| # taz.de -- Diskussion um „sichere Herkunftsstaaten“: Zehn Minuten schneller | |
| > Die Debatte über „sichere Herkunftsstaaten“ ist eine große Inszenierung. | |
| > Die Einstufung hat in der Praxis fast keine Bedeutung. | |
| Bild: Für diesen Asylbewerber aus Albanien stehen die Chancen sehr schlecht f�… | |
| Freiburg taz | Ein großer Teil der Asylbewerber, die nach Deutschland | |
| kommen, hat so gut wie keine Chance auf Anerkennung. Sollen ihre | |
| Herkunftsländer deshalb alle zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werde… | |
| Unions-Politiker fordern das. Die SPD würde wohl mitmachen. Doch die | |
| Grünen, die an vielen Landesregierungen beteiligt sind, wollen die | |
| Zustimmung im Bundesrat verweigern. Konservative Medien wie die FAZ stellen | |
| deshalb schon ihre Regierungsfähigkeit infrage. | |
| Der Streit jedoch wird völlig überschätzt. Das Etikett „sicherer | |
| Herkunftsstaat“ ist kein Mittel, das Asylverfahren und Abschiebungen | |
| beschleunigt. Umgekehrt werden dabei aber auch Asylbewerber nicht völlig | |
| schutz- und rechtlos gestellt. Die öffentliche Debatte hat mit der Realität | |
| wenig zu tun. | |
| Seit November 2014 gelten Serbien, Bosnien und Mazedonien als „sichere | |
| Herkunftsstaaten“. Der Bundestag beschloss das Gesetz, der Bundesrat | |
| stimmte zu. Die für die Mehrheit entscheidenden Stimmen kamen aus dem | |
| grün-rot regierten Baden-Württemberg, was Ministerpräsident Winfried | |
| Kretschmann im Land viel Respekt, bei den Grünen im Bund viel Ärger | |
| einbrachte. | |
| Jetzt wird diskutiert, ob Albanien, Kosovo und Montenegro ebenfalls das | |
| Etikett „sicherer Herkunftsstaat“ erhalten. Relevant ist im Moment vor | |
| allem Albanien. Von dort kamen 20 Prozent aller Asylsuchenden im Juli 2015 | |
| – aber nur 0,2 Prozent der albanischen Antragsteller in Deutschland | |
| erhielten eine Schutzzusage. | |
| ## Sie brauchen Perspektive | |
| Wer aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ kommt, erhält im Kern das gleiche | |
| Asylverfahren wie andere Antragssteller auch: Es gibt eine mündliche | |
| Anhörung, es können Argumente vorgebracht werden. Es besteht zwar die | |
| Vermutung, dass der Antragssteller nicht schutzbedürftig ist, aber die | |
| Vermutung kann widerlegt werden. Aus Mazedonien wurden im Juli immerhin | |
| sechs Personen als Flüchtling anerkannt, aus Serbien erhielten 17 Personen | |
| individuellen Abschiebeschutz – meist wohl wegen Krankheit. Das waren je | |
| 0,2 Prozent der Antragssteller aus dem entsprechenden Staat. Schutz ist | |
| also nicht ausgeschlossen, aber die Schutzquoten waren auch vor Einstufung | |
| als „sicherer Herkunftsstaat“ extrem niedrig. | |
| Das Problem der Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ ist, dass ihre | |
| Anträge nicht den gesetzlichen Anforderungen genügen, weil sie weder | |
| politische Verfolgung noch Bürgerkriege geltend machen können. Ihr Gründe – | |
| wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, soziales Elend oder die | |
| Diskriminierung der Roma – sind dagegen keine Asylgründe. Sie bräuchten | |
| kein besseres Asylverfahren, sondern eine Einwanderungsperspektive. | |
| Die behauptete Beschleunigung des Asylverfahrens ist minimal. Zwar gilt ein | |
| abgelehnter Antrag aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ automatisch als | |
| „offensichtlich unbegründet“ – was den gerichtlichen Rechtschutz auf ein | |
| Minimum reduziert. Doch „offensichtlich unbegründet“ sind auch heute schon | |
| fast alle beschiedenen Asylanträge aus Albanien. Die Einstufung als | |
| „sicherer Herkunftsstaat“ beschleunigt das Asylverfahren laut | |
| Innenministerium um ganze zehn Minuten – weil nicht mehr begründet werden | |
| muss, warum ein Antrag „offensichtlich unbegründet“ ist. | |
| ## Symbolische Wirkung | |
| Andere Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren sind da viel | |
| wichtiger, etwa wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein | |
| Personal um rund 2.000 Mitarbeiter aufstockt. Seit Jahren schon werden | |
| Asylanträge vom Balkan dort auch „prioritär“, also mit Vorrang, bearbeite… | |
| ganz unabhängig vom Status als „sicherem Herkunftsstaat“. | |
| Bayern eröffnet demnächst zwei „Ankunfts- und Rückführungszentren“ bei | |
