# taz.de -- Prognose der Asylanträge: Vor dem „Allzeitrekord“ | |
> Die Flüchtlingsprognose eröffnet erneut eine Debatte zwischen Bund und | |
> Ländern. Die Frage ist: Wer zahlt was? | |
Bild: Die sechs Monate alte Angela Merkel Ade, deren Mutter sie nach der Bundes… | |
BERLIN taz | Manfred Schmidt ist derzeit im Dauerbetrieb: Kein Tag vergeht | |
ohne Krisenmanagement, ohne Telefonate mit Politikern, ohne Planungsrunden | |
für neue Dienststellen. Am Dienstag steht Schmidt, Präsident des Bundesamts | |
für Migration und Flüchtlinge in Bad Berleburg in Nordrhein-Westfalen, und | |
eröffnet eine neue Außenstelle. Ein kleiner Schritt. | |
Zuvor hat Schmidt einen großen gemacht: Er verschickte einen Brief an Bund | |
und Länder: seine neue Prognose der Asylanträge für dieses Jahr. Und die | |
hat es in sich. Bis zu 750.000 Anträge werden laut Medienbericht erwartet. | |
Es wäre eine Rekordzahl – mit Abstand. Im bisherigen Spitzenjahr 1992 lag | |
die Zahl bei 438.191 Anträgen. | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will die Prognose am Mittwoch | |
vorstellen. Zuvor trifft er sich nach taz-Informationen noch mit den | |
Staatssekretären der Länder, um die Zahlen zu besprechen. De Maizière hatte | |
schon zuletzt eine „erheblich höhere“ Prognose angekündigt. Auch | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die Versorgung von Flüchtlingen | |
sei nicht mehr „im Normalmodus“ zu lösen. | |
Noch zu Jahresbeginn hatte Schmidt mit 300.000 Flüchtlingen für dieses Jahr | |
gerechnet. Im Mai korrigierte er die Zahl auf 450.000. Im ersten Halbjahr | |
zählte sein Amt schon 179.037 Asylanträge – 132 Prozent mehr als im | |
Vorjahreszeitraum. Zuletzt schnellten die Zahlen noch einmal in die Höhe. | |
Allein im Juli wurden 79.000 Anträge gestellt – ein „Allzeitrekord“, so | |
Schmidt. Und am 23. Juli hatte das Amt so viele Asylanträge beschieden wie | |
im gesamten letzten Jahr: 128.911. | |
## Drei statt fünf Monate | |
Manfred Schmidt schweigt am Dienstag zu seiner neuen Prognose. Er will dem | |
Innenminister nicht vorgreifen. In Bad Berleburg verspricht der 55-Jährige | |
nur erneut schnellere Asylverfahren: Drei statt bisher fünf Monate sollen | |
sie dauern. | |
Der neuen Prognose kommt indes einige Bedeutung zu, denn damit ist die | |
Diskussion um Finanzhilfen für die Länder und Kommunen wieder eröffnet. | |
Erst im Juni hatten sich der Bund und die MinisterpräsidentInnen zu diesem | |
Thema getroffen, eine erneute Runde soll es am 9. September geben. Bisher | |
hatte der Bund eine Milliarde Euro zugesagt. | |
Doch die Länder fordern mindestens eine Verdoppelung. Bayern allein spricht | |
von einem Bedarf von 2 Milliarden Euro, um Wohnungen für Flüchtlinge zu | |
bauen. Baden-Württemberg will, dass der Bund die Kosten für die | |
Erstaufnahme komplett übernimmt. Beide Länder nehmen neben NRW die meisten | |
Flüchtlinge auf. | |
Hilfe kommt aus dem Bundestag. Nötig sei eine „gerechte Verteilung der | |
finanziellen Lasten“, sagt SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. | |
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fordert eine „spürbare | |
Entlastung für Länder und Kommunen“. Sie lobt, dass sich die Regierung mit | |
der neuen Prognose „ehrlich macht“. Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke | |
warnt vor „Panikmache“: „Das kann das wohlhabende Deutschland gut | |
bewältigen.“ | |
## Auf Abschreckung setzen | |
Innenminister de Maizière und Migrationsamt-Chef Schmidt dagegen setzten | |
zuletzt auf Abschreckung. Sie fordern, das „Taschengeld“ für Asylbewerber, | |
je 143 Euro in den ersten drei Monaten, durch Sachleistungen zu ersetzen – | |
um einen vermeintlichen Einreise-Anreiz zu tilgen. Das sieht die SPD | |
anders: „Was wir nicht brauchen sind immer neue Debattenbeiträge, die nur | |
am Stammtisch gut ankommen“, so MdB Lischka. „Die Menschen kommen nicht für | |
4,60 Euro Bargeldleistung am Tag nach Deutschland, um dann wochenlang in | |
Notunterkünften zu wohnen.“ | |
Mit der neuen Prognose gewinnt auch die Debatte über sichere | |
Herkunftsländer an Fahrt. De Maizière pocht darauf, auch Albanien, Kosovo | |
und Montenegro als solche zu ernennen. So kamen im ersten Halbjahr zwar die | |
meisten Flüchtlinge aus Syrien, 34.438. Dann aber folgten Kosovo mit 31.400 | |
und Albanien mit 22.209 Anträgen. Asylbewerber aus diesen Ländern werden | |
jedoch zu 99,9 Prozent abgelehnt. Für de Maizière ein „inakzeptabler“ | |
Zustand. | |
Die SPD ist für den Vorschlag offen, auch Baden-Württembergs grüner | |
Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich am Dienstag | |
diskussionsbereit. Noch aber fehlt eine Mehrheit im Bundesrat, der die | |
Entscheidung trifft. | |
Die Forderung, die Balkanländer als sicher zu deklarieren, teilt auch | |
Migrationsamt-Chef Schmidt: „Das Gefüge stimmt nicht mehr.“ Sein Amt | |
bearbeitete zuletzt Anträge von Balkan-Flüchtlingen prioritär – und will | |
diese bei negativem Bescheid direkt aus den Erstaufnahmestellen abschieben. | |
Zuletzt verordnete Schmidt ein Signal: Er ließ gezielt 5.000 Asylanträge | |
von Albanern bescheiden. Kein Einziger wurde angenommen. | |
Am Dienstag erhielt Schmidt auch Unterstützung vom Zoll. Für das nächste | |
halbe Jahr bekommt sein Amt 50 Zoll-Mitarbeiter, um Anträge | |
mitzubearbeiten. Zudem darf Schmidt dank eines Nachtragshaushalts im | |
Bundestag 1.000 neue Stellen besetzen. Ein Jahr wie dieses habe er noch | |
nicht erlebt, sagte Schmidt jüngst. Noch aber seien die „Herausforderungen | |
zu meistern“. | |
18 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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