| # taz.de -- Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act now!“: Ein Stern verglüht | |
| > In ihrem Dokumentarfilm über Petra Kelly schildert Doris Metz das | |
| > intensive Leben der grünen Ikone der 80er. Was fehlt, sind die | |
| > Fragezeichen. | |
| Bild: Petra Kelly, privat, Super 8 | |
| Petra Kelly tritt 1982 im britischen Fernsehen auf. Sie sitzt in einem | |
| Studio, im Hintergrund eine Friedenstaube. Sie beschreibt den Aufstieg der | |
| deutschen Grünen, der nicht zuletzt ihr Werk ist. Die Grünen seien „eine | |
| Revolution für Deutschland“, die alle Autoritäten infrage stellten und die | |
| Politik grundsätzlich verändern würden. | |
| „Warum reden Sie so schnell?“, fragt der angesichts dieser atemlos | |
| skizzierten Fundamentalrevolte erstaunte britische Journalist. Kelly | |
| antwortet: „Time is running out.“ Während man hier im TV-Studio gemütlich | |
| rede, gingen „Krieg, Tod, Elend in der Welt“ weiter, genau jetzt in dieser | |
| Sekunde. Und nichts werde dagegen getan. | |
| Diese kurze Szene enthält hochverdichtet die Elemente, d[1][ie Petra Kelly | |
| in den 80er Jahren zum Star der Friedens- und Ökobewegung] werden ließen: | |
| das existenzielle Pathos des Jetzt, eine vibrierende Energie, die | |
| leuchtende, fast religiös anmutende Unbedingtheit. | |
| Der Dokumentarfilm „Act now!“, der jetzt bundesweit in erstaunlich viele | |
| Kinos kommt, erzählt ohne Off-Kommentar das rastlose Leben von Petra Kelly, | |
| geboren 1947 als Petra Lehmann in Bayern, aufgewachsen in den 1960er Jahren | |
| mit Mutter und deren neuem Ehemann, einem amerikanischen Soldaten, in den | |
| USA. Kelly lernte Politik in der US-Bürgerrechtsbewegung kennen, eine | |
| prägende Erfahrung. | |
| ## Gewaltfreier Widerstand | |
| In den 80er Jahren verkörpert sie den strikt gewaltfreien Widerstand gegen | |
| US-Raketen, jenen zivilen Ungehorsam der US-Bürgerrechtler. Kelly | |
| bewunderte Robert Kennedy und machte 1968 Wahlkampf für den Demokraten | |
| Hubert Humphrey. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto steht sie, keine 20 Jahre alt | |
| und strahlend selbstsicher, neben dem Präsidentschaftskandidaten, den sie | |
| gut kannte. | |
| Hätte Humphrey gewonnen, wäre Petra vielleicht in den USA geblieben, sagt | |
| ihr in den USA lebender Halbbruder John. Kelly war keine linke 68erin, auch | |
| nicht Teil des oft neurotischen bundesdeutschen Generationsromans. Sie kam | |
| von außen. | |
| [2][Otto Schily war in den 80ern als grüner Realo Kellys Konterpart in der | |
| Fraktion.] Er sagt voller Anerkennung: „Kelly hat die Grünen geschaffen, | |
| aber die Grünen haben nicht Kelly geschaffen.“ Sie kam 1983 nicht aus dem | |
| AStA einer Provinz-Uni in den Bundestag, sondern war seit 1972 in der EU | |
| Verwaltungsrätin und schon in den 70er Jahren ein international umtriebiger | |
| Reisekader, der von Australien bis in die USA Anti-Uranbergbau-Initiativen | |
| unterstützte. Schily und Kelly verband nicht viel. Aber beide schwebten | |
| hoch über den Niederungen grüner Basisdemokratie. | |
| ## Friedensdemos | |
| „Act now!“ ist ein konventionelles, aber gut gemachtes Biopic. Regisseurin | |
| Doris Metz arrangiert Zeitzeugen, Archivbilder, ein paar private Aufnahmen | |
| zu einer soliden Erzählung. Man sieht die Heldin bei | |
| Friedensdemonstrationen, bei Auftritten vor der UNO, beim triumphalen | |
| Einzug der Grünen 1983 in den Bundestag, mit Erich Honecker 1988. | |
| Milo Yellow Hair, ein indigener Aktivist gegen Uranabbau in South Dakota, | |
| lobt die Mitstreiterin in höchsten Tönen. Das Material ist weitgehend | |
| chronologisch organisiert. Geklammert wird der szenische Bogen von einem | |
| dezent und klug begleitenden Soundtrack (Musik: Cico Beck), der | |
| glücklicherweise auf die routinemäßige Erzeugung von Gefühlsverstärkungen | |
| verzichtet. | |
| Nach ihrem Tod 1992 war Kelly eine Vergessene, vielleicht weil ihr Ende | |
| viele ratlos bestürzt hatte. Dieses Schweigen ist vorbei. [3][Es gibt | |
| Biografien, Dokumentationen, Spielfilme.] Braucht man noch einen langen | |
| Dokumentarfilm? Ja. All das ist wert erzählt und erinnert zu werden. Es ist | |
| ein Blick in den Spiegel, auch für die Grünen. | |
| Ein Verdienst des Films ist es, etwas gleichsam Unterbelichtetes und | |
| Gegenwärtiges zu zeigen – wie massiv die Grüne von der rechtsradikalen | |
| LaRouche-Bewegung angegangen, ja terrorisiert wurde. Eine knappe Szene | |
| zeigt, wie Kelly nach einer Veranstaltung von einem pöbelnden | |
| LaRouche-Aktivisten sexistisch grob beleidigt wird. Sie wirkt nicht | |
