern. Gerade legen Handwerker in den 700 Quadratmeter | |
großen Räumen nebenan neue Kabel, bald werden SuperCoop-Mitglieder hier | |
Wände ziehen. Stephan Fiedler eilt durch die leere Halle und zeigt, wo sich | |
demnächst das Mitgliederbüro, die Kinderspielecke, Kühl- und Lagerräume | |
befinden werden. | |
Wenn sich der Rentner nicht um seine 14 Enkelkinder kümmert, taucht er | |
mehrfach pro Woche in der SuperCoop auf. Er hat errechnet, welche Wärme die | |
Kühlschränke und -truhen abgeben, wie oft die Fenster geöffnet werden | |
müssen und dass es im Hochsommer kritisch wird mit Temperatur und | |
Frischluft. Im Laden tippt er auf eine kleine Metallröhre in der Größe | |
eines Tischfeuerwerks. Ein grünes Licht leuchtet auf und sein Smartphone | |
zeigt ebenfalls an, dass die Raumluft okay ist. „Ab und zu hab ich schon | |
mal angerufen und gesagt, dass jemand das Fenster aufmachen muss“, | |
berichtet der 63-Jährige, der früher an Planungen für Fabriken und Büros | |
beteiligt war. | |
## „Fans von solidarischen Systemen“ | |
„Wir sind Fans von solidarischen Systemen“, erklärt Marie Populus. Zucker, | |
Schokolade und Apfelsinen bezieht die SuperCoop über die Genossenschaft | |
Ethiquable in Neukölln, die faire Bioprodukte von Kooperativen in Asien, | |
Afrika und Lateinamerika vertreibt. Gemüse kommt möglichst von regionalen | |
Bauern. „Mit Tiny Farms in Müncheberg habe ich einen Anbauplan für dieses | |
Jahr verhandelt, wir tragen auch einen Teil des Risikos“, erzählt Populus. | |
Zugleich räumt die Frau mit BWL- und Landwirtschaftspolitik-Studium ein, | |
dass sie den Logistik- und Kommunikationsaufwand für die Beschaffung aus | |
unterschiedlichen Quellen unterschätzt hat. So bestellt die SuperCoop einen | |
erheblichen Teil des Sortiments beim Biogroßhändler Terra. Konventionelle | |
Ware liefert das französische Handelshaus Agidra, weil in Deutschland keine | |
praktikable Alternative zu finden war. | |
„Vieles ist noch nicht perfekt, wir brauchen Geduld“, sagt die 36-Jährige. | |
Schließlich müssen erst neue Strukturen entstehen auf einem Markt, der zu | |
85 Prozent von Aldi, Rewe, Edeka, Lidl und seinen Tochterunternehmen | |
beherrscht wird. Die SuperCoop verfolgt das Ziel, neue Wertschöpfungswege | |
zu etablieren und so den Weg für weitere Läden zu bereiten. | |
„Wir haben aber nicht vor, selbst 20 Filialen in Berlin aufzubauen, sondern | |
möchten unser Wissen mit anderen teilen“, stellt Populus klar. Schließlich | |
geht es nicht um Profit, sondern um eine sozialökologisch | |
verantwortungsvolle Versorgung – und um Spaß, Gemeinschaft und | |
Lebensqualität. | |
31 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dwds.de/wb/Tara | |
[2] https://www.foodcoop.com/ | |
[3] /Streit-um-Kieztreff-am-Leopoldplatz/!5836271 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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