| Ingolstadt und bei Bamberg, um aussichtslose Asylverfahren auf vier bis | |
| sechs Wochen zu verkürzen. Beide Zentren sind nur für Antragssteller vom | |
| Balkan reserviert. Doch dorthin sollen nicht nur Antragsteller aus den | |
| „sicheren Herkunftsstaaten“ Serbien und Mazedonien geschickt werden, | |
| sondern ebenso Personen aus dem Kosovo und aus Albanien. Es kommt also auch | |
| hier nicht auf den Status an. | |
| Auch bei der eigentlichen Abschiebung macht die Einstufung als „sicherer | |
| Herkunftsstaat“ keinen Unterschied. Es ist derzeit nicht leichter, einen | |
| Mazedonier (“sicherer Herkunftsstaat“) abzuschieben als einen Albanier | |
| (zurzeit kein „sicherer Herkunftsstaat“). Die Befürworter von „sicheren | |
| Herkunftsstaaten“ räumen selbst ein, dass es um symbolische Wirkungen geht. | |
| Das plakative Etikett soll der Regierung eine abschreckende | |
| Öffentlichkeitsarbeit auf dem Balkan ermöglichen. Bisher hat auch das nicht | |
| richtig funktioniert. | |
| ## Showeffekte und Schikane | |
| Der eigentliche „Nutzen“ des Konzepts ist jedoch innenpolitisch. Wer die | |
| Einstufung von Ländern wie Albanien als „sicherer Herkunftsstaat“ fordert, | |
| zeigt sich in den Augen der breiten Öffentlichkeit als zupackend und | |
| tatkräftig. Wer sich widersetzt, macht sich angreifbar, weil er | |
| vermeintlich die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Es geht also vor allem | |
| um Showeffekte. Ironischerweise helfen linke und kirchliche Gruppen noch | |
| bei der Inszenierung, indem sie das Konzept so heftig bekämpfen, als | |
| verschlechtere es wirklich die Chancen auf eine Asylanerkennung und | |
| beschleunige Abschiebungen tatsächlich. | |
| Bedenklich ist das Etikett „sicherer Herkunftsstaat“ aber vor allem, weil | |
| es nun immer wieder als Anknüpfungspunkt für neue Regeln benutzt wird und | |
| werden soll. So können jugendliche Flüchtlinge, die einen Ausbildungsplatz | |
| gefunden haben, in Deutschland bleiben – es sei denn sie kommen aus einem | |
| „sicheren Herkunftsstaat“. Und Bayern hat im Bundesrat beantragt, | |
| Flüchtlingen das Taschengeld von 143 Euro pro Monat zu streichen – wenn sie | |
| aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ kommen. Aus der Symbolik kann dann | |
| plötzlich doch sehr schnell Schikane werden. | |
| 23 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| sichere Herkunftsländer | |
| Asylsuchende | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Abschiebung | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schengen-Abkommen | |
| Flüchtlinge | |
| Asylsuchende | |
| Abschiebung | |
| Asylsuchende | |
| Serbien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Abgelehnte Asylbewerber: Mit Zwang zurück | |
| Obwohl ihre Anträge abgelehnt wurden, bleiben viele Flüchtlinge hier. | |
| Manche haben sogar ein Recht darauf. | |
| Kommentar Flüchtlingspolitik: Im Strudel der Überforderung | |
| Es wird viel getan für Flüchtlinge, auf allen Ebenen. Was fehlt, ist eine | |
| Kanzlerin, die zu Willkommenskultur und Menschlichkeit steht. | |
| Illegitime Grenzkontrollen: Zum Bleiben gezwungen | |
| Die Bundespolizei kontrolliert vor der dänischen Grenze Züge auf der Suche | |
| nach Flüchtlingen. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen Schengen. | |
| Prognose der Asylanträge: Vor dem „Allzeitrekord“ | |
| Die Flüchtlingsprognose eröffnet erneut eine Debatte zwischen Bund und | |
| Ländern. Die Frage ist: Wer zahlt was? | |
| Hilfen für Flüchtlinge: Nur noch Sachleistungen | |
| Die Debatte um einen anderen Umgang mit Asylbewerbern vom Balkan wird zur | |
| Kontroverse. Statt Geld soll es Sachleistungen geben. | |
| Nach 23 Jahren in Berlin: Familie von Abschiebung bedroht | |
| Vor allem Menschen aus Serbien und Bosnien werden derzeit aus Berlin | |
| abgeschoben. Viele sind Roma. Dieses Schicksal droht auch der Familie | |
| Pavlovic. | |
| Anstatt besserer Versorgung: Asylbewerber abschrecken | |
| Weniger Taschengeld und „Rückführungs“-Videos: So soll der Zulauf von | |
| Asylbewerbern aus dem Westbalkan begrenzt werden. | |
| Kolumne German Angst: Balkanisierung ist Europas Albtraum | |
| Die EU erschafft sich gerade genau den Balkan, den sie so sehr fürchtet und | |
| doch erfunden hat: chaotisch, korrupt und nah am Bürgerkrieg. |