| eingeschüchtert, aber blass und überfordert. Diese Szene lässt an die | |
| gegenwärtigen rechtsradikalen Übergriffe auf Grüne, Linke und | |
| ÖkoaktivistInnen denken. | |
| ## Mord und Suizid | |
| Im Oktober 1992 ließ Gerd Bastian, Ex-Panzergeneral und ihr Lebensgefährte, | |
| einen halb fertigen Brief in der Schreibmaschine klemmen, erschoss Petra | |
| Kelly und dann sich selbst. Das war kein Doppelsuizid, sondern ein Mord | |
| und ein Suizid. Das Motiv liegt im Dunkel. Vielleicht beendete Bastian mit | |
| den beiden Schüssen eine für ihn rettungslos verknotete symbiotische | |
| Beziehung. | |
| „Act now!“ präsentiert eine andere Möglichkeit. Schily, Lukas Beckmann und | |
| Ina Fuchs (die kluge frühere Mitarbeiterin von Bastian in Bonn und ein | |
| Ereignis in diesem Film) fragen nachdrücklich, ob der Friedensgeneral mit | |
| Geheimdiensten gekungelt hatte. | |
| Ein Mord also aus Angst, als Handlanger von Stasi oder KGB enttarnt zu | |
| werden. Beweise gibt es dafür nicht, triftige Indizien auch nicht. Warum | |
| diese Spekulation so viel Raum einnimmt, bleibt unklar. Soll Kelly noch | |
| eindeutiger Opfer sein, nicht einer abgründigen Beziehung, sondern indirekt | |
| von östlichen Geheimdiensten? | |
| Man kann Kellys Rolle als Gründungsfigur der Grünen kaum überschätzen. | |
| Ihren jähen Fall seit Ende der 80er Jahre allerdings auch nicht. Da macht | |
| es sich der Film zu einfach. | |
| ## Machtmachismo der Grünen | |
| Eine Bonner Kneipe in den 80er Jahren, am Tisch fröhlich lärmende Grüne. | |
| Joschka Fischer lehnt lässig im Türrahmen und mokiert sich über die | |
| politische Konkurrenz. Zu dieser Sequenz ist ein O-Ton von Kelly montiert: | |
| Sie könne solche „Kneipenabende nicht aushalten“, brauche Zeit für sich | |
| allein und wolle ein freies Leben als Frau ohne Konventionen leben. „Act | |
| now!“ legt nahe, dass Kelly, die solitäre Moralistin mit globalem Horizont, | |
| am Machtmachismo der deutschprovinziellen Grünen zerschellte. | |
| Es war etwas komplizierter. Ihr Absturz vom Star zur Randfigur bei den | |
| Grünen 1991 war nicht das Resultat von Verrat oder Prinzipienlosigkeit der | |
| Grünen, sondern ein Effekt der Dynamik sozialer Bewegungen. Die Rolle | |
| medialer Stars in egalitären, auf die Basis ausgerichteten Bewegungen ist | |
| immer fragil, Euphorie und Enttäuschung siedeln nahe beieinander. | |
| Kelly wollte keine Politikerin sein, sondern Antipolitikerin, eine Rolle, | |
| die ein kurzes Haltbarkeitsdatum haben musste. „Das ganze Leben ist | |
| Politik“, sagte sie 1985. Ein gefährlicher Satz. Wenn in einem Leben etwas | |
| alles ist, gibt es wenig Schutz und Rückzugsraum. Die fiebrige | |
| Unbedingtheit, die sie verkörperte, passte auf Demos, weniger in den | |
| Bundestag. | |
| ## Atomkraft nach Tschernobyl | |
| Nach dem Ende des Kalten Kriegs, als die Raketen verschrottet wurden, | |
| verhallte ihr Menschheitsrettungspathos ohne Echo. Um aus der Atomkraft | |
| nach Tschernobyl auszusteigen, war Gesinnungsethik nur bedingt brauchbar. | |
| Da waren Pragmatiker gefragt, die sich mit Endlagerung, Bundesgesetzen und | |
| dem Bohren harter Bretter auskannten. | |
| All das wird hier weggedimmt, damit Kellys Stern heller strahlt. „Act now!“ | |
| ist entschlossen, die Heldin als ambivalenzfreie Moralistin auf den Sockel | |
| zu heben und als ökofeministisches Idol zu feiern, als deren Enkelin Luisa | |
| Neubauer in Szene gesetzt wird. Die Fridays-for-future-Aktivistin lobt | |
| Kelly als globale Vordenkerin von Feminismus und Ökologie, Antimilitarismus | |
| und Menschenrechten. | |
| ## Antimilitarismus und Menschenrechte | |
| Auch diese Botschaft ist zu widerspruchsfrei, zu glatt. Antimilitarismus | |
| und Menschenrechte? Die Grünen hat von Bosnien bis Afghanistan wenig so | |
| durchgeschüttelt wie der Widerspruch von Antimilitarismus und | |
| Menschenrechten. Heute ist die grüne Wählerschaft mehr als die von SPD oder | |
| CDU für Waffenlieferungen an die Ukraine und Bundeswehreinsätze. | |
| Manche vereinnahmen Kelly, die überzeugte Pazifistin, heute als Kronzeugin | |
| gegen die grüne Wendung zum Militär. Allerdings war Kelly eine resolute | |
| Verfechterin der Menschenrechte, die Gebote der Real- und | |
| Entspannungspolitik hielt sie für Deformationen männlicher Politik. Dieses | |
| Komplizierte, Widersprüchliche fehlt. Dabei lässt sich ihr Erbe eher mit | |
| Frage- als mit Ausrufezeichen begreifen. | |
| 11 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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