# taz.de -- Düsterer Jahresbeginn in Schweden: Die Tat von Örebro traf ein ve… | |
> Im Januar eskalierte in Schweden die Bandengewalt. Eine Serie von | |
> Explosionen, mehrere Morde: Darum waren die Menschen bereits in | |
> Krisenstimmung. | |
Bild: Zerstörtes Wohnhaus in Linköping: Schweden ringt abermals mit Explosion… | |
Härnösand taz | Als die Menschen in Schweden begriffen, [1][was in Örebro | |
passiert war], gab es eine weit verbreitete Reaktion. Sinngemäß | |
zusammengefasst: Nicht auch das noch. Denn bis zu dieser extremen Gewalttat | |
waren Regierung und Behörden gerade aus anderem Grund im Krisenmodus | |
gewesen – sie mussten auf eine nie dagewesenen Serie von | |
Sprengstoffangriffen reagieren. | |
32-mal waren im Januar Sprengsätze explodiert, im Durchschnitt also mehr | |
als einmal täglich. Gelegt wurden sie vor allem in Eingänge von | |
Mietshäusern in Stockholmer Außenbezirken. Die Polizei schreibt die Taten | |
Mitgliedern krimineller Gangs zu. | |
Die sichtbaren Schäden variieren in ihrem Ausmaß – ein Restaurant brannte | |
aus, Druckwellen zerstörten teils zahlreiche Fensterscheiben. Ein Mieter | |
wurde schwer verletzt. Der gesellschaftliche Schaden ist massiv, die | |
Verunsicherung groß. | |
Schweden kämpft seit Jahren mit dem Problem der organisierten Kriminalität. | |
Die jetzige Regierung versucht, ihm betont mit Härte zu begegnen – bislang | |
mit mäßigem Erfolg. | |
„Vollkommen inakzeptabel“ nannte Schwedens oberste Polizistin Petra Lundh | |
die Situation nach einer Krisensitzung, die Justizminister Gunnar Strömmer | |
Ende vergangener Woche einberufen hatte. In seinem „Rat zur Bekämpfung der | |
organisierten Kriminalität“ sollen sich Politik und zuständige Behörden | |
strategisch absprechen. | |
## Kriminelle rekrutieren Minderjährige | |
Die Polizeichefin stellte vor Journalisten fest: Rücksicht auf | |
Menschenleben habe in Bandenkreisen aufgehört zu existieren. „Wir sehen | |
12-, 13-, 14-Jährige, die schreckliche Gewalttaten begehen, als wäre es ein | |
Nebenjob“, sagte Lundh. Die gewaltbereiten jugendlichen Handlanger werden | |
von Kriminellen häufig über Social Media angeworben. | |
„Dass wir keine Kontrolle über die Welle der Gewalt haben, ist | |
offensichtlich“, sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderate) auf die | |
Frage eines Journalisten. Eine unangenehme Feststellung für ihn, dessen | |
liberalkonservative Regierung mit Unterstützung der rechtsextremen | |
Schwedendemokraten richtig durchgreifen wollte. Seit 2022 hat sie viele | |
gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die Opposition und Aktivist*innen zum | |
Teil kritisieren. Sie werfen der Regierung vor, [2][Rassismus zu fördern | |
und demokratische Grundrechte] auszuhöhlen. | |
So kann die Polizei nun sogenannte Sicherheitszonen ausrufen, in denen sie | |
anlasslose Personen- und Fahrzeugkontrollen durchführen kann. Sie darf | |
präventiv Telefone abhören – und das soll künftig auch bei Kindern unter 15 | |
Jahren möglich sein. Die bereits geplante Gesetzesänderung werde auf Herbst | |
vorgezogen, teilte der Justizminister mit. Zudem soll die Strafmündigkeit | |
von derzeit 15 auf 14 Jahre gesenkt werden. | |
Besonders viel verspricht sich die Regierung von einer parallel in | |
Deutschland heftig diskutieren Idee: Sie will künftig Kriminellen mit zwei | |
Pässen, die „systembedrohende Verbrechen“ begehen, [3][die schwedische | |
Staatsbürgerschaft aberkennen können]. Die Vorbereitungen zur | |
Grundgesetzänderung haben bereits begonnen. | |
## Neues Betätigungsfeld der Gangs | |
Die Schuld an der ansteigenden Gewalt gab Kristersson nun erneut früheren | |
Regierungen, die sie nicht rechtzeitig gestoppt hätte. Er sprach bewusst | |
von Terrorismus, ungeachtet der Tatsache, dass die Taten nicht politisch | |
motiviert sind. | |
Laut Polizeichefin Lundh gehören die Sprengstoffanschläge zu einem neuen | |
Betätigungsfeld der Gangs. Bisher kam es immer wieder – auch im Januar – zu | |
Morden zwischen vorrangig konkurrierenden Banden. Bei den Sprengungen gehe | |
es aber um Erpressung, betroffen seien Firmen ebenso wie Privatpersonen. | |
Schwedens Zoll-Chef Johan Norrman erklärte, der Fokus des Zolls liege nun | |
nicht mehr wie zuvor auf Handgranaten aus früheren Krisenregionen, sondern | |
vor allem auf im Ausland bestellter Pyrotechnik und anderem Material, aus | |
dem Sprengsätze gebaut werden könnten. | |
## Polizei in Stockholm erhält Verstärkung | |
Ein Viertel der Personen, die sogenannte „Bangers“ – Böller mit 100 Gramm | |
Sprengstoff – online aus dem Ausland bestellten, seien unter 16 Jahre alt. | |
Schon seit Jahren werden damit in Schweden solche Anschläge wie jetzt | |
verübt, aber dieses Ausmaß war bis jetzt unerreicht. | |
Die Polizeichefin hob wie zur Beruhigung noch hervor, dass man im Januar | |
auch zahlreiche Anschläge verhindert habe. 50 Personen seien festgenommen | |
worden, die mit 25 geplanten Taten zu tun gehabt hätten. Außerdem bekommt | |
die Stockholmer Polizei Verstärkung: 100 Einsatzkräfte aus anderen Regionen | |
werden dorthin geschickt. | |
6 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anne Diekhoff | |
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