| # taz.de -- Disneyfilm „Alles steht Kopf 2“: Umbau in der Schaltzentrale | |
| > Im Team mit Neid und Zweifel: Der Animationsfilm „Alles steht Kopf 2“ | |
| > findet neue Bilder für das Drama der Pubertät – im Gehirn. | |
| Bild: Wo das Selbst entsteht: Freude und Trauer in „Alles steht Kopf 2“ | |
| Neurowissenschaft als Knubbelmonsterkabinett: Mit dem Animationsfilm | |
| [1][„Alles steht Kopf“ von Pete Docter und Ronaldo del Carmen gelang Disney | |
| 2015] ein Kassenhit. Dabei war die Prämisse für die Geschichte um die | |
| neugeborene Riley eher trocken. Der Film erzählte die Entstehung von Rileys | |
| Emotionen in ihrem Kopf, genauer in ihrem Hirn. Mit personalisierten | |
| Emotionen in Gestalt bunter Figuren. | |
| So ähnlich hatte das der Regisseur Woody Allen in einer Episode seiner | |
| Komödie „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu | |
| fragen wagten“ im Jahr 1972 zuvor erfolgreich durchgespielt. Bei ihm | |
| agierten im Gehirn lediglich echte Schauspieler statt Zeichentrickfiguren. | |
| Die für Disney unter ökonomischen Gesichtspunkten interessante Lektion: Das | |
| Publikum für fantasievoll gestaltete Bilder aus dem Oberstübchen ist mithin | |
| vorhanden. | |
| Mit „Alles steht Kopf 2“ gibt es jetzt denn auch eine Fortsetzung unter der | |
| Regie von Kelsey Mann. Das Personal aus dem ersten Teil ist weiterhin | |
| vorhanden, wieder sorgen sich die farbigen Emotionen Freude, Kummer, Angst, | |
| Wut und Ekel um die Geschicke der jungen Riley. | |
| Sie gehen gewissenhaft ihrer Arbeit nach, sortieren die Erinnerungen von | |
| Riley, die in Gestalt von bunten Kugeln bei ihnen in der Schaltzentrale | |
| eintreffen, ein ins Langzeitgedächtnis, wo sie hübsch ordentlich in Regalen | |
| landen, oder unter „zu Vergessendes“, das dann weit entfernt auf einem | |
| großen Haufen landet. | |
| ## Aus Erinnerungen wachsen Überzeugungen | |
| Die schönsten Erinnerungen legen sie in einem Teich ab, aus dem leuchtende | |
| Fäden, womöglich Synapsenbahnen, emporwachsen, die Rileys Überzeugungen | |
| bilden. Zusammen ergeben sie ihr Selbst beziehungsweise ihr Selbstbild, | |
| zusammengefasst im Satz „Ich bin ein guter Mensch“. Das Team der Emotionen | |
| kabbelt sich mitunter etwas, doch eigentlich läuft alles gut, fast ein | |
| bisschen langweilig. | |
| Diese Arbeit und das daraus entstandene Selbstbild werden jedoch | |
| buchstäblich erschüttert. Gerade als eine neue unerfreuliche Erinnerung auf | |
| die „Müllhalde“ befördert wurde, leuchtet eine rote Lampe am Kontrollpult | |
| auf, die noch niemand vorher bemerkt hatte. „Pubertät“ steht darunter. | |
| Kurz darauf rauscht eine Abrissbirne durch eines der Fenster der | |
| Schaltzentrale, gefolgt von blauen Kullermännchen mit Bauhelmen, die den | |
| Innenraum zu verwüsten scheinen. Auf die entsetzte Frage, was die | |
| Zerstörung soll, erhalten die Emotionen die Antwort, dass Platz für „die | |
| Neuen“ geschaffen werde. | |
| Diese Neuen sind eine Handvoll Emotionen, die in dieser Lebensphase zu | |
| Rileys Persönlichkeit hinzukommen. Sie heißen Zweifel, Neid, Ennui und | |
| Peinlich. Zweifel ist orange und sieht ein bisschen aus wie der hysterische | |
| Bruder von [2][Ernie aus der Sesamstraße], Neid ist klein, rund und | |
| grünblau, Ennui eine lila Bohnenstange und Peinlich ein pummeliger rosa | |
| Koloss mit großer Nase, der den Rest seines Gesichts meistens unter einer | |
| Kapuze versteckt. | |
| ## Abstraktes Denken kubistisch dargestellt | |
| In „Alles steht Kopf“ ging es seinerzeit vor allem um die Emotionen und | |
| ihren „Platz“ im Gehirn, was mit wunderbar variierten Bildern verdeutlicht | |
| wurde. Für die Darstellung von abstraktem Denken etwa wählten die | |
| Filmemacher einen an den Kubismus gemahnenden Zeichenstil, der in seiner | |
| eckigen Flächigkeit einen scharfen Kontrast zu den sonst dreidimensional | |
| weich animierten Figuren bildete. | |
| Für den zweiten Teil hat sich Kelsey Mann mehr auf das vorhandene | |
| Bildarsenal verlassen und stattdessen auf die neuen Figuren konzentriert. | |
| Wie diese langsam lernen, miteinander klarzukommen, ist dabei der | |
| interessantere Teil der Handlung als die äußere Geschichte. | |
| Denn Riley steht nicht nur an der Schwelle der Pubertät, sie wechselt auch | |
| auf die High School. Für die begabte Schülerin soll ein | |
| Eishockey-Trainingscamp entscheiden, ob sie zudem in das von ihr bewunderte | |
| Team aufgenommen wird. Zweifel sollen sie an diesem Wochenende ebenso | |
| begleiten wie Neid, Scham und gelegentliche Langweile. Selbst Sarkasmus | |
| gehört fortan zu ihrem Gestenrepertoire. | |
| Aus dem an Stellen merklich didaktischen Plot macht Kelsey Mann eine | |
| kurzweilige Dramedy, in der die komischen Anteile klar überwiegen. Man mag | |
| die Grundannahme des Films, die Persönlichkeitsentwicklung auf | |
| neurowissenschaftlicher Basis zu schildern, für reduktionistisch halten. | |
| Der Vorteil dieses Ansatzes ist allerdings, dass sich damit herrliche | |
| Bilder finden lassen. Und Gelegenheit für Quatsch bietet er obendrein. Denn | |
| die Erinnerungen Rileys speisen sich unter anderem aus Zeichentrickserien | |
| und Computerspielen, die als verdrängte Erinnerung zurückkehren. Und die | |
| können zur Not für rettende Einfälle sorgen. Psyche macht eben | |
| erfinderisch. | |
| 12 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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