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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Im eigenen Zimmer
> Das Kino Krokodil zeigt Filme von Ioseb „Soso“ Bliadze. Sie erzählen von
> Entfremdung und der Hoffnung der jungen Generation auf eine freies
> Georgien.
Bild: „Otar's Death“, (2021)
Es sind Einblicke in ein fremd, gar archaisch wirkendes Land, die der
georgische Regisseur Ioseb „Soso“ Bliadze in seinen Filmen bietet. Der
38-jährige Filmemacher zeigt seine Heimat als zerrissenes Land, das nicht
so richtig weiß, ob es sich wirklich in Richtung Europa und damit zur
modernen westlichen Welt hinbewegen will, wie das vor allem die junge
Generation in Georgien gerne hätte.
Machistische und patriarchale Beharrungskräfte sind schließlich immer noch
enorm, wie er beispielhaft in einer Szene aus seinem Debütfilm „Otar´s
Death“ (2021) zeigt. Der 16-jährige Nika fährt hier in einer Seilbahn mit
seiner Freundin. Den beiden gegenüber sitzen zwei Typen, die so penetrant
und unverfroren diese in ihrem engen Oberteil mustern, als hätten sie
vorher noch nie eine Frau gesehen. Nika fällt in der Situation nichts
anderes ein, als etwas unbeholfen schützend seinen Arm über die Schultern
seiner Freundin zu legen.
Von männlichen Übergriffen weiß auch Tina in Bliadzes „Room of my own“
(2022) zu berichten. Die junge Frau, die mit 25 Jahren bereits geschieden
ist, sucht nach sich selbst und einem neuen Leben in Tiflis, wo sie bei
Megi temporär eine WG bezieht.
Irgendwann erzählt sie ihrer neuen Mitbewohnerin beiläufig, wie ihr Ex-Mann
plötzlich aggressiv wurde, als sich Sex zwischen den beiden anbahnte. Er
hatte herausbekommen, dass sie fremdgegangen war. Und dann stach er einfach
zu mit einem Messer. Tina berichtet, als würde sie eine ganz alltägliche
Anekdote von sich geben, so sind sie eben, die Männer, scheint sie für sich
internalisiert zu haben. Megi aber, die schon lange weiß, dass sie sich von
Männern nicht ihr Leben bestimmen lassen möchte, ist einfach nur geschockt.
Das Programmkino Krokodil im Prenzlauer Berg zeigt die beiden Filme aus
Georgien [1][in seiner kleinen Reihe „Über*Sehen!“]. Deren Motto lautet:
Wenn schon niemand das junge Kino aus Georgien zeigen möchte, Filme, die
auf Festivals liefen und von der Kritik gelobt wurden, dann tun wir das
eben selbst. Und Bliadzes Filme haben ein solches Engagement auch verdient.
Ihr Erzähltempo ist langsam. Egal, ob in „Otar´s Death“ mit seiner
verworrenen Handlung, bei dem ein Unfall eine ungeahnte Kettenreaktion
auslöst. Oder ob in „A Room of my own“, der sich ausgiebig Zeit dabei
nimmt, die Annäherung zweier Frauen zu schildern und als Ort der Handlung
dabei nur selten die WG verlässt.
In „A Room of my own“ zeigt der Regisseur, dass er Hoffnung zu haben
scheint, dass die junge Generation sich ein freieres Georgien tatsächlich
erkämpfen kann. Dass eine positive Entwicklung möglich ist, ist überhaupt
die große Botschaft dieses Films.
Als Tina etwa bei Megi einzieht, kommt sie erst überhaupt nicht damit klar,
dass ihre Zimmernachbarin nach dem Duschen nackt in ihrer Wohnung
herumläuft. Doch ganz langsam erkennt sie in der Spiegelung mit ihrer neuen
Mitbewohnerin, wie unfrei, auch im sexuellen Sinne, sie selbst ist. Sie
beginnt einen Abnabelungsprozess von ihrem alten Ich.
Von ihren konservativ und traditionell denkenden Eltern hatte sie sich
bereits entfremdet, nun beschleunigt sich der Prozess. Erst tat diese
Erkenntnis zunehmender Distanz weh, dann immer weniger. Sie beginnt, in
ihrer neuen Umgebung aufzublühen.
Ganz im Sinne Virginia Woolfs, an deren Essay „A Room of one´s own“ der
Film angelehnt ist. Erst wenn einer Frau ein eigenes Zimmer, eine
Privatsphäre, zugestanden wird, kann diese sich entfalten, so Woolf. Erst
als sie selbstbestimmt in ihrer WG-Bude sein kann, findet auch Tina zu sich
selbst.
14 Aug 2024
## LINKS
[1] https://kino-krokodil.de/aktuelles/uebersehen/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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